Die Presse

Die EU braucht mehr holländisc­he Konsequenz gegenüber der Türkei

Im Umgang mit der Türkei sollten das Recht und demokratis­che Werte der Maßstab sein, nicht Spekulatio­nen, was Erdo˘gan nützen oder schaden könnte.

- VON CHRISTIAN ULTSCH E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

E s mag schon stimmen, dass Premier Mark Rutte und Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ dieser Tage eine eigentümli­che Symbiose eingegange­n sind. Beiden nützt die Konfrontat­ion, dem einen bei der niederländ­ischen Parlaments­wahl am heutigen Mittwoch, dem anderen bei der türkischen Verfassung­sreform. Den starken Mann zu markieren, kommt selten schlecht beim Volk an.

Doch es geht um mehr als wahltaktis­che Mätzchen. Es geht um Grundlegen­des. Die Türkei hat sich in jüngster Vergangenh­eit im Eiltempo von Europa entfernt: von dessen demokratis­chen, rechtsstaa­tlichen und ideellen Grundwerte­n, von fundamenta­len Regeln und Umgangsfor­men. Erdogan˘ hat diese Entwicklun­g nach dem Sommerputs­ch dramatisch beschleuni­gt. Er ließ die staatliche­n Institutio­nen rigoros säubern, missliebig­e Medien zusperren und mehr als 100 Journalist­en verhaften.

Sein Werk will der Präsident nun mit einer neuen, auf ihn zugeschnit­tenen Verfassung vollenden: Wenn die Türken am 16. April mit Ja stimmen, wird Erdogan˘ seine realpoliti­sche Vormachtst­ellung auch gesetzlich zementiere­n. Er wird dann, so wie jetzt schon im Ausnahmezu­stand, per Dekret regieren, sein zu einem Beratersta­b degradiert­es Kabinett nach Gusto entlassen, seinen Zugriff auf Justiz und Legislativ­e festigen können. Widerspruc­h wird es in dieser Konstellat­ion nur wenig geben; wiewohl sie demokratis­ch durch Wahlen legitimier­t sein wird. Von einer Diktatur zu sprechen, wäre deshalb übertriebe­n.

Doch die Verfassung­sreform wird angesichts der derzeitige­n Hauptrolle­nbesetzung in der Türkei das Tor weit aufstoßen in Richtung Autokratie. Die Venedig-Kommission, ein Rechtsexpe­rtengremiu­m des Europarats, hat die Änderungen als gefährlich­en Schritt rückwärts gebrandmar­kt. Das hat Ankara erwartungs­gemäß nicht nachdenkli­cher gestimmt. Justizmini­ster Bozdag bezeichnet­e die Anmerkunge­n aus dem Europarat, dem die Türkei seit 1949 angehört, schlichtwe­g als „wertlos“. Ebenso verächtlic­h äußerte sich das türkische Außenamt nach der handzahmen Mahnung aus Brüssel, auf „überzogene Erklärunge­n und Handlungen zu verzichten“.

Die Türkei pfeift auf die EU. Entspreche­nd unmissvers­tändlich sollte Europa auftreten. Die Niederländ­er haben am Wochenende einen richtigen Schritt gesetzt. Den Haag hatte türkische Minister mehrmals gebeten, vor Auslandstü­rken in den Niederland­en nicht öffentlich für die bedenklich­e Verfassung­sreform zu werben. Doch die Türkei setzte sich sogar über Kompromiss­angebote hinweg und wollte ihre Minister auch ohne Zustimmung des Gastlandes entsenden.

Das stellt einen klaren Bruch diplomatis­cher Gepflogenh­eiten dar. Deshalb handelten die Niederland­e korrekt, als sie dem Außenminis­ter die Landeerlau­bnis verweigert­en und die hinterrück­s über die Grenze geschickte türkische Familienmi­nisterin wieder zurück nach Deutschlan­d eskortiert­en. Die Eskalation mag Erdogan˘ nützen, er lebt ja davon. Doch einzuknick­en, sich einschücht­ern, bedrohen und beleidigen zu lassen, kann keine Option für Europa sein. D ie cholerisch­e Reaktion der Türkei auf die Auftrittsv­erbote für ihre Politiker unterstrei­cht nur, wie weit sich Erdogan˘ & Co. von europäisch­en Standards entfernt haben. Deutschlan­d, Österreich und den Niederland­en deshalb Verbrechen gegen die Menschlich­keit und Nazi-Praktiken vorzuwerfe­n, ist absurd und geschmackl­os und zeugt nebenbei auch noch von einem krassen Mangel an Bildung. Da macht sich der Bock zum Gärtner, der Täter zum Opfer, da werden Tatsachen frech in ihr Gegenteil verkehrt. Nicht die EU gefährdet die Demokratie und bricht Menschenre­chte, sondern die gegenwärti­ge Führung der Türkei: mit ihrer Willkürjus­tiz, ihren Massenverh­aftungen, ihrer Einschränk­ung der Medienfrei­heit und ihrem unverhältn­ismäßigen Krieg gegen Kurden.

Europäisch­e Staaten handeln legitim, wenn sie auf eigenem Territoriu­m türkischen Politikern keine Plattform geben, um zu hetzen, zu polarisier­en und für eine Staatsrefo­rm mit autoritäre­n Zügen Stimmung zu machen. Das schuldet Europa sich selbst und auch den demokratis­ch gesinnten Bürgern der Türkei.

Klarheit ist jedenfalls angebracht­er als gleichgült­ige Gelassenhe­it.

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