Gewalttätige Melancholie
Mit Galgenhumor: Radek Knapps Erzählung über seine „Exilierung“nach Wien.
Wenn Historiker einmal eine Bezeichnung für die jüngere Vergangenheit suchen werden, könnten sie sich auf „Zeitalter der Migration“einigen. Es ist nicht erst mit der Massenflucht aus Syrien ausgebrochen, und nicht immer hat es die gleichen Reaktionen ausgelöst. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind nicht wenige Süd- und Osteuropäer aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlicher Fortune gen Norden und gen Westen gezogen und bilden dort, was man salopp Multikulti nennt.
Die Standardfrage, in welchem Ausmaß ein literarisches Werk sich aus autobiografischen Erfahrungen speist, drängt sich bei Radek Knapps schmalem Buch „Der Mann, der Luft zum Frühstück aß“auf. Sein Ich-Erzähler ist, wie sein 1964 in Polen geborener Autor, als Kind mit der Mutter nach Wien übersiedelt, und so ist die Emigrationsgeschichte zugleich eine Coming-of-Age-Story, ein Genre, an dem es nicht gerade mangelt, weil halt jede und jeder einmal die tragikomische Pubertät erlitten hat und dazu neigt, sie für wichtiger zu halten als sie – jedenfalls für andere – ist. Was dem Erzähler im Exil an Erfreulichem, an Widrigkeiten, an Verwunderlichem und auch an eher Unspektakulärem begegnet – und vieles davon könnte einem geborenen Wiener ebenso wie einem zugewanderten Polen passieren –, schildert Knapp auf humoristische Weise.
Die Distanz zum Erlebten bewahrt ihn vor Larmoyanz. Davon sollte man sich freilich nicht täuschen lassen. Lustig ist nur die Darstellung, nicht die auf diese Weise in ein Sprachkunstwerk transformierte Realität. Stellenweise könnte man von Galgenhumor sprechen, wenn dem Erzähler auch nicht gerade das Aufhängen droht, sondern allenfalls eine der „Krankheiten, die insbesondere Slawen in der Emigration befielen“, wie „Trinkerei, emigrationsbedingter Geistesschwund und gewalttätige Melancholie“.
Autobiografische Befangenheit?
Zu der Tätigkeit, die der Titel ankündigt, nämlich Luft zum Frühstück zu essen, wird der Erzähler durch einen polnischen Krimi aus seiner früheren Kindheit angeregt. In der Folge übt er diverse mehr oder weniger skurrile Berufe aus, zuletzt als Heizungsableser. In dem unvermeidlichen erotischen Erzählstrang bietet sich Teresa nicht ohne Erfolg an, dem frustrierten Erzähler bei seiner „Reparatur zu helfen“. An dieser Stelle ufert die Geschichte ein wenig aus. Autobiografische Befangenheit?
Im Tonfall erinnert Radeks Erzählung an den großen polnischen Satiriker Sławomir Mrozek,˙ so etwa in dem Exkurs über den polnischen Emigrantenverein Heimat und ich, in den der aus Krakau stammende Stachu den Erzähler schleppt, aber vielleicht taucht diese Assoziation nur auf, weil Autor und Erzähler die polnische Herkunft thematisieren.
Ob die Schreibweise eines Wortes, das der Erzähler noch in Polen aus alten Kriegsfilmen aufgeschnappt haben will, als „Sturmbahnführer“ein beabsichtigter Witz oder ein Druckfehler ist, weiß allein der Autor und vielleicht der Lektor.
Im vorletzten von 14 Kapiteln kommt Radek Knapp noch einmal auf den Ausgangspunkt zurück. Über das Städtchen, in dem er als Kind bei seinen Großeltern gelebt hat, schreibt er: „Die Leute hatten es nie eilig, und der Ort war so klein, dass man dort nur zu Fuß ging. Aber dann wurde er ohne Vorwarnung von seiner kindischen Mutter nach Wien entführt, und alles brach zusammen.“Emigrationsbedingter Geistesschwund?