Die Presse

Maria Happel spielt am Burgtheate­r erstmals Attische Tragödie – die „Orestie“. Ein Gespräch über die Herausford­erung, als Chor einen gemeinsame­n Klang zu erzeugen, über griechisch­e Kampfmasch­inen und starke Frauen. Obermacho Agamemnon

Vor der Premiere.

- VON NORBERT MAYER

Die Presse: Sie spielen derzeit im Burgtheate­r in Stücken von Brecht, Nestroy, Shakespear­e und Handke. Wie empfinden Sie die Umstellung auf das Drama eines Herrn, der vor 2500 Jahren gelebt hat? Maria Happel: Ich habe großen Respekt vor Aischylos. Seine „Orestie“zählt zum Ältesten im Schauspiel überhaupt. Wenn man in diese Trilogie eintaucht, wird man als Schauspiel­er beschenkt. Das Rad der Geschichte dreht sich, und alle Geschichte­n speisen sich daraus. Die größte Umstellung ist für uns, dass wir einen Chor spielen.

Worin besteht da die Herausford­erung? Im Gegensatz zum normalen Ensemble, in dem jeder eine Stimme hat, muss sich im Chor jedes Individuum zurückstel­len – hinter diese Sprache. Man fühlt sich, um es mit Musik zu vergleiche­n, wie bei einer Orgel. Wir sind in dieser Inszenieru­ng sieben Schauspiel­erinnen, wie sieben Pfeifen also, die einen gemeinsame­n Klang erzeugen.

Ist es nicht seltsam, sich auf den Chor ausgerechn­et bei jenem Dramatiker zu konzentrie­ren, der, so heißt es, einen zweiten Schauspiel­er eingeführt hat? Es gibt auch bei uns Individuen. Sie treten jeweils aus dem Chor heraus, um dann wieder eingebunde­n zu werden. Der Chor erzählt die Geschichte der Atriden, erinnert sich also und lässt dabei Figuren entstehen. Wir sind wie eine Handballma­nnschaft, die sich sehr präzise den Ball zuwerfen soll.

Mit welcher Rolle treten Sie vor? Ich bin in dieser Version Agamemnon, der Kriegsheld, der siegreich aus Troja zurückkehr­t. Er hat durch den Tochtermor­d, die Opferung Iphigenies, die erst die Fahrt nach Troja ermöglicht hat, Schuld auf sich geladen. Diesen Mord verhandelt er in „Agamemnon“, dem ersten Teil der Trilogie, mit seiner Ehefrau, Klytämnest­ra. Sie haben sich zehn Jahre nicht gesehen. Und jetzt bringt er auch noch eine Sklavin mit – Kassandra, die Tochter des trojanisch­en Königs Priamos. Ich bin also der Obermacho, der sich ständig abputzt und behauptet: „Ich habe nur meine Pflicht getan.“Der nicht lernfähig ist, sondern eine Kampfmasch­ine.

Ein Superheld kehrt heim . . . Mehr Sieg als der gegen Troja geht gar nicht, noch dazu mit dem Trick des hölzernen Pferdes, das schwanger mit Kriegern in seinem Bauch war. Klytämnest­ra aber stutzt Agamemnon zurecht: Die griechisch­en Helden seien nur mit Waffen und Asche heimgekehr­t. Ihre Stimme macht die „Orestie“geradezu zu einem Antikriegs­stück.

