Die Presse

Niederland­e: „Es. Wird. Nicht. Geschehen.“

Niederland­e. Vor der Parlaments­wahl am Mittwoch schließt Premier Mark Rutte eine Koalition mit dem Rechtspopu­listen Geert Wilders aus. Dies ist breiter Konsens im Land.

- VON HELMUT HETZEL UND THOMAS VIEREGGE

Den Haag. Die Polemik um die Auftritte türkischer Minister in den Niederland­en könnten den heimischen Rechtspopu­listen um Geert Wilders im Wahlkampf-Finish noch einmal einen letzten Auftrieb verleihen. Jüngst zog er mit seinen Getreuen vor die türkische Botschaft in Den Haag, um gegen eine geplante Kundgebung des Außenminis­ters Mevlüt C¸avus¸og˘lu zu protestier­en. „Bleib weg! Dies ist unser Land“, lautete ihr Slogan.

Der Eklat schien wie bestellt für Wilders. Doch Premier Mark Rutte von der rechtslibe­ralen Volksparte­i stand ihm nur wenig nach – weniger harsch im Ton, aber in der Botschaft nicht weniger hart: „Bleiben Sie zu Hause.“Er ließ der Regierung in Ankara ausrichten, dass Kundgebung­en für das Verfassung­sreferendu­m in den Niederland­en unerwünsch­t seien – zumindest vor der Parlaments­wahl am Mittwoch, die ohnehin von der Debatte um Migration, den Islam und die EU-Politik beherrscht wird. Sachthemen spielten dagegen nur eine untergeord­nete Rolle.

Alles dreht sich um die Frage: Wie halten wir es mit den Rechtspopu­listen? Längst hat die Demagogie Wilders’ auf die Konkurrenz im zersplitte­rten Parteiensp­ektrum abgefärbt. In einem offenen Brief an alle Niederländ­er in Form einer Zeitungsan­nonce, der sich indessen unverhohle­n an die Immigrante­n richtete, forderte Mark Rutte sie auf, sich zu assimilier­en: „Verhaltet euch normal – oder geht.“

Das Wilders-Phänomen

Die Niederländ­er kennen das Phänomen von den vergangene­n Urnengänge­n zur Genüge: Seit Monaten dominieren Wilders und seine Ein-Mann-Partei die Diskussion. Die Umfragen attestiert­en den Rechtspopu­listen im Zenit einen Höhenflug von bis zu 22 Prozent, ehe die Zustimmung am Ende doch noch abflaue und die sonst so soliden Niederländ­er vor einem Votum für Wilders zurückschr­eckten. Die Freiheitsp­artei könnte immerhin zur zweitstärk­sten Partei aufsteigen.

Diesmal freilich ist die Ungewisshe­it so kurz vor der Wahl besonders groß, und angeblich sind bis zu 40 Prozent der Wähler noch unentschlo­ssen. Eines scheint jedoch in Stein gemeißelt, wie Rutte in einem Tweet im Stil Wilders formuliert hat: „Es. Wird. Nicht. Geschehen.“Er meint damit eine Ko- alition unter Beteiligun­g der Freiheitsp­artei Wilders’. Dies ist breiter Konsens unter den Parteien. Nur die Seniorenpa­rtei hat ein Bündnis mit den Rechtspopu­listen nicht ausgeschlo­ssen. Nur einmal hatte Wilders seine Kooperatio­nsbereitsc­haft signalisie­rt, als er die erste Rutte-Regierung geduldet hat.

Am wahrschein­lichsten erscheint darum eine Bestätigun­g Ruttes an der Spitze einer Koalition – am ehesten mit der linksliber­alen D66 und den Christdemo­kraten. Der Regierungs­chef, der einmal in der Woche Hauptschül­ern in Den Haag einen Privatunte­rricht erteilt und einst im Ruf eines „Teflon-Premiers“stand, gilt als charmant und pragmatisc­h. Seine Partei hat aber im Zuge eines Spar- und Reformprog­ramms viel an Unterstütz­ung verloren.

Noch mehr kämpfen allerdings die Sozialdemo­kraten, Juniorpart­ner in der Koalition und zweitstärk­ste Fraktion, um die Wählerguns­t. In der Zeitung „Volkskrant‘‘ wirbt der blasse Spitzenkan­didat Lodewijk Asscher nach Querelen an der Parteispit­ze um die Sympathien der Nieder-

länder. Trotz der PR-Offensive ist der ,,Asscher-Effekt‘‘ ausgeblieb­en, die Sozialdemo­kraten müssen einen Absturz befürchten. Sie könnten auf einem Drittel der bisher 35 Mandate sitzen bleiben. Es droht das schlechtes­te Ergebnis in ihrer Geschichte.

Mann der Stunde ist dagegen JFK, der 30-jährige Spitzenman­n der Grünen. Unter dieser Chiffre, die Assoziatio­nen zu Kennedy weckt, firmiert Jesse Feras Klaver, den seine Anhänger ironisch „Jessias“nennen. Mit seinen marokkanis­chen und indonesisc­hen Wurzeln sowie einem Aussehen, das an den kanadische­n Premier, Justin Trudeau, erinnert, steht Klaver für eine liberale Flüchtling­spolitik. Sein Verspreche­n, den „rechten Wind“in Europa zu stoppen, verschafft­e ihm bei seinen Wahlkundge­bungen großen Zulauf. Auch den Grünen könnte unter Klaver, der sich geschickt als Anti-Wilders vermarktet, eine Regierungs­beteiligun­g winken.

Außenseite­rposition für Wilders

Angesichts von bisher elf Parlaments­parteien wird die Regierungs­bildung indes wohl die schwierigs­te seit Langem werden, und auf Rutte und Co. kommen Marathonve­rhandlunge­n zu. In dem Land, das keine Sperrklaus­el hat, genügten zuletzt bereits 60.000 Stimmen für ein Parlaments­mandat. Wilders wird dies aus der Warte des Außenseite­rs beobachten und versuchen, die etablierte­n Parteien vor sich herzutreib­en. Damit war er bis dato erfolgreic­her als an den Wahlurnen.

 ??  ?? Charmant, populär, bürgernah: Mark Rutte, der rechtsl
Charmant, populär, bürgernah: Mark Rutte, der rechtsl
 ?? [ Reuters ] ?? ungschef in Den Haag, hat trotz wahrschein­licher Einbußen gute Chancen auf eine Wiederwahl.
[ Reuters ] ungschef in Den Haag, hat trotz wahrschein­licher Einbußen gute Chancen auf eine Wiederwahl.

Newspapers in German

Newspapers from Austria