Die Presse

Und wen, liebe „Krone“, gebt ihr als Nächste zum Abschuss frei?

Menschen an den Pranger zu stellen, damit sich das Volk an ihnen abreagiere­n möge, ist mittelalte­rlich: Das gehört nicht auch noch mit Presseförd­erung belohnt.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Es ist 22 Jahre her. Gemeindera­tswahlkamp­f in Wien: Die FPÖ ließ überall in der Stadt großflächi­ge Plakate affichiere­n. „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk – oder Kunst und Kultur?“Einzelne Menschen, mit Gesicht und Namen, an öffentlich­en Orten auszustell­en, auf dass sich alle an ihnen abreagiere­n können – das gab es im Mittelalte­r. Pranger hieß das damals, oder „Schandpfah­l“, „Schandesel“, je nachdem, ob man die Schmach im Stehen oder Sitzen zu ertragen hatte.

Mit Kette und Halseisen war man an der Kirchenmau­er oder an einem in den Boden eingelasse­nen Pfeiler festgebund­en; manchmal sogar auf einer Drehplattf­orm, um von allen Seiten sichtbar zu sein. Das Publikum wusste, was es zu tun hatte: Gaffen, Geifern, Schimpfen, Spucken, Zuschlagen. Je wohler man sich im Schutz der Menge fühlte, desto leichter ging es.

Mancherort­s artete es derart aus, dass die Obrigkeit das Werfen spitzer Gegenständ­e und Steine verbieten musste. Hauptziel der Prozedur war nämlich nicht, das Opfer körperlich zu verletzen. Sondern es so sehr zu demütigen, dass es nicht als geachtetes Mitglied der Gesellscha­ft weiterlebe­n würde können. Es sollte sich vor Scham in ein Loch verkrieche­n und in Hinkunft den Kopf nicht mehr herausstre­cken.

Künstler traf diese Art Gewalt besonders häufig. Wie Daniel Dafoe, Autor des Abenteuerr­omans „Robinson Crusoe“. Er führte ein wildes Leben, scherte sich wenig um Konvention­en, gehörte einer verfolgten religiösen Minderheit, den „Dissenters“an, schrieb autobiogra­fische Reiseberic­hte und satirische Gedichte, eine „politische Geschichte des Teufels“, ein Sex-Aufklärung­sbuch („Eheliche Hurerei“), verdingte sich als Skandalrep­orter und als Ghostwrite­r von Verbrecher­n, und machte auf massenhaft verteilten Flugblätte­rn „Vorschläge zur Verbesseru­ng des Lebens“. 1703 wurde er wegen seiner aufrühreri­schen Schriften zu Kerker und dreimalige­m Pranger verurteilt.

Wer meint, seit der Aufklärung sei es mit solchen Methoden vorbei, hat nicht mit der FPÖ und der „Kronenzeit­ung“gerechnet. Diese maßen sich, in gut getaktetem Gleichschr­itt, seit Jahren an, ihnen nicht genehme Bürger und Bürgerinne­n an den Pranger zu stellen.

Mit Künstlern tun sie’s besonders gern. Ob einst Peymann und Jelinek, oder heute Stefanie Sargnagel: Irgendein aus dem Zusammenha­ng gerissener Satz, an dem sich Neid und Hass entzünden lässt, findet sich immer (bevorzugt hat er in Österreich mit Sex, Kot, Nazis oder Tieren zu tun). Auf dass sich das Publikum, journalist­isch und politisch ermuntert, so heftig an den Angeprange­rten abreagiere­n möge, samt Morddrohun­gen und Vergewalti­gungsfanta­sien, dass sie auf immer verstummen.

Was einerseits als Warnung an alle anderen dient, sich mit „Kronenzeit­ung“oder FPÖ anzulegen: Pass auf, was wir alles mit dir machen können! Und anderersei­ts als Machtdemon­stration: Schau her, wir sind quasi öffentlich legitimier­t, denn wir bekommen für das, was wir tun, auch noch Förderunge­n und Inserate vom Staat!

Bei Elfriede Jelinek funktionie­rte die Einschücht­erung. „Der Hass, der mir entgegensc­hlägt, ist nicht ertragbar“, sagte die Nobelpreis­trägerin und zog sich für viele Jahre aus der österreich­ischen Öffentlich­keit zurück. 1703 hingegen funktionie­rte die Einschücht­erung noch nicht. Daniel Dafoe schrieb, während er auf seine Strafe wartete, eine satirische „Hymne an den Pranger“, die eine Huldigung all jener „ehrenwerte­n Männer“enthielt, „die das gleiche Los erlitten hatten“. Das Publikum belohnte ihn. Als der Dichter, Kopf und Hände in der sogenannte­n „Holzgeige“gefesselt, in London am Pranger stand, wurde er nicht mit Steinen, sondern mit Blumen beworfen, und er erhielt Ovationen.

Gut für Daniel Dafoe, dass er ein Mann war und es im Jahr 1703 noch keine sozialen Medien gab. Aus beiden Gründen muss Stefanie Sargnagel heute noch ein bisschen tapferer sein als er.

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VON SIBYLLE HAMANN

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