Am Samstag (19.30 h) wird die „Orestie“aufgeführt: „Agamemnon“– „Choephoren“– „Eumeniden“. Die einzige komplett erhaltene Trilogie antiker griechisch­er Tragödien wurde von ihrem ersten Genie verfasst, von Aischylos (525–456 v. Chr.). Regie führt Antu´ Romero Nunes. Deutsche Übersetzun­g von Peter Stein. Kammerscha­uspielerin Maria Happel spielt Agamemnon und im Chor mit sechs Kolleginne­n. Wie legen Sie diesen Helden an, der von seiner Frau und ihrem Liebhaber noch im ersten Teil der Trilogie ermordet wird? Es wäre falsch, ihn als gebrochene­n Mann zu zeigen. Wie gesagt, er ist ein großer Held. Doch schon bei der ersten Begegnung mit Klytämnest­ra muss man genau auf die Zwischentö­ne hören. Agamemnon und sie reden wie in einem Geheimcode. Sein erstes Wort richtet er nicht an die Frau oder sein Volk, sondern an Argos und die Götter. Sie haben sein Schicksal entschiede­n, Stimmstein­e in die Urne geworfen. Dabei klingen manche Sätze so, als ob sie aus unserer Zeit sind. Wenn Agamemnon auf die Begrüßung seiner Frau erwidert, ihre Rede gleiche seiner Abwesenhei­t, sie habe sich in die Länge gezogen, ist das unglaublic­h. Szenen einer Ehe. Nach fünf Minuten ist alles beim Alten. Die Chöre in den drei Dramen stellen unterschie­dliche Gruppen dar. In „Agamemnon“sind es die alten Männer, die nicht mehr in den Krieg mitziehen konnten, in den „Choephoren“die versklavte­n Frauen und Kinder aus Troja, in den „Eumeniden“die Rachegötti­nnen, die zu den titelgeben­den Wohlgesinn­ten werden. Wird das bei Ihrem Chor berücksich­tigt? Die Chöre sind bei uns wie die Schachtel in der Schachtel. Die Erinnyen wachen auf, weil von den Menschen der Friedensve­rtrag nicht mehr eingehalte­n wird. Sie übernehmen die Arbeit, die eigentlich den Rachegötti­nnen zusteht. Sie beginnen die Geschichte zu erzählen, weil es kein Gleichgewi­cht mehr gibt. Das alte Gesetz ist nicht mehr gültig.

In der Attischen Tragödie durften keine Frauen mitspielen. Es war Männersach­e. Ausgleiche­nde Gerechtigk­eit in der Burg? Ich finde es hochintere­ssant, dass diese Trilogie jetzt von Frauen gespielt wird. Wir müssen uns fragen, wie unser Blick auf die Männer und auch auf die Frauen ist. Sie steigen im Stück gar nicht schlecht aus, sie sind höchstinte­ressante Figuren. Es geht darin auch um die Grenze zwischen Matriarcha­t und Patriarcha­t, zwischen Demokratie und Diktatur. Das ist hochaktuel­l. Schauen Sie sich doch an, was allein in den vergangene­n Wochen in der Weltpoliti­k passiert ist. Es haben zum Beispiel in den USA nur ein paar Millimeter gefehlt, um mit Hillary Clinton eine Frau im mächtigste­n Amt der Welt zu haben. Es ist halt leider oft so: Eigentlich steigen die Frauen gut aus, aber ans Ziel kommen sie meist nicht.

Wie viel Erfahrung haben Sie mit den alten griechisch­en Dramen? An der Burg haben Sie bisher noch in keinem gespielt. Das stimmt. Aber an der Schauspiel­schule habe ich die Antigone aus der gleichnami­gen Tragödie des Sophokles gespielt. Und in relativ jungen Jahren habe ich in Berlin die Medea gespielt, allerdings jene von Heiner Müller, „Landschaft mit Argonauten. Medeamater­ial“. Ich habe dazu als Sekundärli­teratur natürlich auch die „Medea“des Euripides gelesen. Dessen Stücke hätten mich wahnsinnig gereizt. Ich war da 22 Jahre alt. Im Nachhinein würde ich, obwohl es irgendwie funktionie­rt hat, sagen: Man braucht für diese antiken Stücke wahrschein­lich doch einen Rucksack an Erfahrung.

 ?? [ APA/Herbert Neubauer ] ?? Maria Happel in der „Orestie“des Aischylos am Burgtheate­r als griechisch­er Superheld.
[ APA/Herbert Neubauer ] Maria Happel in der „Orestie“des Aischylos am Burgtheate­r als griechisch­er Superheld.

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