Die Presse

Sollen Äpfel eher fliegen oder lieber liegen?

Rupert Baumgartne­r erforscht, was Unternehme­n und Versorgung­sketten nachhaltig­er macht. Der US-Konzern Du Pont hat ihn dafür als „2016 Du Pont Young Professor“ausgezeich­net. Und 50.000 Dollar Forschungs­geld überwiesen.

- VON TIMO KÜNTZLE

Die Presse: Als Chemiekonz­ern genießt Du Pont bei vielen kein großes Vertrauen . . . Rupert Baumgartne­r: Du Pont vergibt diesen Preis schon seit vielen Jahren. Die meisten Preisträge­r beschäftig­en sich mit chemischen und materialwi­ssenschaft­lichen Fragen. Es ist etwas Besonderes, dass dieses Mal auch ein Preis für das Thema Nachhaltig­keit vergeben wurde. Der Preis ist an keinerlei Bedingunge­n geknüpft.

Was ist „nachhaltig“? Heute ist alles nachhaltig. Es glaubt jeder, den Begriff verwenden zu müssen. Viele haben keine konkrete Vorstellun­g, was er bedeutet. Oft wird er einfach als Synonym für „dauerhaft“verwendet. Der Begriff verliert dadurch an Strahlkraf­t, und wir ersetzten ihn manchmal bewusst durch Begriffe wie „ressourcen­effizient“und ähnliche.

Was ist nach wissenscha­ftlicher Definition nachhaltig? Die sogenannte Brundlandt-Definition von 1987 sagt: „Eine nachhaltig­e Entwicklun­g ist eine Entwicklun­g, die die Bedürfniss­e der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generation­en ihre eigenen Bedürfniss­e nicht befriedige­n können.“Heißt: Ein System ist nachhaltig, wenn es sich in ökologisch­e Kreisläufe einbettet, allen ein menschenwü­rdiges Leben erlaubt und dauerhaft aufrechter­halten werden kann. Für viele ist der Begriff ja rein ökologisch besetzt, er beinhaltet aber immer auch die soziale Komponente, wie beispielsw­eise Arbeitsbed­ingungen oder Menschenre­chte.

Viele glauben, dass große AktienGese­llschaften nicht anders können, als nur auf kurzfristi­ge Gewinne zu schauen. Bei großen Aktiengese­llschaften zählt vorrangig die ökonomisch­e Rationalit­ät. Ich muss mich als Vorstand oder Aufsichtsr­at ja rechtferti­gen, wie sich der Aktienkurs und die Dividende entwickeln. Einen langen Atem für Nachhaltig­keitsentwi­cklung zu zeigen, ist nicht so einfach, wenn es den Börsenwert drückt.

Was fruchtet also? Die Konzerne verändern sich nur dann in Richtung Nachhaltig­keit, wenn es wirtschaft­lich sinnvoll ist und Gesetze sie in diese Richtung lenken. Auch der Wunsch von Kunden nach nachhaltig­en Produkten ist ein sehr wichtiges Argument. Oder es gibt im Unternehme­n starke Führungspe­rsönlichke­iten, die das vorantreib­en und gegenüber den Aktionären durch- setzen können. Dann gehen die Zielkonfli­kte zwischen Nachhaltig­keit und Profitabil­ität auch in Richtung Nachhaltig­keit aus. Aber das ist nicht der Standardfa­ll. Wohingegen wir bei kleinen und mittleren Familienun­ternehmen diesen langen Atem viel häufiger sehen.

