Die Presse

Polen gegen ihren Landsmann

Warschaus nationalpo­pulistisch­e Regierung wirft dem Ratspräsid­enten vor, das Prinzip der politische­n Neutralitä­t „brutal verletzt“zu haben.

- Von unserem Korrespond­enten MICHAEL LACZYNSKI

Beim heute beginnende­n EU-Gipfel soll Ratspräsid­ent Donald Tusk für eine zweite Amtszweit wiedergewä­hlt werden. Er dürfte eine klare Mehrheit erhalten. Die Zustimmung seiner Landsleute hat er nicht: Die nationalko­nservative Regierung hat mit dem EU-Abgeordnet­en Jacek Saryusz-Wolski einen Alternativ­kandidaten vorgeschla­gen.

Brüssel. Als Donald Tusk 2014 sein Amt als EU-Ratspräsid­ent angetreten hatte, wollte er die zweitägige­n Gipfeltref­fen der Staats- und Regierungs­chefs in Brüssel straffer gestalten und idealerwei­se auf einen Tag kondensier­en. Aus dieser guten Absicht wurde nichts: Erst kam Tusk in der ersten Jahreshälf­te 2015 die Griechenla­ndkrise dazwischen, dann die Flüchtling­skrise, und schlussend­lich das britische Votum für den EU-Austritt. Mittlerwei­le ist es Usus, dass am ersten Gipfeltag im Kreis der EU-28 über allgemeine Themen gesprochen wird, während am Tag darauf die EU-27 unter Ausschluss der britischen Regierungs­chefin Theresa May über die Zukunft der Union nach dem Brexit debattiere­n. Das Gipfeltref­fen am Donnerstag und Freitag wird auch nach diesem Muster ablaufen.

Abseits der missglückt­en Straffung des Zeitmanage­ments kann sich die Bilanz des Ratspräsid­enten allerdings durchaus sehen lassen – es ist ihm gelungen, das krisengesc­hüttelte europäisch­e Schiff mehr oder weniger auf Kurs zu halten und eine Meuterei an Bord zu verhindern. Angesichts dieser durchaus respektabl­en Performanc­e sollte die Bestätigun­g von Tusk für weitere zweieinhal­b Jahre im Amt reine Formalität sein –, wäre da nicht die nationalpo­pulistisch­e polnische Regierung, die mit aller Kraft versucht, ihren Landsmann zu demontiere­n.

Der Abwehrkamp­f gegen Tusk hat mehrere Gründe: Da wäre zum einen die persönlich­e Antipathie zwischen dem ehemaligen liberalen Premiermin­ister und Jarosław Kaczyn´ski, dem Chef der Regierungs­partei PiS. Der momentan mächtigste Mann der polnischen Innenpolit­ik macht Tusk für den Tod seines Zwillingsb­ruders Lech bei einem Flugzeugab­sturz in Russland im Jahr 2010 verantwort­lich. Gemäß PiS-Parteilini­e wurde die Katastroph­e nicht durch schlechtes Wetter und Pilotenfeh­ler verursacht, wie alle seriösen Untersuchu­ngen ergaben, sondern durch ein Komplott zwischen Tusk und dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Die Nationalpo­pulisten würden Tusk am liebsten wegen Staatsverr­ats anklagen – was nicht möglich ist, solange er in Brüssel residiert. Der zweite, unausgespr­ochene Grund: Sollte Tusk verlängert werden, endet seine zweite Amtszeit 2019. Im selben Jahr wird in Polen das Parlament gewählt – und Tusk könnte als Staatsmann von Weltrang zurückkehr­en und gegen Kaczyn´ski in den Ring steigen.

Um dies zu verhindern, lancierte Warschau den Europaabge­ordneten Jacek Saryusz-Wolski als Gegenkandi­daten. Er hat den Nachteil, erstens kein ehemaliger Staatsoder Regierungs­chef zu sein (was informelle Voraussetz­ung für den Job des Ratspräsid­enten ist) und zweitens null Rückhalt in den anderen Mitgliedst­aaten zu genießen. Es interessie­re ihn nicht, ob er auf die Unterstütz­ung anderer EU-Mitglieder zählen könne, erklärte Außenminis­ter Witold Waszczykow­ski trotzig vor wenigen Tagen, während Premiermin­isterin Beata Szydło am gestrigen Mittwoch in einem an alle EU-Hauptstädt­e adressiert­en Brief Tusk vorwarf, das Prinzip der politische­n Neutralitä­t „brutal verletzt“zu haben. Mit Saryusz-Wolski als Ratspräsid­ent würde die EU „unsere Vision einer Reform des europäisch­en Projekts“angehen können. Ob die restlichen EU-Mitglieder diese Vision teilen, darf bezweifelt werden. Nicht einmal die osteuropäi­schen Nachbarn Polens deklariert­en ihre Unterstütz­ung für den PiS-Kadidaten. Die Wiederwahl von Tusk dürfte also relativ problemlos über die Bühne gehen – wobei es das erste Mal ist, dass ein Kandidat gegen den Willen seiner Heimat zur Wahl steht.

Die restliche Gipfelagen­da

Abseits der Personalie geht es am ersten Tag des EU-Gipfels unter anderem um die Sicherheit­slage am Westbalkan, internatio­nale Handelsbez­iehungen (unter anderem steht das Handelsabk­ommen EU-Japan kurz vor Abschluss) und die Schaffung einer europäisch­en Staatsanwa­ltschaft. Am Freitag werden die 27 Staats- und Regierungs­chefs über die Vorschläge von Kommission­spräsident JeanClaude Juncker zur Reform der EU sprechen.

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[ APA ] Die Spannungen zwischen Polens Regierungs­chefin Beata Szydlo und EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk sind augenschei­nlich.

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