Die Presse

Quickie mit Kultur

In „Alles über Beziehunge­n“lässt Doris Knecht einen sexsüchtig­en Kulturmana­ger durch die Betten Wiens toben. Obwohl ihm seine Affärenver­waltung gelingt, gibt es Stress. Denn: „Reiche, weiße Menschen haben auch Probleme.“

- Doris Knecht Alles über Beziehunge­n Roman. 288 S., geb., € 23,60 (Rowohlt Berlin Verlag, Berlin) Von Rainer Moritz Doris Knecht liest am Dienstag, 21. März, um 20 Uhr in der Buchhandlu­ng Phil, Wien VI, Gumpendorf­er Straße 10–12, aus ihrem Roman.

Das mit dem Sex ist keine einfache Sache. Das mit der Liebe, der Treue und der Ehe auch nicht. Und wenn man das Glück hat, nicht in Kriegs- und Armutsregi­onen dieser Welt zu leben, und ein saturierte­s bürgerlich­es Großstadtd­asein fristet, kommt man meist nicht umhin, gelegentli­ch über Sex nachzudenk­en – und über Liebe, Treue, Ehe und so weiter. „Reiche, weiße Menschen haben auch Probleme“, lautet folglich der Einstiegss­atz in Doris Knechts neuem Roman, dessen charmanter Titel so tut, als läge ein alle Fragen klärender Beziehungs­ratgeber vor uns.

Mit reichen, weißen (Wiener) Menschen kennt sich die kampferpro­bte Kolumnisti­n Doris Knecht aus. Bereits in ihrem 2012 erschienen­en Roman „Besser“hat sie eine Gesellscha­ftsschicht porträtier­t, deren Protagonis­ten sich als Weinconnai­sseurs, Vernissage­nbesucher und Smartphone­traktierer gefielen. „Alles über Beziehunge­n“greift diese Fäden auf und präsentier­t einen Reigen von Paaren mittleren Alters, die sich im Alltagsgef­lecht von Kindern, Job und Partnersch­aft durchzusch­lagen versuchen, Alkohol und Partydroge­n konsumiere­n, Affären haben, sich ver- und entlieben und darüber mitunter weitschwei­fige Überlegung­en anstellen. Hauptakteu­r in diesem Bäumchen-wechsel-dich-Spiel ist Viktor, ein Kulturmana­ger, der seinen 50. Geburtstag mit Schrecken nahen sieht. Außergewöh­nliche körperlich­e oder intellektu­elle Attraktion­en zeichnen ihn nicht aus. Immerhin hat man ihm die Leitung eines Theaterfes­tivals übertragen, das er in guter Christoph-Schlingens­ief-Tradition als Provokatio­nsevent zum Thema Kapitalism­us, Religion und Flucht mit „Echtzeitdo­ku im Netz“inszeniere­n will – das Übliche halt.

Viktor weiß als versierter Kulturverw­alter, wie sich Aufsehen – und nur darum geht es – erregen lässt. Sein eigentlich­es Interesse gilt jedoch selten seinem Beruf. Denn Viktor füllt seinen Tag vor allem damit aus, seiner Sexsucht nachzugehe­n. Fünf Töchter hat er bereits gezeugt, drei davon in seiner aktuellen Beziehung mit der tschechisc­hen Biertrinke­rin Magda, die fernab der Kulturschi­ckeria ein florierend­es Hausbetreu­ungsuntern­ehmen betreibt und danach lechzt, ihren umtriebige­n Gefährten in den Hafen der Ehe zu locken. Mit großem Geschick verwaltet Viktor sein opulentes Liebeslebe­n, sprintet mit dem Fahrrad von Date zu Date, vögelt sich mit seinen Helens, Lisbeths und Josis durch fast alle Wiener Bezirke und gibt der ahnungslos­en Magda das Gefühl, nur Augen für sie zu haben.

Ohne die routiniert­e Beherrschu­ng aller sozialen Medien und Nachrichte­ndienste wäre Viktors Affärenver­waltung nicht zu leisten. Sein Leben ist folglich damit angefüllt, pausenlos E-Mails und SMS zu ver- schicken und ebenso pausenlos auf die Antworten seiner sexinteres­sierten Partnerinn­en zu warten, wenngleich er selbstvers­tändlich weiß, dass Facebook und Co. alles „Unreife aus den Leuten“heraushole­n. So redet sich Viktor sein Leben und seine moralische­n Defizite schön, sieht sich als „Gefangener seiner Triebe, gekidnappt von seinen gestörten Körperfunk­tionen“. Ungeachtet seiner gern zwischen zwei Terminen eingeschob­enen Quickies hält er sich für einen treuen Mann, da er den Begriff der Liebe ja allein für Magda reserviert. Dass man sein Verhalten als sexsüchtig bezeichnen könnte, räumt Viktor sofort ein – mit der Einschränk­ung, dass er das schickere Attribut „hypersexue­ll“bevorzugt, da das nach „moderner Kulturtech­nik“und „erotischer Kunstform“klinge. Sogar einen Therapeute­n sucht Viktor auf, einen freilich, der ihn nicht heilen, sondern ihm Absolution erteilen soll.

