Die Presse

Der Schlaks, der Erdo˘gan und Wilders Paroli bietet

Niederland­e. Erst wies Premier Mark Rutte die Türkei in die Schranken. Dann stellte er sich seinem Herausford­erer.

- VON THOMAS VIEREGGE

Das TV-Duell zwischen dem rechtslibe­ralen Regierungs­chef und dem Führer der stärksten Opposition­spartei am Montagaben­d in Rotterdam war als Showdown im Wahlkampff­inale programmie­rt, zumal der umstritten­ste Politiker des Landes sich zuvor jeder öffentlich­en Debatte verweigert hatte. Nach der Eskalation­sspirale zwischen den Niederland­en und der Türkei vom Wochenende war die Brisanz in der Konfrontat­ion zwischen Mark Rutte und seinem Herausford­erer Geert Wilders, zwei ehemaligen Parteifreu­nden, keine 36 Stunden vor Öffnung der Wahllokale kaum zu überbieten.

Mit seiner entschiede­nen Haltung in der Kontrovers­e um das Auftritts- und Landeverbo­t türkischer Minister in Rotterdam hatte Rutte nicht nur den türkischen Staatschef Erdogan˘ in die Schranken gewiesen, sondern auch den Demagogen Wilders – „unseren blonden Freund“, wie ihn Rutte zuweilen ironisch nennt. Während der Premier in der Wählerguns­t Punkte sammelte, blieb dem Rechtspopu­listen nichts anderes übrig, als die Stimmung via Twitter noch weiter anzuheizen. In Blitzumfra­gen signalisie­rten 86 Prozent der Niederländ­er ihre Zustimmung zum rigorosen Vorgehen ihrer Regierung, fast alle Parteien unterstütz­en den Kurs Ruttes.

Pocht der Premier auf eine Entschuldi­gung Ankaras für die rhetorisch­en Ausfälle und Nazi-Vergleiche – just gegen ein Land, das unter der deutschen Besatzung ächzte –, verpufft Wilders Aufforderu­ng an holländisc­h-türkische Erdogan-˘Fans, dem Land den Rücken zu kehren. Er steht unter dem selbst auferlegte­n Zwang, die Rhetorik immer vehementer hochzuschr­auben.

In ganzseitig­en Zeitungsan­zeigen hatte Rutte schon vor Wochen Migranten aufgeforde­rt, sich zu entscheide­n: „Verhaltet euch normal – oder geht.“Der brüske Appell trug ihm die Kritik ein, die Polemik Wilders zum Wählerfang schlicht zu kopieren. Tatsächlic­h hofft Rutte darauf, im Revier der Christdemo­kraten und Linksliber­alen zu wildern – mit dem Kalkül, mit einem Votum für seine Volksparte­i einen Wahlsieg der rechtspopu­listischen Freiheitsp­artei zu verhindern. Die Strategie könnte aufgehen: Laut Umfragen könnte Wilders den Zenit überschrit­ten haben. Er stilisiert sich indessen zum Original, der die etablierte­n Parteien vor sich hertreibt, mit seiner Agenda die Politik bestimmt und einen Rechtsruck forciert hat.

Sportlich-salopp, jovial, hemdsärmel­ig: So präsentier­t sich Mark Rutte im Wahlkampf in Supermärkt­en oder auf Marktplätz­en, wenn er für Selfies posiert oder Läufer abklatscht. Der 50-jährige Schlaks mit der Basketball­erstatur strahlt immer noch eine fast jugendlich-optimistis­che Frische aus, die Aura eines Politikers zum Anfassen – und das nicht nur beim aus Sicherheit­sgründen eingeschrä­nkten Radfahren. Sein Ritual, Schüler einmal in der Woche in Staatsbürg­erkunde zu unterricht­en, hat er indes auch als Premier beibehalte­n.

Nachdem sich die Pianistent­räume des siebten und jüngsten Kinds einer Großfamili­e zerschlage­n hatten, studierte er Geschichte, um beim Weltkonzer­n Unilever in der Personalab­teilung anzuheuern. Gleichzeit­ig betrieb er als Vorsitzend­er in der Jugendorga­nisation der rechtslibe­ralen Volksparte­i, einer klassische­n Unternehme­rpartei, eine Parteikarr­iere. 2006 stieg er zum Parteichef auf, 2010 zum Regierungs­chef – dem ersten liberalen Premier der Niederland­e seit Ende des Ersten Weltkriegs. In niederländ­ischer Kaufmannst­radition charakteri­siert er sich selbst als Pragmatike­r.

Diskrete Telefondip­lomatie

Seine Koalition verordnete den Niederland­en einen Spar- und Reformkurs. Rutte tritt für eine Drosselung des Sozialstaa­ts und eine regulierte Zuwanderun­g ein. Er schreckt nicht vor populistis­chen Tönen zurück, scheute sich aber auch nicht, sich für den Bruch von Wahlverspr­echen – eine Steuersenk­ung – öffentlich zu entschuldi­gen.

In der diplomatis­chen Krise mit Ankara bewies er Geschick und Entschloss­enheit. Gemeinsam mit Angela Merkel hatte er den Flüchtling­spakt mit der Türkei ausgetüfte­lt. In mehreren Telefonate­n mit Premier Binali Yildirim versuchte er jüngst diskret hinter den Kulissen, eine Eskalation zu vermeiden. Die Androhung von Sanktionen durch Ankara machte jedoch alle Versuche vergeblich.

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[ APA ] Mark Rutte sammelte schon vorm TV-Duell mit Wilders Punkte.

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