Fehlender Glaube an die Faktizität
„Wenn alles zur Glaubensfrage wird, verlieren Fakten ihre Wirkmacht“, LA von Oliver Grimm,13. 3. Fakten verlieren ihre Wirksamkeit nicht durch Glaubensfragen, sondern durch den fehlenden Glauben an ihre Faktizität. Paradoxerweise hat uns ausgerechnet die Aufklärung u. a. jene Freiheit gebracht, durch die der aufgeklärte Mensch, wider besseres Wissen, nicht an das, was er weiß, auch glauben muss. Gesinnung stützen“zur „Faktenresistenz“führt, so frage ich mich z. B. angesichts der aktuellen Diskussion über Otter und Fisch, wie ich als Laie nun aus den beiden (ich setze voraus: richtigen) Sachverhaltsdarstellungen die relevanten Fakten herausfinden soll, ohne zumindest unbewusst meine Wertvorstellungen einfließen zu lassen.
Die pointierte Eingangsformulierung „Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung – aber nicht auf seine eigenen Tatsachen“scheint auf den ersten Blick überzeugend. Wenn es aber um die Beurteilung geht, ob Tatsachen richtig oder verfälscht dargestellt werden, welche Fakten relevant sind, oder ob die Auswahl der angebotenen Informationen „objektiv“war, ist manchmal der Laie hoffnungslos und der Fachmann argumentativ überfordert.
Die beiden von Herrn Grimm in seinem Leitartikel herangezogenen Beispiele werden in ihrer Komplexität ebenfalls noch durchaus diskutiert. Nur über Banalitäten wie „2x2=4“wird kaum je gestritten. Ich muss also „aus . . . Tatsächlichkeiten Glaubensfragen machen“, um das Angebotene zu werten, und sollte mir dessen bewusst sein. Da wende ich mich nicht „ganz von der kritischen Vernunft ab“, wie Grimm befindet, sondern im Gegenteil unterwerfe ich mich ihr. So viel vernünftige Skepsis statt des nur vermeintlichen Besitzes der Wahrheit erwarte ich im Übrigen auch von gutem Journalismus.