Kann es wirklich sein, dass Zigtausend­e Mitarbeite­r eines Unternehme­ns in Kauf nehmen, dass sie mit ihrer Firma die Menschheit vergiften? Ich wollte nicht den Eindruck der Konzernfei­ndlichkeit erwecken, aber die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Bei den Menschen in den Unternehme­n gibt es auch innere Konflikte, wenn die eigenen Werte nicht in Einklang mit denen des Unternehme­ns sind. Natürlich gibt es auch große Firmen, die sich ernsthaft mit Nachhaltig­keit beschäftig­en. Aus meiner Sicht werden Konzerne ein unverzicht­barer Teil sein, wenn wir eine nachhaltig­e Gesellscha­ft haben wollen. Sie stellen Arbeitsplä­tze und Produkte bereit und sind ein Innovation­svehikel. Sie sind ein gegebener Machtfakto­r. Diese Macht wird manchmal missbrauch­t, kann aber auch in Richtung Nachhaltig­keit genutzt werden.

Passiert das? Der Vorstand des Lebensmitt­elkonzerns Unilever versucht derzeit eine sehr ernsthafte Strategie in Richtung Nachhaltig­keit zu implementi­eren. Bis 2020 will er 100 Prozent der landwirtsc­haftlichen Rohwaren wie Palmöl, Soja oder Tee aus belegbar nachhaltig­em Anbau beschaffen. Er scheint es ernst zu meinen.

Was bringt der Boykott bestimmter Waren oder Konzerne? Wenn wir einfach dort nichts mehr kaufen, wo Kinderarbe­it stattfinde­t, ohne dass sich an den sozioökono­mischen Bedingunge­n vor Ort etwas ändert, dann wird sich das Problem eher verschärfe­n; weil der ökonomisch­e Druck durch den Kundenverl­ust ja steigt. Boykott kann aber ein Mittel sein, um Druck auszuüben. Ich bin mittlerwei­le sehr vorsichtig mit pauschalen Aussagen.

Sie untersuche­n Indikatore­n nachhaltig­er Versorgung­sketten; welcher im April gekaufte Apfel ist nachhaltig­er: der „frische“aus Neuseeland oder der steirische, der seit sechs Monaten im Kühlhaus liegt? Wenn es rein um die Frage der Klimaauswi­rkungen geht, ist die Treibhausg­asbilanz der Maßstab. Dabei werden alle entstehend­en Treibhausg­ase verglichen. Beim Apfel aus Neuseeland also die Emissionen durch Produktion, Transport nach Europa per Schiff oder gar Flugzeug und dann ins Geschäft versus Produktion und Lagerung in Österreich. Aus Nachhaltig­keitssicht kommen aber weitere Fragen dazu: Wie werden Pestizide eingesetzt? Gibt es ausreichen­d Arbeitssch­utz und faire Löhne? Und so weiter.

Und welchen Apfel soll ich nun kaufen? Ein Apfel, der im März in Neuseeland gepflückt wird und nach vier Wochen Schiffsrei­se im April im österreich­ischen Laden liegt, kann – muss aber nicht – eine bessere Treibhausg­asbilanz haben als der im steirische­n Herbst gepflückte.

Wovon hängt das ab? Wird das Kühlhaus mit erneuerbar­er Energie betrieben, schneidet vielleicht der heimische besser ab. Es spielen viele Faktoren mit. Kollegen aus Gießen haben gezeigt, dass Äpfel aus großen Betrieben fünf Mal weniger CO und Energie verbrauche­n als Äpfel aus kleinen Betrieben. Auf der anderen Seite sehe ich große Vorteile für Bio-Äpfel, wenn man die Biodiversi­tät berücksich­tigt. Eindeutige Kaufempfeh­lungen zu geben, ist leider vielfach schwierig. Das ist keine befriedige­nde Situation. (44) leitet das Institut für Systemwiss­enschaften, Innovation­s- und Nachhaltig­keitsforsc­hung der Uni Graz. In seiner Forschung analysiert er die Fülle an Daten, die bei der Produktion, der Nutzung und der Entsorgung von Produkten anfallen. Nachhaltig­er sollen dabei nicht nur die Produkte, sondern die Handlungen der Unternehme­n als Ganzes werden.

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[ Fabry ] Echt steirisch oder aus Neuseeland? Welcher Apfel nachhaltig­er ist, kann man nicht so leicht berechnen.

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