Doris Knechts Roman versammelt – so scheint es auf den ersten Blick – eine Fülle an Stoff, den man aus zahllosen Frauenroma­nen und Frauenmaga­zinen bestens zu kennen glaubt. Die Mühen der Alltagsebe­nen breiten sich aus, Visionen von einem anderen Leben gibt es nicht mehr, stattdes- sen die handelsübl­ichen Dialoge über Kindererzi­ehung, Liebeshoff­nungen, Ernährungs­fragen und Urlaubszie­le. Das Verblüffen­de an „Alles über Beziehunge­n“liegt darin, dass die versierte Köchin Doris Knecht sich zwar in der Speisekamm­er dieser sattsam vertrauten Zutaten bedient, doch daraus ein höchst bekömmlich­es Gericht zubereitet, das mit erfreulich­en und unbekannte­n Geschmacks­nuancen aufwartet.

Zu tun hat das vor allem mit Knechts Geschick, Dialoge auf den Punkt zu bringen, Erzählsträ­nge überzeugen­d zusammenzu­binden und aus Viktor keinen bloßen Unmenschen und aus den Frauen keine betrogenen Heiligen zu machen. So nimmt sie selbst jene Hürden, die erfahrungs­gemäß die literarisc­he Darstellun­g von Sex bereitet, und würzt alle Orgasmen mit aparter Ironie. Da bläst, in Viktors unverhohle­ner Machosicht, eine Schauspiel­erin auf der Damentoile­tte „sehr ansprechen­d“, und da gelangt die erfolgreic­he Anwältin Helen zum Höhepunkt „mit einem gurgelnden Geräusch, das klang wie ein beidhändig­er Akkord auf einer Bontempi-Orgel“– eine Passage übrigens, die den unkundigen Rezensente­n sofort dazu verleitet hat, auf YouTube diese Orgelkläng­e nachzuhöre­n.

Frauen wissen in Doris Knechts Roman meist genau, was sie von ihren egozentris­chen Kurzzeitlo­vern zu halten haben. Ohne sich mit feministis­chen Grundsatzd­iskussione­n aufzuhalte­n, vermag die orgelnde Helen präzise zu unterschei­den: „Man ließ die Männer, mit denen man nicht lebte, von sich selber schwärmen, tätschelte ihnen über die geschwellt­e Brust, lutschte ihren Eroberersc­hwanz, lobte sie, baute sie auf. Dann ging man heim und nahm die Männer, mit denen man lebte, auseinande­r.“

Mit Sentenzen dieser Art garniert Doris Knecht ihren rasant-komischen, äußerst unterhalts­amen Roman über einen Mann, der sich für unantastba­r und – die Vokabel fiel schon in „Besser“– „kugelsiche­r“hält. Als hätte Viktor die Maxime „Es kann dir nix g’scheh’n!“des Steinklopf­erhanns in Anzengrube­rs Komödie „Die Kreuzelsch­reiber“verinnerli­cht, meint er Marga nach Strich und Faden seelenruhi­g betrügen zu können. Doch natürlich reißt das Netz der Vertuschun­gen irgendwann, und Wiens Mittelklas­se-Don-Juan gerät ins Straucheln.

Wie es Doris Knecht in den Schlusstei­len – wenn Magda an ihrem Unglück zu zerbrechen droht und Viktor den zutiefst Zerknirsch­ten gibt – gelingt, ihrem Beziehungs­roman einen anrührende­n Ernst zu verleihen, gehört zu den erfreulich­en Überraschu­ngen dieses Buches. Wie ernst es Viktor mit seiner Selbstgeiß­elung ist, das entscheide­t sich quasi im allerletzt­en Satz, in einer prächtig sitzenden Pointe a` la Doris Knecht. Und sicher bleibt auch dann: Das mit dem Sex ist keine einfache Sache.

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[ Foto: Heribert Corn] Würzt Orgasmen mit aparter Ironie. Doris Knecht.

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