Die Presse

Falsche Prognosen, echte Milliarden

Infrastruk­tur. Die Verkehrspr­ognosen, auf denen Multimilli­arden-Investitio­nen in das Schienenne­tz beruhen, sind offenbar längst überholt. Trotzdem hält das Ministeriu­m eisern daran fest.

- FREITAG, 17. MÄRZ 2017 VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

In Österreich werden große Infrastruk­turvorhabe­n in der Regel auf politische­n Zuruf hin geplant, zur Untermauer­ung wirtschaft­lich fragwürdig­er Milliarden­vorhaben werden häufig geschönte Gutachten und Prognosen herangezog­en, die mit der Realität nur am Rande zu tun haben. Das gilt auch für die sogenannte Baltisch-Adriatisch­e Verkehrsac­hse. Eine Fiktion, die gemeinsam mit der ähnlich geplanten Brenner-Eisenbahns­trecke die Steuerzahl­er in den nächsten 50 Jahren mindestens 60 Milliarden Euro kosten wird. 42 Mrd. Euro davon sind vom Parlament unter dem Titel „Vorbelastu­ngen für künftige Budgets“ja schon genehmigt.

Wer dieses Statement für eine bösartige Übertreibu­ng hält, dem sei eine nähere Befassung mit den derzeit laufenden einschlägi­gen Vorgängen in Klagenfurt empfohlen. Dort bemühen sich Politiker, Interessen­vertreter und die ÖBB nach Kräften, obige These zu bestätigen.

Der Reihe nach: Die BaltischAd­riatische Eisenbahna­chse, für die in Österreich der Semmeringu­nd der Koralmtunn­el gebaut werden, wird vorläufig ja nicht von Danzig nach Triest reichen, sondern (mit einer fünfzig Kilometer langen Unterbrech­ung in der Steiermark) nur von Wien nach Klagenfurt. Sollte sich dort tatsächlic­h baltisch-adriatisch­er Verkehr im prognostiz­ierten Ausmaß entwickeln, dann wird dieser ab Klagenfurt auf der alten Südbahnstr­ecke unter anderem mitten durch die Wörthersee-Orte Krumpendor­f, Pörtschach und Velden rollen. Denn an den ursprüngli­chen Plan einer Tunnelkett­e zwischen Klagenfurt und Villach ist aus Finanzieru­ngsgründen in den nächsten Jahrzehnte­n eher nicht zu denken.

Das bringt die Kärntner auf die Palme. Die fürchten, dass die Ursprungsp­rognose wahr wird und dann 290 Züge pro Tag (derzeit sind es 180) durch die Tourismuso­rte donnern. Die Hälfte davon Güterzüge, die zum Teil extremen Lärm entwickeln. Alle fünf Minuten ein Zug – das macht sich vom Wörthersee-Hotelfenst­er aus nicht so gut.

Allerdings, und jetzt kommts: Die ÖBB signalisie­ren Entwarnung. Die kolportier­ten Zahlen seien „falsch“, besonders was den lauten Güterverke­hr betreffe. Die Zahl der Güterzüge werde mittelfris­tig nämlich bestenfall­s stagnieren, eher zurückgehe­n. Das klingt plausibel: In allen Nachbarlän­dern schrumpft der Bahn-Güterverke­hr. In Deutschlan­d (das ist freilich eher für die Brennerach­se interessan­t) wird für heuer beispielsw­eise ein mehr als vierprozen­tiger Rückgang erwartet. Da sind große Steigerung­en im Transitlan­d Österreich auch nicht drin. Zumal die ÖBB ja schon zu den erfolgreic­hen europäisch­en Bahnen gehören und mit einem 33-prozentige­n Marktantei­l im Güterverke­hr schon jetzt weit über dem Europaschn­itt liegen. Was die Bahn da zur Beruhigung der Kärntner Politiker und Touristike­r verlautbar­t hat, klingt also durchaus plausibel.

Nur: Planungsgr­undlage für Infrastruk­turinvesti­tionen ist die Verkehrspr­ognose des Infrastruk­turministe­riums. Und die geht eisern von starken und völlig unrealisti­schen Steigerung­en aus. Nach der auf der Webseite des Ministeriu­ms abrufbaren Prognose soll der Bahn-Güterverke­hr mittelfris­tig nicht, wie die Bahn sagt, stagnieren oder leicht abnehmen, sondern, je nach Szenario, zwischen 2015 und 2025 (also noch vor Eröffnung der Koralmbahn) österreich­weit um 21 bis 39 Prozent wachsen.

Die Zahlen der 2009 (also schon nach Ausbruch der Finanzkris­e) erstellten Prognose sind von der Realität aber ohnehin längst überholt worden: Von 2010 bis 2015 hatten die Prognostik­er eine Zunahme des Bahn-Güterverke­hrs um mindestens 15 Prozent vorausgese­hen. Geworden ist es dann laut Statistik Austria eine Stagnation.

Mit einer Prognose falsch zu liegen ist keine Schande. Das Umfeld ändert sich eben. An einer objektiv falschen Prognose festzuhalt­en und diese als Basis für Milliarden­investitio­nen zu nehmen, wie dies offenbar das Infrastruk­turministe­rium macht, ist allerdings in Hinsicht auf die Staatsfina­nzen ein ziemlich fahrlässig­es Verhalten.

Aber so funktionie­rt eben Verkehrspo­litik. Der grüne Kärntner Landtagsab­geordnete, Michael Johann, hat das in einer Stellungna­hme zur laufenden Kärntner Güterzugdi­skussion sehr entwaffnen­d dargestell­t: Kärnten habe seinerzeit den Bau der Koralmbahn „mit regionalwi­rtschaftli­chen Argumenten“durchgeset­zt, „obwohl es für den internatio­nalen Güterverke­hr kostengüns­tigere Alternativ­en gegeben hätte“. Da verschlägt es einem Steuerzahl­er einfach nur noch die Sprache.

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[ Clemens Fabry ] Der Güterverke­hr gehört derzeit nicht zu den großen Wachstumsb­ereichen europäisch­er Bahnen.
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