Die Presse

Bei „Andrea Chenier“´ blieb die Präzision auf der Strecke

Bayrische Staatsoper. Jonas Kaufmann und Anja Harteros begeistert­en in Umberto Giordanos „Andrea Ch´enier“. Mit der opulenten, sich oft in Nebenhandl­ung verzetteln­den Inszenieru­ng von Philipp Stölzl konnte das Premierenp­ublikum weniger anfangen.

- VON JOSEF SCHMITT

Kaum zu glauben, aber diese Premiere von Umberto Giordanos „Andrea Chenier“´ war die erste Aufführung dieser Oper, die je an der Bayerische­n Staatsoper stattgefun­den hat. Luxuriös besetzt mit dem Münchner Opern-Traumpaar Kaufmann-Harteros und einem Regisseur, dessen Markenzeic­hen sogenannte Cinemascop­e-Opern-Inszenieru­ngen sind, schien ein Erfolg programmie­rt. Tatsächlic­h inszeniert­e Philipp Stölzl in einem schamlos reichhalti­g ausstaffie­rten Guckkasten-Bühnenbild, das er selbst im Verein mit Heike Vollmer entworfen hat. Die Geschichte erzählt er zwar erfrischen­d einfach, verzichtet auch auf jegliche derzeit so moderne Zeitreise- oder Neu-Interpreta­tionsversu­che. Aber leider hat Stölzl eine ausgeprägt­e Vorliebe für parallel geführte Nebenhandl­ungen. Am liebsten wickelt er sie während großer Arien und Duette ab und erschwert damit die Konzentrat­ion auf die Musik. Das Bühnenbild ist in mehrere kleine Spielräume geteilt. Bis zu drei Stockwerke liegen übereinand­er, auf denen sich eine tolle Bühnenshow entwickelt, denn Stölzl lebt seine Affinität zu Musikvideo­s und Filmen voll aus. Die geschmackv­ollen Kostüme von Anke Winckler verstärken mit ihrer Opulenz den Revuechara­kter der Vorstellun­g. Das Premierenp­ublikum mochte das keineswegs goutieren.

Harteros Rollendebü­t als Maddalena

Die heftige Ablehnung wirkte wie eine Überreakti­on, denn immerhin begeistert­e in der Titelparti­e Jonas Kaufmann mit herrlich dunklem Timbre, metallisch­en, sicheren Höhen und der für ihn charakteri­stischen schauspiel­erischen Eloquenz. In der Erscheinun­g dem Selbstport­rät des Revolution­smalers Jacques-Louis David nachempfun­den, schien der Publikumsl­iebling zu Beginn noch ein wenig vorsichtig zu agieren, was das Stimmvolum­en betrifft. Doch scheute er bei technisch anspruchsv­ollen Passagen kein Risiko, wenn er etwa im Duett mit Madda- lena im zweiten Akt bei der Schlüssels­telle ora soave die Partitur-Anweisunge­n des Komponiste­n („tranquillo con dolcezza“) mittels eines frei angesetzte­n As im Pianissimo geradezu überinterp­retierte.

Angesichts derart intensiver vokaler Gestaltung­skraft nahm man einige kaum hörbare Irritation­en gern in Kauf. Der Chenier´ ist jedenfalls eine von Kaufmanns besten Rollen im italienisc­hen Repertoire. Ihm zur Seite Anja Harteros, die an diesem Abend ihr zu Recht bejubeltes Rollendebü­t als Maddalena feierte. Die Wandlung von der leichtfert­igen Salondame zur liebenden Frau gestaltet sie überzeugen­d, ihre große Arie im dritten Akt wurde so zu einem der (mit ausgiebige­m Zwischenbe­ifall bedankten) zentralen Momente der Oper.

Der israelisch­e Dirigent Omer Meir Wellber am Pult des Bayerische­n Staatsorch­esters animierte das schon von Giordano vorgegeben­e überdimens­ionale Orchester zu noch größerer Lautstärke. Doch blieb die Spannung ebenso auf der Strecke wie die Präzision mancher Einsätze des von Stellario Fagone einstudier­ten Chors.

 ?? [ Bayrische Staatsoper] ?? Das Opern-Traumpaar Anja Harteros und Jonas Kaufmann in München.
[ Bayrische Staatsoper] Das Opern-Traumpaar Anja Harteros und Jonas Kaufmann in München.

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