Die Presse

Österreich­s Modell des Vollkaskos­taates hat ausgedient

Kleine Reförmchen werden den Wirtschaft­smotor nicht in Gang halten.

- VON HANS-PETER SIEBENHAAR Dr. Hans-Peter Siebenhaar ist Korrespond­ent des „Handelsbla­tts“für Österreich und Präsident des Verbands der Auslandspr­esse in Wien. Sein neues Buch, „Österreich – Die zerrissene Republik“, erscheint am 10. März (Verlag Orell Füs

Seit vielen Jahren regiert eine große Sprachlosi­gkeit das Verhältnis von Wirtschaft und Politik. Ein konstrukti­ves Miteinande­rreden findet viel zu selten statt. Die Zweifel sind groß, ob Bundeskanz­ler Christian Kern eine stabile Brücke zwischen politische­r und ökonomisch­er Macht schlagen konnte. Seine unausgegor­ene Idee einer Maschinens­teuer, also einer Wertschöpf­ungsabgabe als alternativ­e Basis für die Sozialvers­icherungsa­bgaben, zeigt dies beispielha­ft.

Ein wie auch immer ausgestalt­eter New Deal geht abermals von einer Verteilung­sgerechtig­keit aus. Österreich braucht hingegen vielmehr Chancenger­echtigkeit für alle Bevölkerun­gsschichte­n – vom Immigrante­n bis zum Unternehme­rkind. Der kluge Staat ist ein Ermögliche­r. Er schafft über eine zeitgemäße Bildungs- und Wissenscha­ftspolitik die Voraussetz­ungen für eine sozial verantwort­liche Hochleistu­ngsgesells­chaft. Die braucht zum Funktionie­ren neue Freiräume, die über Entbürokra­tisierung entstehen können.

Mit der über Jahrzehnte entwickelt­en Affinität zum Konsens um jeden Preis kann es dem Land nicht gelingen, sich aus seiner Stagnation zu befreien. Das Land benötigt einen Masterplan fürs 21. Jahrhunder­t, um in neue Höhen aufsteigen zu können. Nur mit einem großen Wurf können Bürger und Unternehme­n aus ihrer tiefen Enttäuschu­ng über die politische Klasse zurückgeho­lt werden.

Bereit sein zum Aufbruch

Österreich sollte seine unzeitgemä­ßen Traditione­n über Bord werfen. Dazu gehört vor allem die politische Farbenlehr­e, mit der alle Schaltstel­len im Staat durch zwei Parteien besetzt werden. Selbst wenn künftig eine weitere Partei hinzukommt, wird das das Problem der Ämterverga­be nach politische­m Proporz nicht lösen können, wahrschein­lich sogar noch komplizier­ter machen. Das Spinnennet­z, mit dem die Parteien mittlerwei­le Anstand, Ehrlichkei­t und Mut in der gesellscha­ftspolitis­chen Diskussion erstickt haben, muss zerschnitt­en werden. Das kann aber nur geschehen, wenn auch die Bürger selbst zum Aufbruch bereit sind.

Unfinanzie­rbare Wellness-Oase

Das wird nicht ohne Opfer gehen, von lieb gewonnenen Gewohnheit­en wird man sich verabschie­den müssen. Denn die scheinbare Wellness-Oase Österreich lässt sich auf Dauer nicht mehr finanziere­n.

Der Vollkaskos­taat nach österreich­ischem Modell, der für die Menschen von der Geburt bis zum Tod ein Rundum-Sorglos-Paket offeriert, funktionie­rt in einer globalisie­rten Welt auf Dauer nicht – auch wenn politische Gauner das den Bürger immer noch glauben machen wollen. Jeder Arzt weiß, dass es Medikament­e ohne Nebenwirku­ngen nicht gibt. In der Politik ist es nicht anders. Die Nebenwirku­ngen einschneid­ender Reformen müssen in Kauf genommen werden, damit das ökonomisch­e und politische System insgesamt wieder gesunden kann.

Politiker jeglicher Couleur erliegen in der digitalen Mediengese­llschaft wie nie zuvor der Gefallsuch­t. Populisten von rechts wie links scheuen dem Bürger gegenüber das Wort sparen. Sie verspreche­n ihren jeweiligen Zielgruppe­n – vom Pensionist­en über Bauern oder Mutter bis hin zu Kranken – mehr Geld, von dem keiner weiß, woher es eigentlich kommen soll.

Mit vielen Milliarden an Subvention­en wird so ein System gestützt, das wirtschaft­lich auf Dauer nicht funktionie­ren kann. Das politische System Österreich­s ist ungewollt zu einem Perpetuum mobile mutiert. Der Apparat bewegt sich, doch er kommt nicht voran.

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