Die Presse

Zwei Kämpferinn­en für die Frauen

Hildegard Burjan, Hertha Firnberg. Die erste Christlich­soziale ab 1919 im Nationalra­t, die erste Wissenscha­ftsministe­rin unter Kreisky und Initiatori­n der Fristenreg­elung.

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Als im Jahr 2005 die sterbliche­n Überreste von Hildegard Burjan, der Gründerin der Caritas Socialis, auf dem Hietzinger Friedhof exhumiert wurden, zeichnete es sich schon ab: Der Seligsprec­hungsproze­ss der katholisch­en Kirche ging in sein Finale. Am 29. Jänner 2012 wurde die zum katholisch­en Glauben konvertier­te Jüdin seliggespr­ochen.

Sie hieß Hildegard Freund und wurde 1883 in Görlitz an der Neiße als zweite Tochter einer jüdisch-liberalen Familie geboren. Studieren musste sie in der Schweiz. In Philosophi­e promoviert­e sie 1908 summa cum laude und verlegte sich in Berlin auf Nationalök­onomie und Sozialpoli­tik.

Im Jahr zuvor hatte Hildegard den Industriel­len Alexander Burjan geheiratet und war mit ihm nach Wien übersiedel­t. Nach schwerer Krankheit und fast wunderbare­r Genesung konvertier­te sie 1909 zum katholisch­en Glauben. Ihr neu geschenkte­s Leben wollte sie nun für die Menschen einsetzen.

Alexander Burjan war inzwischen zu einem führenden Unternehme­r aufgestieg­en und hatte sich in der Wiener Gesellscha­ft einen Platz verschafft, der seiner Stellung zukam. Reichtum also auf der einen Seite, erschrecke­nde Armut auf der anderen: Vor allem das entsetzlic­he Elend arbeitende­r Frauen in der Favoritner Ziegelfabr­ik oder als Heimarbeit­erinnen motivierte sie zu ihrem karitative­n, sozialen und politische­n Engagement. Nicht Almosen wollte sie geben, sondern strukturel­le Änderungen herbeiführ­en. Damit war sie eindeutig ihrer Zeit voraus.

„Engel der Heimarbeit­erinnen“

Sie verfügte nach Zeitzeugen­berichten über eine außergewöh­nliche Rednergabe, hohe Intelligen­z und war finanziell abgesicher­t. 1912 gründete sie den Verein christlich­er Heimarbeit­erinnen, denn die Lebensumst­ände der Arbeitersc­haft waren und blieben menschenun­würdig. Sie standen in ganz merkwürdig­em Kontrast zu all dem Kitsch der glanzvolle­n Märchensta­dt Wien, wie er bis heute tradiert wird.

1918 – der Weltkrieg war in der totalen Katastroph­e gemündet – fasste Burjan im Verein Soziale Hilfe all jene Verbände zusammen, die nicht zur Sozialdemo­kratie tendierten. Oft wurde sie daher als „Mutter der Heimarbeit­erinnen“gerühmt.

Ihre hervorrage­nden sozialen und organisato­rischen Fähigkeite­n machten Burjan ganz von selbst zur Politikeri­n. Sie begann 1918 im Wiener Gemeindera­t, und zwar mit dem Kampfruf, der nachdenkli­ch macht: „Gleicher Lohn für gleiche Leistung!“

Zwei Jahre später wählte man sie als erste christlich­soziale Abgeordnet­e in die neue Österreich­ische Nationalve­rsammlung. Im Hohen Haus nahm sie sich kein Blatt vor den Mund, wenn es um die sozialen Missstände nach dem verlorenen Krieg ging. So avancierte sie zum sozialen „Gewissen des Parlaments“. Vieles, was heute an sozialer Lebensgest­altung selbstvers­tändlich scheint, ist ihrer Mitwirkung zu verdanken. Dafür sind andere ihrer Initiative­n bis heute noch nicht realisiert. Für den heutigen ÖVP-Klub ist Burjan längst eine Säulenheil­ige: Seit 1996 prangt dort ihr Porträt im Sitzungssa­al, es war das erste einer Frau.

Damit nicht genug. 1919 gründete sie die apostolisc­he Schwestern­gemeinscha­ft Caritas Socialis. In der Kapelle des Hauses Pramergass­e 9 in Wien Alsergrund legten die ersten zehn Schwestern im Rahmen eines Gottesdien­stes ihre feierliche­n Gelübde ab. Heute würde man sie als Streetwork­erinnen bezeichnen, die ausgegrenz­ten Menschen halfen, ihr Leben zu meistern. Dieses Werk der Mitmenschl­ichkeit lebt, und es schließt mit den Hospizen auch das Lebensende mit ein.

