Europa und die Erdo˘gan-Türkei: Österreich in einer Vorreiterrolle
Die Große Koalition zieht in der Haltung gegenüber der jetzigen türkischen Staatsführung und ihrer dreisten Politik an einem Strang. Das ist gut so.
Was macht es den Regierenden in anderen europäischen Ländern so schwer, klare Worte zur Türkei zu finden?
Erstaunlich: In der europäischen Politik hat sich Österreich zu einem Vorreiter gemausert. In mutigen Schritten bestimmt allen voran Außenminister Sebastian Kurz die Agenda und treibt Länder wie Deutschland vor sich her. Vorbei sind also die Zeiten, als es hieß, Österreichs Bundeskanzler gehe ohne eigene Meinung zu einem Treffen mit Angela Merkel und komme danach mit der Meinung der deutschen Bundeskanzlerin wieder heraus.
Mit der Schließung der Balkanroute erregte Außenminister Kurz erstmals Aufsehen in Europa. Vorbei an Deutschland und Griechenland konzertierte er mit den Balkanländern die Schließung der Grenzen und stoppte damit die unkontrollierte Flüchtlingsund Zuwanderungswelle nach Mitteleuropa. Herrschte anfangs im In- und Ausland noch Empörung über sein eigenmächtiges Vorgehen, wurde Kurz schon bald zum Star in deutschen Talkshows. Mit Sebastian Kurz erwuchs der deutschen Kanzlerin, neben der CSU, quasi eine zweite innerparteiliche Opposition.
Nach einem Wechsel an der Regierungsspitze ziehen inzwischen mit Kurz auch Bundeskanzler Christian Kern sowie die Minister Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Hans Peter Doskozil (SPÖ) die Regierungsparteien in vielen Sicherheitsfragen am selben Strang. Das klare innenpolitische Kalkül: Nur, wenn sich in der Bevölkerung wieder Sicherheitsgefühl und Vertrauen gegenüber der Staatsmacht einstellen, kann der Zulauf zu Rechtspopulisten gestoppt werden. Die Menschen erwarten sich eine Regierung, die klare und mutige, aber rechtsstaatlich vertretbare Schritte setzt.
Auch die jüngste Eskalation in den Beziehungen zur Türkei und deren machtbesessenem Staatspräsidenten, Recep Tayyip Erdogan,˘ verlief nach dem gleichen Drehbuch: Zuerst tat es Außenminister Kurz, dann folgte auch Bundeskanzler Kern, der sich klar gegen Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Österreich aussprach.
Zunächst schien das Naheliegende, das eigentlich Selbstverständliche als un- aussprechbar. In Deutschland und in den Niederlanden, die wie Österreich größere Gemeinden an Auslandstürken haben, wurde zunächst herumgeeiert, ehe es in Rotterdam am Wochenende dann einen Paukenschlag gab.
Außenminister Kurz wiederum richtete der Türkei ruhig, aber nicht minder bestimmt aus, dass Auftritte türkischer Regierungsvertreter im Rahmen des Wahlkampfs für das Referendum zur umstrittenen Umwandlung der Türkei in eine Präsidialrepublik nicht erwünscht seien. Kanzler Kern doppelte nach und schlug in dieser Sache ein gesamteuropäisches Vorgehen vor. Das Ansinnen der türkischen Staatsführung ist ja tatsächlich einigermaßen dreist.
So würde es wohl nicht einmal der nationalkonservativen polnischen Regierung einfallen, bei der gar nicht so kleinen polnischen Diaspora in Österreich Wahlkampf zu betreiben. Oder würden das gar deutsche Politiker bei ihren Landsleuten tun, die ja die größte Ausländergruppe in Österreich darstellen? Was macht es den Regierenden in anderen europäischen Ländern da so schwer, klare Worte zu finden?
Nachgerade unverschämt ist die kolportierte Beihilfe türkischer Behörden bei der Umgehung der österreichischen Staatsbürgergesetze. So soll es Zehntausende zwischenzeitlich in Österreich eingebürgerte Türken geben, die gleichzeitig widerrechtlich die türkische Staatsbürgerschaft behalten haben, oder diese nach einer vorgeblichen Zurücklegung später wieder zurückerhielten; Berichten zufolge, sogar auf Drängen der türkischen Auslandsbehörden.
Wird es auch in dieser Frage wieder an der österreichischen Regierung liegen, mit klaren Worte und Regelungen eine Vorreiterrolle zu spielen? Anscheinend kommt dieser Tage unseren Politikern die Rolle der Avantgarde in Europa zu. Gut so. Doch möge das hoffentlich auch bald bei wichtigen innenpolitischen Fragen der Fall sein.