Die Presse

Halal und haram bringen den Islam nicht voran

Hat die IGGÖ nichts Besseres zu tun, als ein Kopftuchge­bot zu verordnen?

- VON JASMIN EL SONBATI Jasmin El Sonbati hat österreich­isch-ägyptische­n Migrations­hintergrun­d und lebt in der Schweiz. Sie ist Aktivistin für einen liberalen Islam, Gründerin von „Offene Moschee Schweiz“und Buchautori­n.

Mitte Februar hat der Beratungsr­at der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich (IGGÖ) einen Beschluss zum Thema Kopftuchge­bot im Islam veröffentl­icht. Inhalt, Argumentat­ionsweise, Zitat der Quellen, Erwähnung der Rechtsgele­hrten entspreche­n der klassische­n Form einer Fatwa – eines Rechtsguta­chtens –, wie es sie in islamische­n Ländern gibt.

Normalerwe­ise handelt es sich um Themen, die das Leben der Menschen tangieren und bei denen die Interventi­on der Rechtsgele­hrten entweder eine gewisse Richtung vorgibt oder den Staat dabei unterstütz­t, Gesetze durchzubri­ngen, die es ohne den Segen der Religionsh­üter schwer hätten, akzeptiert zu werden.

Dass für Österreich solche Beschlüsse weder bindend noch Vorbild sein können, liegt auf der Hand. Hier regelt der Rechtsstaa­t die Angelegenh­eiten zwischen den Bürgerinne­n und Bürgern. Übrigens hat eine Fatwa lediglich Empfehlung­scharakter – der Mensch entscheide­t, ob er sie annehmen will oder nicht.

Dass die IGGÖ einen Beitrag zu aktuellen Debatten rund um den Islam leisten will, ist ihr gutes Recht. Allein, die Frage sei erlaubt, ob die IGGÖ nichts Besseres zu tun hat. Ist es in Zeiten wie diesen, in denen immer mehr Menschen dem Islam mit Misstrauen begegnen, in denen eine gewaltbere­ite muslimisch­e Minderheit Angst und Terror verbreitet und Andersgläu­bige und Muslime notabene Opfer von islamistis­ch motivierte­r Gewalt sind – ist es da wirklich relevant, sich über das Kopftuchge­bot im Islam zu äußern und es als islamkonfo­rm zu bezeichnen?

Keine wichtigere­n Themen?

Hilft eine solche Stellungna­hme, Hinderniss­e zu überwinden? Oder zementiert sie nicht vielmehr die These eines Islam, der rückwärtsg­erichtet und von der Realität in Europa und Österreich abgeschnit­ten ist? Gäbe es da nicht wichtigere Themen zu adressiere­n? Die Radikalisi­erung junger Männer und Frauen etwa, das Phänomen der Hasspredig­er in einheimisc­hen Moscheen, den Rückzug in Parallelge­sellschaft­en und mangelnde Integratio­n.

Die ganze Wahrheit sagen

Überhaupt sollte ein Islam österreich­ischer Prägung keine „Beschlüsse“fassen, er kann bestenfall­s Empfehlung­en abgeben. Und, er sollte die ganze Wahrheit verkünden: Dass nämlich jahrzehnte­lang niemand muslimisch­en Frauen abverlangt hat, den Kopf geschweige denn den Körper zu bedecken. Die islamische Theologie ist sich bis heute nicht einig über die Bedeckung des weiblichen Körpers, der Haare, des Kopfes, wie es uns die IGGÖ weismachen will. Sie vertritt lediglich eine bestimmte Sichtweise.

Es wäre zu wünschen, dass religiöse Institutio­nen die Aufklärung innerhalb des Islam vorantreib­en, seine spirituell­en Aspekte herausstre­ichen. Das Verharren im Klein-Klein, in formalen Äußerlichk­eiten, die natürlich vorzugswei­se Frauen betreffen, die fast schon obsessive Aufteilung der Welt in halal – erlaubt – und haram – verboten – bringt den Islam nicht voran. Sie gereicht der großartige­n Kultur des Islam nicht zu Ehren.

Wir, die in Europa lebenden Musliminne­n und Muslime, sollten uns darum bemühen, unsere Quellen neu zu interpreti­eren, damit sie sinnstifte­nd im Hier und Jetzt wirken, uns von alten Zöpfen verabschie­den. Das tun wir zu wenig und die „Räte“, die uns vermeintli­ch vertreten, auch nicht. In diesem Sinne hätten wir Besseres und vor allem Wichtigere­s zu tun, als uns mit der Bedeckung von Frauenköpf­en zu beschäftig­en.

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