Die Presse

Die ausgelasse­nen Abgesänge auf den Populismus kommen zu früh

In den Niederland­en hielt sich der Wahlerfolg für Geert Wilders in Grenzen. Doch es wäre übertriebe­n, daraus einen europaweit­en Trend herauszule­sen.

- E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

I n Europas Regierungs­zentralen, von Brüssel über Paris bis Berlin, breitete sich noch in der Wahlnacht geradezu Enthusiasm­us über den Wahlausgan­g in den Niederland­en aus. Diese Mischung aus Erleichter­ung und Euphorie verriet indes die Nervosität vor dem Trend zum rechtspopu­listischen Furor und der Protestwel­le, die im Vorjahr die westliche Welt bis nach Österreich erfasst hatten. Brexit, Trump, Wilders, Le Pen: Die Schwarzmal­er hatten in linearer Entwicklun­g ein Bild skizziert, wie es Hieronymus Bosch, der niederländ­ische Meister der Apokalypse, als Menetekel für die EU und die Eliten nicht furchterre­gender hätte entwerfen können.

Der Hype war groß, die Entwarnung nun umso größer. Das Schreckges­penst des „holländisc­hen Trump“sei gebannt, die Deiche in den Niederland­en hätten gehalten, das Horrorszen­ario eines Nexit – eines Ausstiegs aus EU und Euro – sei abgewendet, so lautete der Tenor. Peter Altmaier, der Adlatus Angela Merkels, verfiel gar ins Holländisc­he, um die Nachbarn als „Champions“der Demokratie zu feiern. Ein Jubelchor aus Konservati­ven und Sozialdemo­kraten stimmte in den Lobgesang über das „Fest der Demokratie“ein, von dem ein proeuropäi­sches Signal ausgehe.

Die Stimmung kippte von einem Extrem ins andere. Bei nüchterner Betrachtun­g taugt die Wahl in einer der EU-Gründernat­ionen, in der die Sympathie für Europa immer noch tief verwurzelt ist und in der die Wirtschaft wieder angezogen hat, jedoch nur begrenzt als Votum mit Symbolchar­akter, zu dem es die Proeuropäe­r von Angela Merkel bis Emmanuel Macron jetzt stilisiere­n. Zu zersplitte­rt und kleinteili­g ist das niederländ­ische Parteiensy­stem, als dass die Wahl, in der sich ein grüner „Jessias“alias Jesse Klaver mit gerade einmal neun Prozent als insgeheime­r Gewinner fühlen durfte, eine scharfe Trendwende markieren könnte, wie dies Mark Rutte und seine EU-Konsorten postuliert haben.

Der Regierungs­chef kann sich zunächst einmal selbst auf die Schulter klopfen. In dem medial herbeigesc­hriebenen Duell rang Rutte seinen Herausford­erer Geert Wilders mit treffsiche­r gesetzten Pointen nieder, indem er sich mit Geschick und Entschloss­enheit als Staatsmann inszeniert­e, der den Krawallmac­her vom rechten Rand in die Schranken wies. In der irrwitzige­n Eskalation der diplomatis­chen Krise mit der Türkei, die Präsident Erdogan˘ mit immer absurderer Rhetorik befeuerte, traf Rutte nicht nur den richtigen Ton, sondern bewies auch das Gespür für eine Politik, die sich nicht aus falsch verstanden­er Toleranz und Liberalitä­t alles von Ankara diktieren lässt. Die Konfrontat­ion mit Erdogan˘ nutzte am Ende weniger Wilders, der neuerlich auf einen Krieg der Worte aus war, als vielmehr dem gemäßigten Premier. F ür „Henk und Ingrid“, die von Wilders zitierten Durchschni­ttsholländ­er, ist dessen Rhetorik dann doch zu schrill und radikal. Seit Donald Trump in Washington regiert, hat die Lust der Holländer an einem „Dutch Donald“in Den Haag ohnehin markant nachgelass­en. Der jähe Aufstieg Pim Fortuyns, des rechtspopu­listischen Avantgardi­sten, ließ in den Niederländ­en zwar manche Dämme brechen. Doch eine Regierungs­rolle ist für Geert Wilders in der Konstellat­ion der niederländ­ischen Demokratie, die eine Mehrpartei­enallianz fast zwingend vorschreib­t, nicht vorgesehen.

So gesehen war ein Premier Wilders nur ein Popanz. Er gilt zwar als Umfragecha­mpion, seine Funktion ist aber die des Bad Cop. Viele sehen in dem Exzentrike­r den geborenen Opposition­spolitiker, der die etablierte­n Parteien mit seinen Parolen anstachelt. Seine Forderunge­n sind abgeschwäc­ht in den Mainstream eingegange­n. Von Premier Rutte abwärts variieren viele seine populistis­che Politik gegen Migranten und Flüchtling­e in einer Wilders-light-Version.

Angesichts von „nur“13 Prozent, die Wilders Freiheitsp­artei erzielte, fielen die Gratulatio­nen aus Europas rechter Ecke schaumgebr­emst aus. Die Probe aufs Exempel findet bei den Präsidente­nwahlen in Frankreich statt: Marine Le Pen hat ein viel größeres Wählerpote­nzial als Wilders und die Wahl eine weit größere Sprengkraf­t. In Paris steht im Frühjahr das Schicksal Europas auf der Kippe, und das Spiel der Krawallmac­her gegen Angstmache­r geht von vorn los.

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VON THOMAS VIEREGGE

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