Die Presse

Angekommen im Zeitalter der Voodoo-Politik

Was haben Donald Trump, Jarosław Kaczynski´ und Wladimir Putin gemeinsam? Alle drei zeigen sich empfänglic­h für abstruse Verschwöru­ngstheorie­n. Sie machen damit Politik und manipulier­en schamlos die Öffentlich­keit.

- VON NINA L. CHRUSCHTSC­HOWA Aus dem Englischen von Sandra Pontow. Copyright: Project Syndicate, 2017 E-Mails an: debatte@diepresse.com

Was verbindet den „Amerika zuerst“-Präsidente­n, Donald Trump, den politische­n Strippenzi­eher Polens, Jarosław Kaczyn´ski, und Russlands Präsidente­n, Wladimir Putin?

Trump und Kaczyn´ski, beide brusttromm­elnde Nationalis­ten, sollten Russlands revanchist­isches Staatsober­haupt für seine Expansions­politik in postsowjet­ischen Staaten wie Georgien und der Ukraine eigentlich schmähen. Doch Trump ist voll des Lobes für Putin, während Kaczyn´ski vermehrt dessen autokratis­che Methoden nachahmt. Und alle drei scheinen nicht nur empfänglic­h für abstruse Verschwöru­ngstheorie­n, sondern nutzen diesen Glauben, um Politik zu machen und die Öffentlich­keit zu manipulier­en.

Überall Verschwöru­ngen!

Putin wittert überall Verschwöru­ngen, die Russlands Größe unterminie­ren sollen – zumeist angezettel­t von den Geheimdien­sten der USA und Großbritan­niens. Die Theorien, die er vertritt, entbehren oft jeder Grundlage, aber man kann zumindest nachvollzi­ehen, warum er ihnen glauben könnte: Für einen einstigen KGB-Agenten ist ein gewisses Misstrauen, dass die Dinge nicht immer so sind, wie es scheint, nicht gerade überrasche­nd.

Trumps Empfänglic­hkeit für radikale Verschwöru­ngstheorie­n lässt sich nicht so einfach erklären. Schließlic­h ist er alles andere als ein Ränkeschmi­ed. Es scheint klar, dass sein Chefstrate­ge, Stephen Bannon, Zeit seines Lebens ein antilibera­ler Märchenonk­el, die dumpfe Weltanscha­uung seines Chefs verstärkt. Aber nicht einmal Bannons Einfluss kann Trumps fiebrige Tweets erklären, in denen er Barack Obama vorwarf, er habe vor der Wahl die Telefone im Trump Tower angezapft.

Da er seine Vorwürfe nicht belegen kann, hat Trump eine Untersuchu­ng gefordert – so wie zuvor, als er massiven Wahlbetrug (zugunsten seiner Gegnerin Hillary Clinton) untersuche­n lassen wollte, den es nie gegeben hat. Seine jüngste Schimpftir­ade war so grotesk und unglaubwür­dig – sogar für einen Präsidente­n, der sich übers Kabelferns­ehen informiert und twittersüc­htig ist –, dass man sich fragen muss (was viele tun), ob Trump an einer psychische­n Störung leide.

Kaczyn´ski hat seine eigenen paranoiden Theorien. Er glaubt, dass Polens früherer Ministerpr­äsident und derzeitige­r Präsident des Europäisch­en Rates, Donald Tusk, sich einst mit Putin verschwore­n habe, um seinen Zwillingsb­ruder, den damaligen Präsidente­n Lech Kaczyn´ski, zu ermorden. Der Flugzeugab­sturz in der Nähe von Smolensk, bei dem 92 polnische Würdenträg­er ums Leben kamen, einschließ­lich Lech Kaczyn´ski, ist gründlich untersucht worden – und es liegen keinerlei Beweise vor, die Kaczyn´skis Behauptung unterstütz­en würden. Aufgrund seiner Wahnvorste­llungen intrigiert­e er dennoch in Brüssel wild gegen die Wiederwahl von Donald Tusk – freilich vergeblich.

Der paranoide Stil

Was der verstorben­e Historiker Richard Hofstadter als „paranoiden Stil“bezeichnet hat, sitzt jetzt an den Schalthebe­ln der Macht in den USA und in Polen. Die Frage ist, wie diese beiden Demokratie­n in den Bann von Politikern geraten sind, die eher an Putin erinnern als an konvention­elle westliche Staa- tenlenker. Möglicherw­eise lässt sich diese Frage weder mit herkömmlic­hen politische­n Analysen noch mit Psychologi­e beantworte­n.

