Diese Lieder klagen die Zeit an
Interview. Ein ungleiches Paar: Der düstere australische Sänger Scott Matthew und der portugiesische Folkmusiker Rodrigo Le˜ao gastieren in Wien und Linz.
Auf den ersten Blick haben sie nicht viel gemeinsam: der bärtige australische Düstermann Scott Matthew, der seit Jahren mit glockenheller Stimme im Problemfeld „beschädigte Liebe“herumstochert, und Rodrigo Leao,˜ ehemals Keyboarder der berühmten portugiesischen FadoFolk-Gruppe Madredeus. Wie sind sie zusammengekommen? „Ich war mit Matthews Musik vertraut, seit ich sie im Film ,Shortbus‘ zum ersten Mal gehört hatte“, sagt Leao:˜ „Er hat eine Stimme, die sich sofort einprägt.“Als er dann 2011 Sänger für ein Album suchte, dachte er sofort an Scott Matthew. So begannen sie, an gemeinsamen Liedern zu arbeiten, die nun erstmals veröffentlicht werden: „Life Is Long“ist ein großteils ruhiges Album, auf dem Scotts charismatische Stimme erstmals im Umfeld von Streichern und Bläsern zu hören ist. Die Arbeitsteilung war klar: Leao˜ zeichnet für Komposition und Produktion verantwortlich, Matthew für Songlyrik und Entwicklung der Melodien.
Feinsinnige Geigenmotive
„Let the lifeless ones try to steal our faith, they only try, we always will escape“poltert er in „Death Defying“. Dann schwärmt er zu feinsinnigen Geigenmotiven von der Kraft, die Verliebtheit verleiht. Mit dramatisch kippender Stimme feiert er die Liebe, die sich der Sterblichkeit widersetzt: „We’re more than anything they’ve seen, we’re death defying.“Erfüllte Liebe ist für Matthew eine Brücke in jene Unzeitlichkeit, die man auch Ewigkeit nennen könnte. Mystiker Meister Eckhart sprach von „nunc stans“, vom stehenden Jetzt. Haben Matthew die Streicher zu solch hochfliegenden Gedanken verführt? „Nein. Es war insgesamt Rodrigos Musik. Ich habe ihr erlaubt, mir zu sagen, was ich schreiben soll.“Das Spektrum reicht von Oden an die Einsamkeit („That’s Life“) bis zum Titelsong, der nichts weniger als die Zeit anklagt. Denn: Nur dem Glücklichen schlägt keine Stunde. Verlassene aber beharren auf dem Ticken der Uhr. „Start, stop, tick, tock, eternity is gonna be the end of me“, singt Matthew schmerzvoll.
Den Hässlichkeiten des Lebens etwas abzutrotzen, das so etwas wie Schönheit abstrahlt, ist eine Strategie, die auch Leao˜ verfolgt. Mit Madredeus balancierte er hart am Kitsch. Dabei spielten Bands wie Joy Divison, The Cure und The Clash eine große Rolle in seiner musikalischen Sozialisation. 1994, nach einer ersten Erfahrung mit Filmmusik – dem Soundtrack zu Wim Wenders „Lisbon Story“– begann er eine Solokarriere, arbeitete mit berühmten Musikern wie Ryu¯ichi Sakamoto und Ludovico Einaudi.
Daneben widmete er sich Soundtracks: 2013 befrachtete er etwa „The Butler“von US-Regisseur Lee Daniels mit Musik. „Das war meine bislang tollste Erfahrung mit Filmmusik. Aber dann bekam ich nach langer Zeit wieder Lust auf Produktionen mit Gesang.“So sangen für ihn u. a. Beth Gibbons von Portishead und Stuart Staples von den Tindersticks. Und eben Scott Matthew.
Die Sehnsucht muss konkret sein
Trotz ihrer Schwermütigkeit haben die 13 Lieder von „Life Is Long“entschieden mehr mit heutiger Popmusik als mit portugiesischem Fado zu tun. Matthew hat schon sein letztes Soloalbum „This Here Defeat“in Lissabon aufgenommen. Hat ihn die Stadt beeinflusst? Hat ihn die „Saudade“geprägt, jene – im Fado gefeierte – tiefe Sehnsucht nach etwas Unerreichbarem? Nein, sagt Matthew: „Mir geht es immer um Persönliches. Weniger um Orte, mehr um Personen. Und natürlich um die Liebe.“Auch für die Gefallenen, Gescheiterten. „Toll the bell for those who fell, a legacy of those who lost the deal“, heißt es in „The Fallen“.
Und wie definiert dieser Virtuose des Scheiterns den künstlerischen Erfolg? „Mir reicht es, mich frei ausdrücken zu können. Um Ruhm und Geld geht es mir nicht, sondern darum, zu leben, was in mir angelegt ist. Aber ein bisschen mehr Geld könnte ich schon vertragen, ohne dass ich moralisch verfallen würde . . .“