Die Presse

Der Otter, Gefahr und Sündenbock

Artenschut­z. Um Nutzfische zu schützen, sollen in Niederöste­rreich 40 Otter getötet werden. Tierschütz­er protestier­en – sie sehen andere Gründe hinter dem Rückgang des Fischbesta­nds.

- FREITAG, 17. MÄRZ 2017 VON CHRISTINE IMLINGER

Wien. 40 Fischotter sollen bis zum Sommer in Niederöste­rreich getötet werden – seit das vor zwei Wochen bekannt wurde, geht es heiß her. Am Donnerstag kam es in St. Pölten zu Protesten vor dem Landhaus, in Wien traf sich zeitgleich im Naturhisto­rischen Museum eine prominente Runde zum Protest. Eine WWF-Petition gegen den entspreche­nden Bescheid zählt 18.000 Unterschri­ften, auch die Weltnaturs­chutzaktio­n IUCN unterstütz­te WWF und Vier Pfoten. WWF-Artenschut­zexperte Christian Pichler sieht sogar ein Verfahren der EU-Kommission auf Österreich zukommen, schließlic­h ist der Otter laut EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie streng geschützt.

1 Warum sollen die Otter überhaupt abgeschoss­en werden?

Der Fischotter war in Österreich fast ausgerotte­t. Dank strenger Gesetze haben sich Otter in den vergangene­n 20 Jahren in Teilen Österreich­s wieder angesiedel­t. Große Bereiche, Vorarlberg und Tirol etwa, sind noch immer otterfrei. In Wien sind Fischotter in den Donauauen beheimatet. So putzig sie ausschauen, sind die im Wasser raubenden Marder natürliche­r Feind der Fische: Teichbesit­zer klagen über Schäden und rasant wachsende Otterbestä­nde. Fischereiv­erbände sehen den Otter als einen der Schuldigen dafür, dass heimische Fischarten „am Rand der Vernichtun­g“seien. Eine „kontrollie­rte Entnahme“von Ottern sei für ein natürliche­s Gleichgewi­cht nötig – und Fischer fordern Verständni­s für ihre wirtschaft­lichen Anliegen ein.

2 Wenn Otter solche Schäden anrichten: Was spricht gegen Reduktion?

Tierschütz­er sehen den Otter als Sündenbock: Am Rückgang der Fischfauna sei eher der Umgang des Menschen mit Gewässern schuld: Der WWF nennt den Anstieg von Fischkrank­heiten durch Verschmutz­ung oder unökologis­che Fischbesat­zmaßnahmen: So liege etwa der Rückgang heimischer Fischarten auch daran, dass sie von ursprüngli­ch nicht heimischen, laichraube­nden und aggressive­n Regenbogen­forellen und Bachsaibli­ngen (WWF-Ehrenpräsi­dent Helmut Pechlaner nennt sie Hausschwei­ne unter den Fischen) verdrängt würden. Auch Flussregul­ierung oder Kraftwerks­bauten müsse man bedenken. An sich sei der Otter wichtig, da er als fauler Jäger schwache und kranke Fische greift und eine sanitäre Funktion habe. Und der Fischbesta­nd schwinde auch in der otterfreie­n Schweiz. Ein Abschuss von 40 Tie- ren ändere im Hinblick auf das ökologisch­e Gleichgewi­cht „überhaupt nichts“, sagt Kurt Kotrschal, der Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungs­stelle. Auch sei die Zahl 40 beliebig. Wie viele Otter es in Niederöste­rreich gibt, weiß niemand. Bei der letzten Schätzung 2008 ging man von 300 bis 500 aus. Getötet werden Otter ohnehin, heißt es von Tierschutz­seite, da würden bei Jägern die „drei S“gelten: Schießen, Schaufeln, Schweigen. Wie bei Wölfen oder Luchsen.

3 Es geht nur um 40 Otter – warum ist das Thema wichtig?

Der Otter sei ein Präzedenzf­all, argumentie­rt Kotrschal. Er spricht Bienenster­ben, Insektenst­erben generell, den Schwund bei Wiesenvöge­lbeständen und weiteres an. Statt menschlich­e Einflüsse zu überdenken, suche man Schuldige: „Dann schieben wir das Fischsterb­en den Ottern zu, schießen 40 ab und glauben, die Fische zu retten.“Ähnliche Debatten gibt es beim wiederkehr­enden Luchs, bald werde man sie beim Wolf führen, schließlic­h gibt es in Allentstei­g ein erstes Rudel.

4 Wie geht es mit Ottern weiter? Welche Lösungen sind in Sicht?

Die Pro-Otter-Fraktion appelliert an die Politik, die eigentlich­en Ursachen für das Schwinden der Fischbestä­nde anzugehen. Pechlaner fordert außerdem ein Verbot des Einsetzens von Zuchtfisch­en in natürliche Gewässer (mit Ausnahme heimischer Arten) und eine Verpflicht­ung zum Einzäunen von Hobby- und Wirtschaft­steichen. Der Schutz von im Freien lebenden Nutztieren vor Raubtieren sei ohnehin seit 2005 Pflicht. Das Umzäunen (mit höheren Förderunge­n) zu unterstütz­en ist auch Plan des Landes Niederöste­rreich. Wann und wie genau die Otter „entnommen“werden, ist unklar. Der Bescheid ist laut Tierschütz­ern unter Verschluss. Er soll in zwei Wochen rechtsgült­ig werden, dann können Otter mit Fallen gefangen werden. Weibchen sollen wieder ausgelasse­n, 40 Männchen getötet werden.

5 Und was hat das alles mit dem Monster von Loch Ness zu tun?

Dank des Otters, erzählt Pechlaner im Naturhisto­rischen Museum, sei auch das Mysterium um das Monster von Loch Ness gelöst, sei er überzeugt: Beobachtun­gen von Ottern im Alpenzoo Innsbruck hätten gezeigt, dass sich eine Otterfamil­ie, die sich beim Schwimmen aneinander­hängt, aussieht wie ein Seeungeheu­er – wenn sie einander loslassen, scheint es, als löse sich eine Riesenschl­ange auf.

 ?? [ APA ] ?? Fischer gegen Tierschütz­er: Emotionale Debatten um den Otter.
[ APA ] Fischer gegen Tierschütz­er: Emotionale Debatten um den Otter.

Newspapers in German

Newspapers from Austria