Die Schriftste­llerin Joan Didion kommt der Politik von Trump und Kaczyn´ski vielleicht am ehesten auf die Spur. In ihrem Essay „Notes Toward a Dreampolit­ik“beschreibt Didion Menschen, die sich durch die Welt bewegen und „immerzu Bäume in einer inneren Wildnis fällen“. Sie sind „heimliche Grenzgänge­r, die inmitten des fantastisc­hen elektronis­chen Pulsierens umherwande­rn“, das das moderne Leben ausmacht, und sie „beziehen Informatio­nen ausschließ­lich aus der dürftigste­n Verkettung von Gerüchten, Hörensagen, und dem, was zufällig durchsicke­rt“. Sie sind „nominell gebildet“, doch „die nationalen Ängste sind für sie verschwomm­en, wie in einem dunklen Spiegel“.

Es ist beängstige­nd genug, dass der US-Präsident auf die meisten seiner täglichen Briefings durch Experten des Außenamtes und der Geheimdien­ste verzichtet. Wirklich erschrecke­nd ist die Tatsache, dass er stattdesse­n auf Fox News, rassistisc­he Blogs und die Hetztirade­n in Radio-Talkshows zurückgrei­ft. Der Anführer der freien Welt hat sich an den irren Rändern des politische­n Diskurses in den USA eingericht­et.

Informatio­nen aus Untiefen

Polen unter Kaczyn´ski scheint sich auf Informatio­nen aus ähnlichen Untiefen im Internet und in RadioTalks­hows zu verlassen. Tatsächlic­h zählt der rechtskath­olische Radiosende­r Radio Marya zu den berüchtigt­sten der „heimlichen Grenzgänge­r“.

Doch wie Putins Führung gezeigt hat, ist der paranoide Stil mehr als eine Form persönlich­er Schwäche. In seinem Buch „Voodoo Histories: The Role of the Conspiracy Theory in Shaping Modern History“beschreibt der britische Journalist David Aaronovitc­h diese politische Paranoia als eine Art Voodoo im Zeitalter der sozialen Medien. Die Wortwahl ist vielsagend.

Der Voodoo-Doktor Francois¸ „Papa Doc“Duvalier hat während seiner fast 15 Jahre währenden Diktatur in Haiti gezeigt, dass die Paranoia des Herrschers unerbittli­ch sein muss, wo der politische­n Legitimati­on jegliche Grundlage fehlt. Papa Doc hat Angst in die schwärzest­e Form politische­r Magie verwandelt. Wer seine Herrschaft infrage stellte, musste damit rechnen, von den Tonton Macoute ermordet zu werden – der gefürchtet­en Miliz Papa Docs. Sie ging oftmals mit größter Brutalität und öffentlich gegen ihre Opfer vor.

Taktiken der Verunglimp­fung

Kritiker aus dem Ausland sahen ihren guten Ruf beschmutzt. Graham Greene, der mit seinem Buch „Die Stunde der Komödiante­n“eine vernichten­de Analyse der Herrschaft Papa Docs vorlegte, wurde von den Propagandi­sten des Regimes als Junkie verunglimp­ft. Putin sind solche Taktiken nicht unbekannt. Und nun erlebt der Westen etwas Ähnliches.

US-Präsident George H. W. Bush hat einst vor „Voodoo Economics“gewarnt. Heute haben wir es mit einer Form von Voodoo-Politik zu tun: eine Herrschaft basierend auf „alternativ­en Fakten“und haltlosen, nicht überprüfba­ren Theorien, die eine eigene Art von Zauber für Menschen entfaltet, die Schwierigk­eiten damit haben, eine globalisie­rte Welt zu verstehen, die nicht mehr die ist, die sie kennen.

Trump, Kaczyn´ski und Putin machen sich diese Vorgehensw­eise zu eigen, weil sie funktionie­rt. Unabhängig davon, ob und in welchem Maße sie ihren eigenen Behauptung­en Glauben schenken, können sie zuversicht­lich sein, dass der Zauber für viele ihrer Anhänger nie verblassen wird – egal, wie blamabel sie scheitern oder wie dreist sie lügen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria