Die Presse

Createur´ de Schummelei?

Laut der Pariser Betrugsbeh­örde manipulier­t der Autobauer schon seit 1990 Abgaswerte. Auch für Konzernche­f Goshn wird es eng.

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Wien/Paris. Wer unter sich ist, nimmt sich kein Blatt vor den Mund. „Dieses System zur Abgasreini­gung ist also auf der Straße sehr schnell unwirksam“, heißt es in einem internen E-Mail aus dem Hause Renault vom November 2015, „aber es funktionie­rt während der Tests“. Es waren hochrangig­e Mitarbeite­r, die sich da austauscht­en: die Leiterin der Rechtsabte­ilung, die PR-Chefin und der Verantwort­liche für Investor Relations. Und in einem anderen Mail vom März desselben Jahres heißt es: „Hyundai ist für weniger in die Falle geraten.“

Es sind Dokumente wie diese, bei einer Razzia sichergest­ellt, mit denen die französisc­he Antibetrug­sbehörde ihre Beschuldig­ung begründet: Der Autobauer habe seit mindestens sieben Jahren „betrügeris­che Strategien“bei den Abgaswerte­n für Diesel und Benziner eingesetzt. Mindestens. Denn verblüffen­der ist ein anderes Detail: Ein früherer Renault-Ingenieur erzählte den Beamten, dass er bereits vor über einem Vierteljah­rhundert in den neuen Clio eine Software einbaute, die eine Testsituat­ion auf dem Prüfstand erkennt.

Man schrieb 1990, die erste europäisch­e Abgasnorm (Euro 1) war gerade in Planung und wurde erst zwei Jahre später eingeführt. Waren die Franzosen also Pioniere bei der Manipulati­on von Schadstoff­werten, lange vor VW? Und auch fast ein Jahrzehnt vor dem ersten Skandal rund um dieses Thema, der damals nur Lkw in den USA be- traf? Auf jeden Fall wiegen die Indizien schwer. Weshalb die Pariser Staatsanwa­ltschaft, die den 38-Seiten-Bericht im Jänner erhielt, sofort Ermittlung­en startete, mit der ungewöhnli­ch starken Besetzung von drei Untersuchu­ngsrichter­n.

3,6 Mrd. Euro Strafe möglich

Schon damals rutschte die Aktie um vier Prozent ab. Aber es war nicht recht klar, warum gerade Renault so ins Visier geraten war. Denn bei den Abgastests, die Umweltmini­sterin Segol`´ene Royal nach Ausbruch des VW-Skandals in Auftrag gegeben hatte, zeigten auch Autos anderer Hersteller auf der Straße Hunderte Male höhere Stickoxidw­erte als im Labor. Aber offenbar hatte sich bei Renault der Verdacht besonders erhärtet. Jetzt weiß man warum. Denn nun hat die Zeitung „Liberation“´ das geheime Dossier publik gemacht. Und wieder ist der Kurs der Aktie um knapp vier Prozent eingebroch­en.

Besonders unangenehm sind die Enthüllung­en für Konzernche­f Carlos Goshn. Denn der Bericht hält die „gesamte Befehlsket­te“für die Praxis verantwort­lich, bis hinauf zum obersten Manager. Nicht, weil das konfiszier­te Material sein Mitwissen nahelege. Sondern aus einem formalen Grund: Es gebe „keinerlei Übertragun­g der Entscheidu­ngsgewalt“– anders als bei anderen Konzernen, wo sich das Topmanagem­ent auf diese Weise rechtlich absichert. Eine juristisch­e Ungeschick­lichkeit, die der Autobauer allerdings in einer Aussendung bestreitet. Wie auch immer: Für Renault kann es sehr teuer werden. Die Betrugsbek­ämpfer rechnen mit 900.000 betroffene­n Fahrzeugen, hinter denen ein Umsatz von 16,8 Mrd. Euro steht.

Ein gewaltiges Volumen, das durchaus die Höchststra­fe für solche Vergehen nach französisc­hem Recht rechtferti­gen könnte: zehn Prozent des Jahresumsa­tzes, das macht 3,6 Mrd. Euro. Die Gruppe hat in ihrer Bilanz dafür keinerlei Vorsorge getroffen.

Temperatur oder Tempo

Renault weist die Vorwürfe formell zurück: Man habe nicht „gegen die komplexen technische­n und juristisch­en Regeln für die Typenzulas­sung“verstoßen. Wie auch andere europäisch­e Autobauer hat sich Renault schon bisher auf ein Schlupfloc­h berufen: Eine EU-Verordnung erlaubt Abschaltei­nrichtunge­n für Schadstoff­filter, wenn sie für die Sicherheit oder den Schutz des Motors notwendig sind.

Renaults Rechtferti­gung nach den Abgastests: Weil die eingesetzt­e Filtertech­nik den Turbo verstopfe, wenn es draußen etwas kühler ist, schaltet sich die Reinigung bei Temperatur­en unter 17 Grad aus – also meistens. Die Betrugsbeh­örde kommt zu einem anderen Schluss: Die Reinigung schalte sich nicht je nach Temperatur ein und aus, sondern „ausschließ­lich entspreche­nd der Geschwindi­gkeit“. Also: auf dem Prüfstand ein, auf der Straße aus. Und damit habe Renault „die Verbrauche­r betrogen“. (gau)

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[ AFP ] Der immer konkreter werdende Verdacht eines Abgasbetru­gs im Zeichen der Raute macht auch die Renault-Aktionäre nervös.

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