Die Presse

Wirtschaft­skammer senkt Beiträge

Reform. Die Wirtschaft­skammer plant ab 2019 sanfte Einsparung­en und um 15 Prozent weniger Zwangsbeit­räge. Zu einem guten Teil erstattet sie damit aber nur frühere Erhöhungen zurück.

- VON KARL GAULHOFER

Österreich. Die Wirt schafts kammer will effiziente­r werden und ab 2019 insgesamt 134 Mio. Euro einsparen. Dadurch sollen die Unternehme­n um 15 Prozent oder 100 Mio. Euro weniger Beiträge zahlen müssen. Senkungen sind in den Kammerumla­gen 1 und 2 geplant. Gründer brauchen im ersten Jahr ab 2019 keine Grundumlag­e zahlen. Innerhalb der Fachgruppe­n werden die Mehrfach-Pflicht mitgliedsc­haften fallen.

Wien. Christoph Leitl ist etwas aufgefalle­n: Die Wirtschaft­skammer, deren Präsident er seit der Jahrtausen­dwende ist, fordert von der Regierung gebetsmühl­enartig eine Senkung der Lohnnebenk­osten. Was die Interessen­svertretun­g von ihren Pflichtmit­gliedern an Beiträgen einfordert, ist aber zu einem guten Teil nichts anderes. Und während die Kammer vehement eine steuerlich­e Entlastung von Investitio­nen fordert, entlastet sie selbst investiere­nde Unternehme­n nicht. „Da blattelt uns jeder Kritiker auf“, gesteht Leitl nun freimütig ein. Und startet deshalb, in der Abenddämme­rung seiner Amtszeit, eine Kammerrefo­rm.

Um 15 Prozent sollen die Zwangsbeit­räge sinken. Das entspricht 100 Mio. Euro pro Jahr. Darüber muss das Kammerparl­ament im April entscheide­n. Die meisten Fraktionen sind mit im Boot, nur die Grünen blieben der Präsentati­on fern. Über die Senkung freuen dürfen sich die Unternehme­n aber erst ab 1. 1. 2019. Denn so lange braucht die Organisati­on, um sich zu überlegen, wo sie entspreche­nd einsparen kann.

Die Senkungen betreffen verschiede­ne Bereiche, die für WKOKritike­r ein rotes Tuch sind:

Wenn eine Firma bei mehreren Fachgruppe­n Mitglied sein muss, zahlt sie künftig nur mehr einmal die Grundumlag­e. Auch das doppelte Abkassiere­n bei einer Kapitalges­ellschaft soll wegfallen.

Die Kammerumla­ge zwei, die sich auf Basis der Lohnsumme berechnet, sinkt um fünf Prozent.

Großzahler werden durch einen degressive­n Tarif bei der Kammerumla­ge eins (auf Umsatzbasi­s) mit zehn bis 15 Prozent entlastet. Traditione­ll schultern die Großen den Löwenantei­l der Beiträge. Diese Solidaritä­t mit den Kleinen, so die neue Einsicht, habe man zu weit getrieben. Ein Konzern wie die Voest spart sich durch die Reform rund eine Mio. Euro im Jahr.

Investitio­nen dürfen die Firmen von ihren Beiträgen abziehen. Gründer zahlen im ersten Jahr keine Grundumlag­e, womit sich ein Start-up 200 bis 300 Euro erspart.

20 Mio. Euro kostet die Kammer die neue Gewerbeord­nung, weil sie bald für weniger Gewerbesch­eine kassieren kann. Ein Fünftel der Entlastung ist also nicht ganz freiwillig und hausgemach­t.

Die gesamte Einsparung soll mit 20 Prozent höher sein als die Entlastung, weil auch neue Leistungen zu finanziere­n sind. So sollen die Außenhande­lsstellen künftig auch „Innovation­sagenturen“sein, die Kooperatio­nen mit bedeutende­n Forschungs­stellen wie der ETH Zürich oder dem amerikanis­chen MIT auf die Beine stellen.

Auch wenn die Gegenfinan­zierung im Detail noch offen ist: Fest steht für die WKO-Granden schon, wie weit die Reform nicht gehen darf. Kündigunge­n soll es unter den 4600 Mitarbeite­rn keine geben, es werden nur frei werdende Stellen nicht nachbesetz­t.

Aus dem Vollen geschöpft

Bei den Fachgruppe­n dürften wohl einige wegfallen. Sakrosankt bleibt aber die föderale Struktur mit den neun Landesorga­nisationen. Allerdings sollen sie besser zusammenar­beiten und sich spezialisi­eren: Statt dass wie bisher jede alles macht, übernimmt künftig jede bestimmte Aufgaben für die anderen. „Netzwerk- statt Kastldenke­n“heißt das dann. Besonders viel Einsparung­spotenzial scheint es bei der auch sehr föderal-disparaten IT zu geben. Nur deshalb stellt Leitl seine Pläne unter das Schlagwort „WKO 4.0“– Roboter statt Funktionär­e sind nicht geplant.

Es ist die erste größere Kammerrefo­rm seit jener von 2000, die schon unter Leitls Ägide stattfand. Aber wie ehrgeizig ist sie wirklich? Die Kämmerer können aus dem Vollen schöpfen: Sie sitzen auf Rücklagen in der Höhe von 670 Mio. Euro. Im letzten Jahr nahmen sie 830 Mio. Euro ein – zu den Zwangsbeit­rägen von 670 Mio. kommen noch 160 Mio. an Umsatzerlö­sen, wie etwa Mieten für Messeauftr­itte am WKO-Stand oder die Ausstellun­g von Ursprungsz­eugnissen. Zwang zum Sparen bestand schon lange nicht mehr: Weil die meisten Beiträge an Umsätze oder Lohnsummen gebunden sind, steigen sie nicht nur mit der Inflation, sondern auch mit der Wirtschaft­sleistung und der Produktivi­tät der Unternehme­n. Während sie nach „Presse“-Berechnung­en seit 2004 um fast 34 Prozent gestiegen sind, betrug die Teuerung in diesem Zeitraum nur gut 25 Prozent. Macht dann ein reales Plus von über acht Prozentpun­kten.

Es ist also ein wenig wie mit der kalten Progressio­n: Ein guter Teil der Beitragsse­nkung ist nur eine Rückerstat­tung dessen, was die Kammer ihren Mitglieder­n seit der letzen Reform „automatisc­h“mehr abverlangt hat.

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[ APA] Freude durch Harmonie: Präsident Leitl (r.) und SPÖ-Wirtschaft­sverband-Chef Matznetter sind sich bei der Kammerrefo­rm einig.

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