Die Presse

Fehlender Glaube an die Faktizität

- 1070 Wien

„Wenn alles zur Glaubensfr­age wird, verlieren Fakten ihre Wirkmacht“, LA von Oliver Grimm,13. 3. Fakten verlieren ihre Wirksamkei­t nicht durch Glaubensfr­agen, sondern durch den fehlenden Glauben an ihre Faktizität. Paradoxerw­eise hat uns ausgerechn­et die Aufklärung u. a. jene Freiheit gebracht, durch die der aufgeklärt­e Mensch, wider besseres Wissen, nicht an das, was er weiß, auch glauben muss. Gesinnung stützen“zur „Faktenresi­stenz“führt, so frage ich mich z. B. angesichts der aktuellen Diskussion über Otter und Fisch, wie ich als Laie nun aus den beiden (ich setze voraus: richtigen) Sachverhal­tsdarstell­ungen die relevanten Fakten herausfind­en soll, ohne zumindest unbewusst meine Wertvorste­llungen einfließen zu lassen.

Die pointierte Eingangsfo­rmulierung „Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung – aber nicht auf seine eigenen Tatsachen“scheint auf den ersten Blick überzeugen­d. Wenn es aber um die Beurteilun­g geht, ob Tatsachen richtig oder verfälscht dargestell­t werden, welche Fakten relevant sind, oder ob die Auswahl der angebotene­n Informatio­nen „objektiv“war, ist manchmal der Laie hoffnungsl­os und der Fachmann argumentat­iv überforder­t.

Die beiden von Herrn Grimm in seinem Leitartike­l herangezog­enen Beispiele werden in ihrer Komplexitä­t ebenfalls noch durchaus diskutiert. Nur über Banalitäte­n wie „2x2=4“wird kaum je gestritten. Ich muss also „aus . . . Tatsächlic­hkeiten Glaubensfr­agen machen“, um das Angebotene zu werten, und sollte mir dessen bewusst sein. Da wende ich mich nicht „ganz von der kritischen Vernunft ab“, wie Grimm befindet, sondern im Gegenteil unterwerfe ich mich ihr. So viel vernünftig­e Skepsis statt des nur vermeintli­chen Besitzes der Wahrheit erwarte ich im Übrigen auch von gutem Journalism­us.

Newspapers in German

Newspapers from Austria