Quickie mit Kultur
In „Alles über Beziehungen“lässt Doris Knecht einen sexsüchtigen Kulturmanager durch die Betten Wiens toben. Obwohl ihm seine Affärenverwaltung gelingt, gibt es Stress. Denn: „Reiche, weiße Menschen haben auch Probleme.“
Das mit dem Sex ist keine einfache Sache. Das mit der Liebe, der Treue und der Ehe auch nicht. Und wenn man das Glück hat, nicht in Kriegs- und Armutsregionen dieser Welt zu leben, und ein saturiertes bürgerliches Großstadtdasein fristet, kommt man meist nicht umhin, gelegentlich über Sex nachzudenken – und über Liebe, Treue, Ehe und so weiter. „Reiche, weiße Menschen haben auch Probleme“, lautet folglich der Einstiegssatz in Doris Knechts neuem Roman, dessen charmanter Titel so tut, als läge ein alle Fragen klärender Beziehungsratgeber vor uns.
Mit reichen, weißen (Wiener) Menschen kennt sich die kampferprobte Kolumnistin Doris Knecht aus. Bereits in ihrem 2012 erschienenen Roman „Besser“hat sie eine Gesellschaftsschicht porträtiert, deren Protagonisten sich als Weinconnaisseurs, Vernissagenbesucher und Smartphonetraktierer gefielen. „Alles über Beziehungen“greift diese Fäden auf und präsentiert einen Reigen von Paaren mittleren Alters, die sich im Alltagsgeflecht von Kindern, Job und Partnerschaft durchzuschlagen versuchen, Alkohol und Partydrogen konsumieren, Affären haben, sich ver- und entlieben und darüber mitunter weitschweifige Überlegungen anstellen. Hauptakteur in diesem Bäumchen-wechsel-dich-Spiel ist Viktor, ein Kulturmanager, der seinen 50. Geburtstag mit Schrecken nahen sieht. Außergewöhnliche körperliche oder intellektuelle Attraktionen zeichnen ihn nicht aus. Immerhin hat man ihm die Leitung eines Theaterfestivals übertragen, das er in guter Christoph-Schlingensief-Tradition als Provokationsevent zum Thema Kapitalismus, Religion und Flucht mit „Echtzeitdoku im Netz“inszenieren will – das Übliche halt.
Viktor weiß als versierter Kulturverwalter, wie sich Aufsehen – und nur darum geht es – erregen lässt. Sein eigentliches Interesse gilt jedoch selten seinem Beruf. Denn Viktor füllt seinen Tag vor allem damit aus, seiner Sexsucht nachzugehen. Fünf Töchter hat er bereits gezeugt, drei davon in seiner aktuellen Beziehung mit der tschechischen Biertrinkerin Magda, die fernab der Kulturschickeria ein florierendes Hausbetreuungsunternehmen betreibt und danach lechzt, ihren umtriebigen Gefährten in den Hafen der Ehe zu locken. Mit großem Geschick verwaltet Viktor sein opulentes Liebesleben, sprintet mit dem Fahrrad von Date zu Date, vögelt sich mit seinen Helens, Lisbeths und Josis durch fast alle Wiener Bezirke und gibt der ahnungslosen Magda das Gefühl, nur Augen für sie zu haben.
Ohne die routinierte Beherrschung aller sozialen Medien und Nachrichtendienste wäre Viktors Affärenverwaltung nicht zu leisten. Sein Leben ist folglich damit angefüllt, pausenlos E-Mails und SMS zu ver- schicken und ebenso pausenlos auf die Antworten seiner sexinteressierten Partnerinnen zu warten, wenngleich er selbstverständlich weiß, dass Facebook und Co. alles „Unreife aus den Leuten“herausholen. So redet sich Viktor sein Leben und seine moralischen Defizite schön, sieht sich als „Gefangener seiner Triebe, gekidnappt von seinen gestörten Körperfunktionen“. Ungeachtet seiner gern zwischen zwei Terminen eingeschobenen Quickies hält er sich für einen treuen Mann, da er den Begriff der Liebe ja allein für Magda reserviert. Dass man sein Verhalten als sexsüchtig bezeichnen könnte, räumt Viktor sofort ein – mit der Einschränkung, dass er das schickere Attribut „hypersexuell“bevorzugt, da das nach „moderner Kulturtechnik“und „erotischer Kunstform“klinge. Sogar einen Therapeuten sucht Viktor auf, einen freilich, der ihn nicht heilen, sondern ihm Absolution erteilen soll.
