Maria Happel spielt am Burgtheater erstmals Attische Tragödie – die „Orestie“. Ein Gespräch über die Herausforderung, als Chor einen gemeinsamen Klang zu erzeugen, über griechische Kampfmaschinen und starke Frauen. Obermacho Agamemnon
Vor der Premiere.
Die Presse: Sie spielen derzeit im Burgtheater in Stücken von Brecht, Nestroy, Shakespeare und Handke. Wie empfinden Sie die Umstellung auf das Drama eines Herrn, der vor 2500 Jahren gelebt hat? Maria Happel: Ich habe großen Respekt vor Aischylos. Seine „Orestie“zählt zum Ältesten im Schauspiel überhaupt. Wenn man in diese Trilogie eintaucht, wird man als Schauspieler beschenkt. Das Rad der Geschichte dreht sich, und alle Geschichten speisen sich daraus. Die größte Umstellung ist für uns, dass wir einen Chor spielen.
Worin besteht da die Herausforderung? Im Gegensatz zum normalen Ensemble, in dem jeder eine Stimme hat, muss sich im Chor jedes Individuum zurückstellen – hinter diese Sprache. Man fühlt sich, um es mit Musik zu vergleichen, wie bei einer Orgel. Wir sind in dieser Inszenierung sieben Schauspielerinnen, wie sieben Pfeifen also, die einen gemeinsamen Klang erzeugen.
Ist es nicht seltsam, sich auf den Chor ausgerechnet bei jenem Dramatiker zu konzentrieren, der, so heißt es, einen zweiten Schauspieler eingeführt hat? Es gibt auch bei uns Individuen. Sie treten jeweils aus dem Chor heraus, um dann wieder eingebunden zu werden. Der Chor erzählt die Geschichte der Atriden, erinnert sich also und lässt dabei Figuren entstehen. Wir sind wie eine Handballmannschaft, die sich sehr präzise den Ball zuwerfen soll.
Mit welcher Rolle treten Sie vor? Ich bin in dieser Version Agamemnon, der Kriegsheld, der siegreich aus Troja zurückkehrt. Er hat durch den Tochtermord, die Opferung Iphigenies, die erst die Fahrt nach Troja ermöglicht hat, Schuld auf sich geladen. Diesen Mord verhandelt er in „Agamemnon“, dem ersten Teil der Trilogie, mit seiner Ehefrau, Klytämnestra. Sie haben sich zehn Jahre nicht gesehen. Und jetzt bringt er auch noch eine Sklavin mit – Kassandra, die Tochter des trojanischen Königs Priamos. Ich bin also der Obermacho, der sich ständig abputzt und behauptet: „Ich habe nur meine Pflicht getan.“Der nicht lernfähig ist, sondern eine Kampfmaschine.
Ein Superheld kehrt heim . . . Mehr Sieg als der gegen Troja geht gar nicht, noch dazu mit dem Trick des hölzernen Pferdes, das schwanger mit Kriegern in seinem Bauch war. Klytämnestra aber stutzt Agamemnon zurecht: Die griechischen Helden seien nur mit Waffen und Asche heimgekehrt. Ihre Stimme macht die „Orestie“geradezu zu einem Antikriegsstück.
Am Samstag (19.30 h) wird die „Orestie“aufgeführt: „Agamemnon“– „Choephoren“– „Eumeniden“. Die einzige komplett erhaltene Trilogie antiker griechischer Tragödien wurde von ihrem ersten Genie verfasst, von Aischylos (525–456 v. Chr.). Regie führt Antu´ Romero Nunes. Deutsche Übersetzung von Peter Stein. Kammerschauspielerin Maria Happel spielt Agamemnon und im Chor mit sechs Kolleginnen. Wie legen Sie diesen Helden an, der von seiner Frau und ihrem Liebhaber noch im ersten Teil der Trilogie ermordet wird? Es wäre falsch, ihn als gebrochenen Mann zu zeigen. Wie gesagt, er ist ein großer Held. Doch schon bei der ersten Begegnung mit Klytämnestra muss man genau auf die Zwischentöne hören. Agamemnon und sie reden wie in einem Geheimcode. Sein erstes Wort richtet er nicht an die Frau oder sein Volk, sondern an Argos und die Götter. Sie haben sein Schicksal entschieden, Stimmsteine in die Urne geworfen. Dabei klingen manche Sätze so, als ob sie aus unserer Zeit sind. Wenn Agamemnon auf die Begrüßung seiner Frau erwidert, ihre Rede gleiche seiner Abwesenheit, sie habe sich in die Länge gezogen, ist das unglaublich. Szenen einer Ehe. Nach fünf Minuten ist alles beim Alten. Die Chöre in den drei Dramen stellen unterschiedliche Gruppen dar. In „Agamemnon“sind es die alten Männer, die nicht mehr in den Krieg mitziehen konnten, in den „Choephoren“die versklavten Frauen und Kinder aus Troja, in den „Eumeniden“die Rachegöttinnen, die zu den titelgebenden Wohlgesinnten werden. Wird das bei Ihrem Chor berücksichtigt? Die Chöre sind bei uns wie die Schachtel in der Schachtel. Die Erinnyen wachen auf, weil von den Menschen der Friedensvertrag nicht mehr eingehalten wird. Sie übernehmen die Arbeit, die eigentlich den Rachegöttinnen zusteht. Sie beginnen die Geschichte zu erzählen, weil es kein Gleichgewicht mehr gibt. Das alte Gesetz ist nicht mehr gültig.
In der Attischen Tragödie durften keine Frauen mitspielen. Es war Männersache. Ausgleichende Gerechtigkeit in der Burg? Ich finde es hochinteressant, dass diese Trilogie jetzt von Frauen gespielt wird. Wir müssen uns fragen, wie unser Blick auf die Männer und auch auf die Frauen ist. Sie steigen im Stück gar nicht schlecht aus, sie sind höchstinteressante Figuren. Es geht darin auch um die Grenze zwischen Matriarchat und Patriarchat, zwischen Demokratie und Diktatur. Das ist hochaktuell. Schauen Sie sich doch an, was allein in den vergangenen Wochen in der Weltpolitik passiert ist. Es haben zum Beispiel in den USA nur ein paar Millimeter gefehlt, um mit Hillary Clinton eine Frau im mächtigsten Amt der Welt zu haben. Es ist halt leider oft so: Eigentlich steigen die Frauen gut aus, aber ans Ziel kommen sie meist nicht.
Wie viel Erfahrung haben Sie mit den alten griechischen Dramen? An der Burg haben Sie bisher noch in keinem gespielt. