Die Presse

Diese Lieder klagen die Zeit an

Interview. Ein ungleiches Paar: Der düstere australisc­he Sänger Scott Matthew und der portugiesi­sche Folkmusike­r Rodrigo Le˜ao gastieren in Wien und Linz.

- VON SAMIR H. KÖCK Wiener Konzerthau­s am 17. März, Linzer Posthof am 18. März.

Auf den ersten Blick haben sie nicht viel gemeinsam: der bärtige australisc­he Düstermann Scott Matthew, der seit Jahren mit glockenhel­ler Stimme im Problemfel­d „beschädigt­e Liebe“herumstoch­ert, und Rodrigo Leao,˜ ehemals Keyboarder der berühmten portugiesi­schen FadoFolk-Gruppe Madredeus. Wie sind sie zusammenge­kommen? „Ich war mit Matthews Musik vertraut, seit ich sie im Film ,Shortbus‘ zum ersten Mal gehört hatte“, sagt Leao:˜ „Er hat eine Stimme, die sich sofort einprägt.“Als er dann 2011 Sänger für ein Album suchte, dachte er sofort an Scott Matthew. So begannen sie, an gemeinsame­n Liedern zu arbeiten, die nun erstmals veröffentl­icht werden: „Life Is Long“ist ein großteils ruhiges Album, auf dem Scotts charismati­sche Stimme erstmals im Umfeld von Streichern und Bläsern zu hören ist. Die Arbeitstei­lung war klar: Leao˜ zeichnet für Kompositio­n und Produktion verantwort­lich, Matthew für Songlyrik und Entwicklun­g der Melodien.

Feinsinnig­e Geigenmoti­ve

„Let the lifeless ones try to steal our faith, they only try, we always will escape“poltert er in „Death Defying“. Dann schwärmt er zu feinsinnig­en Geigenmoti­ven von der Kraft, die Verliebthe­it verleiht. Mit dramatisch kippender Stimme feiert er die Liebe, die sich der Sterblichk­eit widersetzt: „We’re more than anything they’ve seen, we’re death defying.“Erfüllte Liebe ist für Matthew eine Brücke in jene Unzeitlich­keit, die man auch Ewigkeit nennen könnte. Mystiker Meister Eckhart sprach von „nunc stans“, vom stehenden Jetzt. Haben Matthew die Streicher zu solch hochfliege­nden Gedanken verführt? „Nein. Es war insgesamt Rodrigos Musik. Ich habe ihr erlaubt, mir zu sagen, was ich schreiben soll.“Das Spektrum reicht von Oden an die Einsamkeit („That’s Life“) bis zum Titelsong, der nichts weniger als die Zeit anklagt. Denn: Nur dem Glückliche­n schlägt keine Stunde. Verlassene aber beharren auf dem Ticken der Uhr. „Start, stop, tick, tock, eternity is gonna be the end of me“, singt Matthew schmerzvol­l.

Den Hässlichke­iten des Lebens etwas abzutrotze­n, das so etwas wie Schönheit abstrahlt, ist eine Strategie, die auch Leao˜ verfolgt. Mit Madredeus balanciert­e er hart am Kitsch. Dabei spielten Bands wie Joy Divison, The Cure und The Clash eine große Rolle in seiner musikalisc­hen Sozialisat­ion. 1994, nach einer ersten Erfahrung mit Filmmusik – dem Soundtrack zu Wim Wenders „Lisbon Story“– begann er eine Solokarrie­re, arbeitete mit berühmten Musikern wie Ryu¯ichi Sakamoto und Ludovico Einaudi.

Daneben widmete er sich Soundtrack­s: 2013 befrachtet­e er etwa „The Butler“von US-Regisseur Lee Daniels mit Musik. „Das war meine bislang tollste Erfahrung mit Filmmusik. Aber dann bekam ich nach langer Zeit wieder Lust auf Produktion­en mit Gesang.“So sangen für ihn u. a. Beth Gibbons von Portishead und Stuart Staples von den Tinderstic­ks. Und eben Scott Matthew.

Die Sehnsucht muss konkret sein

Trotz ihrer Schwermüti­gkeit haben die 13 Lieder von „Life Is Long“entschiede­n mehr mit heutiger Popmusik als mit portugiesi­schem Fado zu tun. Matthew hat schon sein letztes Soloalbum „This Here Defeat“in Lissabon aufgenomme­n. Hat ihn die Stadt beeinfluss­t? Hat ihn die „Saudade“geprägt, jene – im Fado gefeierte – tiefe Sehnsucht nach etwas Unerreichb­arem? Nein, sagt Matthew: „Mir geht es immer um Persönlich­es. Weniger um Orte, mehr um Personen. Und natürlich um die Liebe.“Auch für die Gefallenen, Gescheiter­ten. „Toll the bell for those who fell, a legacy of those who lost the deal“, heißt es in „The Fallen“.

Und wie definiert dieser Virtuose des Scheiterns den künstleris­chen Erfolg? „Mir reicht es, mich frei ausdrücken zu können. Um Ruhm und Geld geht es mir nicht, sondern darum, zu leben, was in mir angelegt ist. Aber ein bisschen mehr Geld könnte ich schon vertragen, ohne dass ich moralisch verfallen würde . . .“

 ?? [ Rita Carmo ] ?? „Er hat eine Stimme, die sich sofort einprägt“, sagt Rodrigo Leao˜ (rechts im Bild) über seinen Kompagnon Scott Matthew (links).
[ Rita Carmo ] „Er hat eine Stimme, die sich sofort einprägt“, sagt Rodrigo Leao˜ (rechts im Bild) über seinen Kompagnon Scott Matthew (links).

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