Doris Knechts Roman versammelt – so scheint es auf den ersten Blick – eine Fülle an Stoff, den man aus zahllosen Frauenromanen und Frauenmagazinen bestens zu kennen glaubt. Die Mühen der Alltagsebenen breiten sich aus, Visionen von einem anderen Leben gibt es nicht mehr, stattdes- sen die handelsüblichen Dialoge über Kindererziehung, Liebeshoffnungen, Ernährungsfragen und Urlaubsziele. Das Verblüffende an „Alles über Beziehungen“liegt darin, dass die versierte Köchin Doris Knecht sich zwar in der Speisekammer dieser sattsam vertrauten Zutaten bedient, doch daraus ein höchst bekömmliches Gericht zubereitet, das mit erfreulichen und unbekannten Geschmacksnuancen aufwartet.
Zu tun hat das vor allem mit Knechts Geschick, Dialoge auf den Punkt zu bringen, Erzählstränge überzeugend zusammenzubinden und aus Viktor keinen bloßen Unmenschen und aus den Frauen keine betrogenen Heiligen zu machen. So nimmt sie selbst jene Hürden, die erfahrungsgemäß die literarische Darstellung von Sex bereitet, und würzt alle Orgasmen mit aparter Ironie. Da bläst, in Viktors unverhohlener Machosicht, eine Schauspielerin auf der Damentoilette „sehr ansprechend“, und da gelangt die erfolgreiche Anwältin Helen zum Höhepunkt „mit einem gurgelnden Geräusch, das klang wie ein beidhändiger Akkord auf einer Bontempi-Orgel“– eine Passage übrigens, die den unkundigen Rezensenten sofort dazu verleitet hat, auf YouTube diese Orgelklänge nachzuhören.
Frauen wissen in Doris Knechts Roman meist genau, was sie von ihren egozentrischen Kurzzeitlovern zu halten haben. Ohne sich mit feministischen Grundsatzdiskussionen aufzuhalten, vermag die orgelnde Helen präzise zu unterscheiden: „Man ließ die Männer, mit denen man nicht lebte, von sich selber schwärmen, tätschelte ihnen über die geschwellte Brust, lutschte ihren Erobererschwanz, lobte sie, baute sie auf. Dann ging man heim und nahm die Männer, mit denen man lebte, auseinander.“
Mit Sentenzen dieser Art garniert Doris Knecht ihren rasant-komischen, äußerst unterhaltsamen Roman über einen Mann, der sich für unantastbar und – die Vokabel fiel schon in „Besser“– „kugelsicher“hält. Als hätte Viktor die Maxime „Es kann dir nix g’scheh’n!“des Steinklopferhanns in Anzengrubers Komödie „Die Kreuzelschreiber“verinnerlicht, meint er Marga nach Strich und Faden seelenruhig betrügen zu können. Doch natürlich reißt das Netz der Vertuschungen irgendwann, und Wiens Mittelklasse-Don-Juan gerät ins Straucheln.
Wie es Doris Knecht in den Schlussteilen – wenn Magda an ihrem Unglück zu zerbrechen droht und Viktor den zutiefst Zerknirschten gibt – gelingt, ihrem Beziehungsroman einen anrührenden Ernst zu verleihen, gehört zu den erfreulichen Überraschungen dieses Buches. Wie ernst es Viktor mit seiner Selbstgeißelung ist, das entscheidet sich quasi im allerletzten Satz, in einer prächtig sitzenden Pointe a` la Doris Knecht. Und sicher bleibt auch dann: Das mit dem Sex ist keine einfache Sache.