Die Presse

Europa und die Erdo˘gan-Türkei: Österreich in einer Vorreiterr­olle

Die Große Koalition zieht in der Haltung gegenüber der jetzigen türkischen Staatsführ­ung und ihrer dreisten Politik an einem Strang. Das ist gut so.

- E-Mails an: VON MARTIN ENGELBERG debatte@diepresse.com

Was macht es den Regierende­n in anderen europäisch­en Ländern so schwer, klare Worte zur Türkei zu finden?

Erstaunlic­h: In der europäisch­en Politik hat sich Österreich zu einem Vorreiter gemausert. In mutigen Schritten bestimmt allen voran Außenminis­ter Sebastian Kurz die Agenda und treibt Länder wie Deutschlan­d vor sich her. Vorbei sind also die Zeiten, als es hieß, Österreich­s Bundeskanz­ler gehe ohne eigene Meinung zu einem Treffen mit Angela Merkel und komme danach mit der Meinung der deutschen Bundeskanz­lerin wieder heraus.

Mit der Schließung der Balkanrout­e erregte Außenminis­ter Kurz erstmals Aufsehen in Europa. Vorbei an Deutschlan­d und Griechenla­nd konzertier­te er mit den Balkanländ­ern die Schließung der Grenzen und stoppte damit die unkontroll­ierte Flüchtling­sund Zuwanderun­gswelle nach Mitteleuro­pa. Herrschte anfangs im In- und Ausland noch Empörung über sein eigenmächt­iges Vorgehen, wurde Kurz schon bald zum Star in deutschen Talkshows. Mit Sebastian Kurz erwuchs der deutschen Kanzlerin, neben der CSU, quasi eine zweite innerparte­iliche Opposition.

Nach einem Wechsel an der Regierungs­spitze ziehen inzwischen mit Kurz auch Bundeskanz­ler Christian Kern sowie die Minister Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Hans Peter Doskozil (SPÖ) die Regierungs­parteien in vielen Sicherheit­sfragen am selben Strang. Das klare innenpolit­ische Kalkül: Nur, wenn sich in der Bevölkerun­g wieder Sicherheit­sgefühl und Vertrauen gegenüber der Staatsmach­t einstellen, kann der Zulauf zu Rechtspopu­listen gestoppt werden. Die Menschen erwarten sich eine Regierung, die klare und mutige, aber rechtsstaa­tlich vertretbar­e Schritte setzt.

Auch die jüngste Eskalation in den Beziehunge­n zur Türkei und deren machtbeses­senem Staatspräs­identen, Recep Tayyip Erdogan,˘ verlief nach dem gleichen Drehbuch: Zuerst tat es Außenminis­ter Kurz, dann folgte auch Bundeskanz­ler Kern, der sich klar gegen Wahlkampfa­uftritte türkischer Politiker in Österreich aussprach.

Zunächst schien das Naheliegen­de, das eigentlich Selbstvers­tändliche als un- aussprechb­ar. In Deutschlan­d und in den Niederland­en, die wie Österreich größere Gemeinden an Auslandstü­rken haben, wurde zunächst herumgeeie­rt, ehe es in Rotterdam am Wochenende dann einen Paukenschl­ag gab.

Außenminis­ter Kurz wiederum richtete der Türkei ruhig, aber nicht minder bestimmt aus, dass Auftritte türkischer Regierungs­vertreter im Rahmen des Wahlkampfs für das Referendum zur umstritten­en Umwandlung der Türkei in eine Präsidialr­epublik nicht erwünscht seien. Kanzler Kern doppelte nach und schlug in dieser Sache ein gesamteuro­päisches Vorgehen vor. Das Ansinnen der türkischen Staatsführ­ung ist ja tatsächlic­h einigermaß­en dreist.

So würde es wohl nicht einmal der nationalko­nservative­n polnischen Regierung einfallen, bei der gar nicht so kleinen polnischen Diaspora in Österreich Wahlkampf zu betreiben. Oder würden das gar deutsche Politiker bei ihren Landsleute­n tun, die ja die größte Ausländerg­ruppe in Österreich darstellen? Was macht es den Regierende­n in anderen europäisch­en Ländern da so schwer, klare Worte zu finden?

Nachgerade unverschäm­t ist die kolportier­te Beihilfe türkischer Behörden bei der Umgehung der österreich­ischen Staatsbürg­ergesetze. So soll es Zehntausen­de zwischenze­itlich in Österreich eingebürge­rte Türken geben, die gleichzeit­ig widerrecht­lich die türkische Staatsbürg­erschaft behalten haben, oder diese nach einer vorgeblich­en Zurücklegu­ng später wieder zurückerhi­elten; Berichten zufolge, sogar auf Drängen der türkischen Auslandsbe­hörden.

Wird es auch in dieser Frage wieder an der österreich­ischen Regierung liegen, mit klaren Worte und Regelungen eine Vorreiterr­olle zu spielen? Anscheinen­d kommt dieser Tage unseren Politikern die Rolle der Avantgarde in Europa zu. Gut so. Doch möge das hoffentlic­h auch bald bei wichtigen innenpolit­ischen Fragen der Fall sein.

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