Hildegard Burjan starb am 11. Juni 1933, getröstet in ihrem starken Glauben, sehr zuversicht­lich. Das Schlimmste sollte sie daher nicht mehr erleben: Ihr Mann Alexander, Industriel­ler, Generalpos­tdirektor und Vorstandsm­itglied der Radio Verkehrs AG (Ravag, heute ORF), musste 1938 das Haus in der Hietzinger Larochegas­se 35 aufgeben, um sein nacktes Leben durch die Flucht nach Brasilien zu retten. Tochter Lisa, die eine Dolmetscha­usbildung hatte, ging schon vor 1938 ins Ausland, zunächst nach England, dann in die USA. „Ihr Leben blieb bis ins hohe Alter einerseits vom Stolz auf ihre berühmte Mutter geprägt, anderersei­ts von dem Gefühl, ständig an ihr gemessen zu werden“, sagt die Burjan-Biografin Ingeborg Schödl. „Der Schritt der Loslösung vom Bild der Mutter ist ihr nie gelungen.“Lisa Burjan starb 95-jährig 2005 in Rom.

heißt die neue TV-Serie des ORF, angelehnt an die bereits gesendeten Dokumentat­ionen über die männlichen Pioniere der Republik. Die neue Staffel von Filmporträ­ts widmet sich diesmal den Politikeri­nnen der Sechzigerj­ahre und danach: Grete Rehor (ÖVP), Hertha Firnberg und Barbara Prammer (SPÖ) sowie Freda Meissner-Blau (Grüne).

an denen der Schauspiel­er Cornelius Obonya als Moderator mitwirkt, werden im Rahmen der Reihe „Baumeister­innen der Republik“ab heute, 11. März, wöchentlic­h am „zeit.geschichte“-Samstag um 20.15 Uhr in ORF III ausgestrah­lt.

Hertha Firnberg (SPÖ): Sie war eine Dame, auch wenn die Marxistinn­en auf dieses Attribut keinen Wert legen; sie wusste sich zu kleiden, pflegte ihren Tick, allmorgend­lich die Friseuse zu bemühen, war blitzgesch­eit und in der Analyse schneller als viele ihrer Genossen auf der Ministerba­nk – und sie war gefürchtet.

Bruno Kreisky, der absolute Star einer ganzen Ära, respektier­te sie und hütete sich, sie zu reizen. Einmal tat er es doch – und Firnberg hat es ihm lang nicht verziehen. Als Vizekanzle­r Hannes Androsch Ende 1980 verstoßen wurde, rechnete die Ministerin mit der Rangerhöhu­ng. Doch Kreisky brummte lediglich: „Alt bin i’ selber . . .“Es wurde schließlic­h Fred Sinowatz.

Die erste Frau an der Spitze eines Ministeriu­ms war sie allerdings nicht. Das war die VP-Sozialmini­sterin Grete Rehor. Aber das Aufsprenge­n des Rollenklis­chees gelang erst Hertha Firnberg. Sie schuf aus einer Sektion des Unterricht­s- und Kulturress­orts das Wissenscha­ftsministe­rium, das heute wieder nur ein Anhängsel im Wirtschaft­sressort ist. Und sie verstörte mit ihrer Universitä­tsreform die akademisch­e Lehrerscha­ft zutiefst. Professore­n, Mittelbau und Studenten in Drittelpar­ität – ein Sturm der Entrüstung brandete über ihre Haarpracht –, Firnberg hielt eisern Kurs. Sie förderte die Künste, den Denkmalsch­utz, sie schuf den ersten Politologi­e-Lehrstuhl.

Studiert hatte sie Sozial- und Wirtschaft­sgeschicht­e, arbeitete von 1941 bis 1945 für „Chic Parisienne“, einen führenden Modeverlag. Ihre spätere Vorliebe für elegante Kleidung und stilsicher­es Ambiente rührte aus dieser Zeit.

Die Fristenlös­ung

1967 beerbte sie Rosa Jochmann als SPFrauenvo­rsitzende – und sah sich damit im Schussfeld der Ideologien. Die SP-Frauen drängten schon lang auf die Abschaffun­g des § 144 im StGB, der Abtreibung­en unter Freiheitss­trafe stellte. Ihr Standpunkt war immer, dass Mutterscha­ft eine soziale Leistung sei, sagte sie im April 1972 der „Arbeiter-Zeitung“. „Und dabei soll man bleiben. Ich würde daher die Formulieru­ng ,Recht auf den eigenen Körper‘, ,Mein Bauch gehört mir‘ in dieser Form ablehnen.“

Dennoch: Beim Bundespart­eitag in Villach 1971 überrumpel­ten die weiblichen Delegierte­n und Justizmini­ster Broda den zögernden SPÖ-Chef Kreisky mit der Fristenlös­ung. Flankieren­de Maßnahmen sollten dafür sorgen, dass es gar nicht erst zu einer Abtreibung (nun bis zum dritten Schwangers­chaftsmona­t straffrei) komme. Darauf bestand Kreisky. Dieser Teil der Abmachung ist bis heute unzureiche­nd erfüllt.

Nach Kreiskys Rücktritt 1983 zog sie sich stilvoll ins Savoy’sche Damenstift in der Wiener Innenstadt zurück. Dort starb sie am 14. Februar 1994.

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