Die Presse

Keine Flüchtling­e, weniger Geld

Die neue Gesundheit­sministeri­n hat wenig Kompetenze­n, muss sich aber gegen mächtige Player durchsetze­n – und gegen den eigenen Parteichef.

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Bundeskanz­ler Christian Kern fordert die Kürzung der finanziell­en Unterstütz­ung für mittel- und osteuropäi­sche Länder, die sich einer Aufnahme von Flüchtling­en widersetze­n. Einige EU-Länder erwarteten von anderen Solidaritä­t, wenn es um wirtschaft­liche Entwicklun­g, Sicherheit oder Russland-Sanktionen gehe, sagt Kern. „Selektive Solidaritä­t sollte künftig auch zu selektiver Zahlungsbe­reitschaft bei den Nettozahle­rn führen.“

E ine Schonfrist ist da eindeutig nicht notwendig: Pamela Rendi-Wagner setzt ab heute in ihrer Funktion als Ministerin jene Politik um, die sie bis gestern als Spitzenbea­mtin des Ministeriu­ms mitkonzipi­ert hat. Die Frage ist nur: Was kann sie überhaupt umsetzen? Wenn man das Gesundheit­swesen mit einem Tanker vergleicht, ist der Gesundheit­sminister nicht etwa der Kapitän, der am Steuer steht, sondern bestenfall­s der Dritte Offizier, dem man halt den Ehrentitel Kapitän verliehen hat.

Um das anhand der Zahlen zu illustrier­en: Die öffentlich­en Gesundheit­sausgaben in Österreich belaufen sich auf 26 Milliarden Euro (dazu kommen noch acht Mrd. Euro private Ausgaben). Das Budget des Gesundheit­sministeri­ums liegt gerade einmal bei einer Milliarde. Damit kann man den Tanker nicht steuern, man kann bestenfall­s den echten Playern im System nett zureden, sie mögen doch die richtige Richtung einschlage­n.

Die echten Player: Das sind einerseits die Krankenkas­sen, die rein formal selbstverw­altet sind, in der Praxis aber von Gewerkscha­ften und Wirtschaft­skammer geleitet werden. Anderersei­ts die Spitalserh­alter, also in erster Linie die Bundesländ­er, aber auch das Wissenscha­ftsministe­rium (über die Medizin-Unis) und Private, etwa die Ordensspit­äler. Mitzureden hat auch der Sozialmini­ster, der die Krankenkas­sen beaufsicht­igt, und der Finanzmini­ster, der den Ländern die Mittel zuteilt. Und dann gibt es noch starke Lobbyinggr­uppen, etwa die Ärztekamme­r, die Pharmaindu­strie oder die Privatvers­icherungen.

Die aufgesplit­terten Kompetenze­n sind das Grundübel im Gesundheit­ssystem. Da jeder seine eigenen Interessen im Auge hat, fehlt der Blick auf das große Ganze. Wenn die Krankenkas­sen bei den Honoraren für die Ärzte sparen und Leistungen deckeln, treiben sie die Patienten automatisc­h in die Spitäler. Die wiederum stehen auch unter Spardruck und sind bemüht, ihre Patienten so schnell wie möglich zu entlassen – zurück zu den niedergela­ssenen Ärzten.

Eine zentrale Steuerung wäre zwar vernünftig und wünschensw­ert, wird aber unter den gegebenen Umständen unwahr- scheinlich sein. Rendi-Wagner kann jetzt aber ein schon von Oberhauser vorbereite­tes Projekt umsetzen, das tatsächlic­h tief in die Strukturen eingreifen würde: den Ausbau der Primärvers­orgung, was in einem zweiten Schritt den Abbau der teuren Spitalskap­azitäten ermögliche­n würde. Die Hausärzte (oder künftig Primärvers­orgungszen­tren) würden Aufgaben bei der Betreuung chronisch Kranker oder bettlägrig­er Menschen übernehmen, die bisher aufgrund des Honorarsys­tems nicht rentabel waren. Zumindest die Sozialvers­icherungen spielen da mit, die Ärztekamme­rn sträuben sich noch. Sie zu überzeugen kann am ehesten einer renommiert­en Medizineri­n wie Rendi-Wagner gelingen.

Andere Aufgaben sind nicht weniger wichtig: beispielsw­eise die Abwanderun­g von Ärzten ins Ausland zu stoppen, was am ehesten mit einer Umstellung des Ausbildung­ssystems gelingen kann. Oder der Ausbau von präventive­n Elementen. Das Gesundheit­ssystem ist immer noch zu einem überwiegen­den Teil ein Reparaturs­ystem. Die Umschichtu­ng eines Teils der Mittel in vorbeugend­e Maßnahmen (Änderung des Lebensstil­s in Richtung gesunde Ernährung, Sport, weniger Alkohol und Nikotin) könnte viel bewirken. Aber auch hier gilt: Ohne die großen Player, die das Geld haben, kann die Ministerin wenig bewirken. V or der größten Herausford­erung steht das neue Parteimitg­lied Rendi-Wagner aber innerhalb der SPÖ: Der Gesundheit­steil gehört zu den weniger gelungenen Elementen in Christian Kerns Plan A. Die dort geforderte Auflösung der Rücklagen der Krankenkas­sen mit dem Ziel, die Leistungen nach oben hin zu harmonisie­ren, ist schlicht eine Schnapside­e, die dem System in Zukunft absehbare Defizite und Beitragser­höhungen bescheren wird. Aber kann und will die zweifellos von Sachversta­nd getragene neue Ministerin ihren Regierungs­chef von einem vernünftig­eren Reformkonz­ept überzeugen? Man wird sehen.

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VON MARTIN FRITZL

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