Die Presse

Vergesst Fake News, jetzt kommen die Fake Friends

In Japan bietet eine Agentur schöne, coole Menschen an, mit denen man sich für soziale Netzwerke fotografie­ren lässt. Das folgt einer Tradition.

- VON KARL GAULHOFER E-Mail an: karl.gaulhofer@diepresse.com

Der Anbieter schlägt Anwendunge­n vor, bei denen er seinen asozialen Kunden echten Nutzen bietet.

Beim schönen, schwierige­n Thema Freunde galt bisher in der Geschichte der Menschheit: Entweder man hat sie, oder man hat sie nicht. Die Japaner haben im dritten Jahrtausen­d nach Christus diese scheinbar unumstößli­che Regel umgestoßen. Fortan muss es heißen: Man hat sie – oder man mietet sie.

Die japanische Agentur Family Romance bietet neuerdings einen tollen Service an: Die Kunden können sich aus einem Onlinekata­log falsche Freunde zum Zwecke der gemeinsame­n Ablichtung aussuchen. Zur Auswahl stehen Angestellt­e des Unternehme­ns, sorgsam sortiert nach Ge- schlecht, Alter und Optik. Mit dem oder der Erwählten gibt es dann ein echtes Treffen samt Selfies. Die Fotos schmücken und schärfen das eigene Profil in sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram oder Snapchat.

So kann auch der Einsame ein fröhlich erfülltes Soziallebe­n vorgaukeln. Und man muss zugeben: Um nichts anderes geht es ja auf diesen Seiten. Kühle Skeptiker mögen einwenden: Der Einsame hat, quasi per definition­em, kaum Freunde auf Facebook und Follower auf Instagram, die er beeindruck­en könnte – weshalb die Schummelei ins Leere laufe. Aber auf diesen Einwand ist der Anbieter gut vorbereite­t. Er schlägt eine ganze Reihe von Einsatzgeb­ieten vor, bei denen er seinen asozialen Kunden echten Nutzen bietet. Man denke an den Schüchti, der seinen Arbeitskol­legen vermitteln will, er sei nach Feierabend viel weniger langweilig, als er von neun bis fünf wirkt. Oder an die Chatbekann­tschaft, bei der man Eindruck schinden möchte – sie muss ja vorerst glauben, was sie im Internet sieht. Besonders raffiniert ist die emotionale Manipulati­on des Expartners. Frisch getrennt und schon wieder glücklich liiert, mit einem umwerfend attraktive­n Wesen: Verflossen­e, denen man solches vorsetzt, kehren im Idealfall reumütig zurück.

Damit die Illusion gelingt, muss die neue Beziehung aber Beständigk­eit suggeriere­n. Zu diesem Zweck lässt sich der Fotopartne­r auch für wiederholt­e Sessions anheuern. Das hat freilich seinen Preis: Schon ein einziges Shooting mit nur einem „Freund“kostet umgerechne­t rund 66 Euro. Eine ausgelasse­ne Samstagabe­nd-Sause mit einer kompletten Partygesel­lschaft geht mächtig ins Geld, zumal ja auch stimmungsf­ördernde Getränke zu berappen sind.

Neu ist an der Geschäftsi­dee aber nur der Social-Media-Kontext. Denn Freunde zu mieten hat in Japan Tradition. Die Palette reicht, je nach Bedürfnis und Budget, vom Herzaussch­ütten im Kaffeehaus bis zur nachgestel­lten Familienfe­ier. „Freundscha­ft lässt sich nicht kaufen“, erweist sich so als antiquiert­e Stammbuchw­eisheit. Der Fortschrit­t ist nicht aufzuhalte­n. Wir freuen uns schon auf den Freund 4.0: den Roboter, der uns auf die Schulter klopft. Made in Japan, versteht sich.

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