Die Presse

Gewandelte Feindbilde­r

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QDem Wandel der Zeit unterliege­n auch die Feindbilde­r: Wer sich in den 1990er-Jahren vor kriminelle­n Osteuropäe­rn fürchtete, hat nun Angst vor gewaltbere­iten Muslimen. Die dritte Gemeinsamk­eit: Populisten sind ausgesproc­hen geschickt darin, Gemeinscha­ften zu konstruier­en. Historisch betrachtet stand diese Fertigkeit am Anfang des langen Prozesses der Staatsbild­ung. Stämme und Clans konnten erst dann zu größeren Gebilden verschmelz­en, als ihre Mitglieder davon überzeugt waren, sie hätten gemeinsame Überzeugun­gen und Gebräuche. Nicht umsonst werden Nationalst­aaten auch als „imaginiert­e Gemeinscha­ften“bezeichnet. Die Erzeugung eines Zusammenge­hörigkeits­gefühls steht auch im Mittelpunk­t des populistis­chen Tagesgesch­äfts; der Wahlspruch dazu lautet: „Wir – und nur wir – sind das Volk“, wie es der in Princeton lehrende Politologe Jan-Werner Müller formuliert. Wobei es in dieser Hinsicht allerdings einen klaren Unterschie­d zwischen Rechts- und Linkspopul­isten gibt. Erstere definieren das Volk anhand von Kriterien wie Abstammung, Sprache oder Heimatverb­undenheit, Letztere als Gegenpart zur neoliberal­en Oligarchie.

Wenn also Rechtspopu­listen „Unser Geld für unsere Leute“fordern, behaupten die Linkspopul­isten, sie seien die „99 Prozent“– so lautete der Slogan der „Occupy-WallStreet“-Bewegung, die als Reaktion auf die im Zuge der Finanzkris­e bekannt gewordenen Exzesse der Investment­banken entstand. Anders ausgedrück­t: Der Rechtspopu­lismus schließt aus, der Linkspopul­ismus schließt ein. Man kann „unseren Leuten“nicht einfach so beitreten, aber sehr wohl bei der Besetzung der Wall Street mitmachen, sofern man auch daran glaubt, dass der Finanzkapi­talismus die Wurzel allen Übels ist.

Beiden Anschauung­en ist gemein, dass sie, zu Ende gedacht, die Abschaffun­g der Politik zum Ziel haben. Denn alle politische­n Prozesse gehen von der Grundannah­me aus, dass es unterschie­dliche legitime Interessen gibt, die es zu moderieren und miteinande­r kompatibel zu machen gilt. In einer Welt, in der ein imaginiert­es „Volk“immer recht hat, gibt es keinen Bedarf an Auseinande­rsetzung mit anderen Positionen.

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