Falsche Prognosen, echte Milliarden
Infrastruktur. Die Verkehrsprognosen, auf denen Multimilliarden-Investitionen in das Schienennetz beruhen, sind offenbar längst überholt. Trotzdem hält das Ministerium eisern daran fest.
In Österreich werden große Infrastrukturvorhaben in der Regel auf politischen Zuruf hin geplant, zur Untermauerung wirtschaftlich fragwürdiger Milliardenvorhaben werden häufig geschönte Gutachten und Prognosen herangezogen, die mit der Realität nur am Rande zu tun haben. Das gilt auch für die sogenannte Baltisch-Adriatische Verkehrsachse. Eine Fiktion, die gemeinsam mit der ähnlich geplanten Brenner-Eisenbahnstrecke die Steuerzahler in den nächsten 50 Jahren mindestens 60 Milliarden Euro kosten wird. 42 Mrd. Euro davon sind vom Parlament unter dem Titel „Vorbelastungen für künftige Budgets“ja schon genehmigt.
Wer dieses Statement für eine bösartige Übertreibung hält, dem sei eine nähere Befassung mit den derzeit laufenden einschlägigen Vorgängen in Klagenfurt empfohlen. Dort bemühen sich Politiker, Interessenvertreter und die ÖBB nach Kräften, obige These zu bestätigen.
Der Reihe nach: Die BaltischAdriatische Eisenbahnachse, für die in Österreich der Semmeringund der Koralmtunnel gebaut werden, wird vorläufig ja nicht von Danzig nach Triest reichen, sondern (mit einer fünfzig Kilometer langen Unterbrechung in der Steiermark) nur von Wien nach Klagenfurt. Sollte sich dort tatsächlich baltisch-adriatischer Verkehr im prognostizierten Ausmaß entwickeln, dann wird dieser ab Klagenfurt auf der alten Südbahnstrecke unter anderem mitten durch die Wörthersee-Orte Krumpendorf, Pörtschach und Velden rollen. Denn an den ursprünglichen Plan einer Tunnelkette zwischen Klagenfurt und Villach ist aus Finanzierungsgründen in den nächsten Jahrzehnten eher nicht zu denken.
Das bringt die Kärntner auf die Palme. Die fürchten, dass die Ursprungsprognose wahr wird und dann 290 Züge pro Tag (derzeit sind es 180) durch die Tourismusorte donnern. Die Hälfte davon Güterzüge, die zum Teil extremen Lärm entwickeln. Alle fünf Minuten ein Zug – das macht sich vom Wörthersee-Hotelfenster aus nicht so gut.
Allerdings, und jetzt kommts: Die ÖBB signalisieren Entwarnung. Die kolportierten Zahlen seien „falsch“, besonders was den lauten Güterverkehr betreffe. Die Zahl der Güterzüge werde mittelfristig nämlich bestenfalls stagnieren, eher zurückgehen. Das klingt plausibel: In allen Nachbarländern schrumpft der Bahn-Güterverkehr. In Deutschland (das ist freilich eher für die Brennerachse interessant) wird für heuer beispielsweise ein mehr als vierprozentiger Rückgang erwartet. Da sind große Steigerungen im Transitland Österreich auch nicht drin. Zumal die ÖBB ja schon zu den erfolgreichen europäischen Bahnen gehören und mit einem 33-prozentigen Marktanteil im Güterverkehr schon jetzt weit über dem Europaschnitt liegen. Was die Bahn da zur Beruhigung der Kärntner Politiker und Touristiker verlautbart hat, klingt also durchaus plausibel.
Nur: Planungsgrundlage für Infrastrukturinvestitionen ist die Verkehrsprognose des Infrastrukturministeriums. Und die geht eisern von starken und völlig unrealistischen Steigerungen aus. Nach der auf der Webseite des Ministeriums abrufbaren Prognose soll der Bahn-Güterverkehr mittelfristig nicht, wie die Bahn sagt, stagnieren oder leicht abnehmen, sondern, je nach Szenario, zwischen 2015 und 2025 (also noch vor Eröffnung der Koralmbahn) österreichweit um 21 bis 39 Prozent wachsen.
Die Zahlen der 2009 (also schon nach Ausbruch der Finanzkrise) erstellten Prognose sind von der Realität aber ohnehin längst überholt worden: Von 2010 bis 2015 hatten die Prognostiker eine Zunahme des Bahn-Güterverkehrs um mindestens 15 Prozent vorausgesehen. Geworden ist es dann laut Statistik Austria eine Stagnation.
Mit einer Prognose falsch zu liegen ist keine Schande. Das Umfeld ändert sich eben. An einer objektiv falschen Prognose festzuhalten und diese als Basis für Milliardeninvestitionen zu nehmen, wie dies offenbar das Infrastrukturministerium macht, ist allerdings in Hinsicht auf die Staatsfinanzen ein ziemlich fahrlässiges Verhalten.
Aber so funktioniert eben Verkehrspolitik. Der grüne Kärntner Landtagsabgeordnete, Michael Johann, hat das in einer Stellungnahme zur laufenden Kärntner Güterzugdiskussion sehr entwaffnend dargestellt: Kärnten habe seinerzeit den Bau der Koralmbahn „mit regionalwirtschaftlichen Argumenten“durchgesetzt, „obwohl es für den internationalen Güterverkehr kostengünstigere Alternativen gegeben hätte“. Da verschlägt es einem Steuerzahler einfach nur noch die Sprache.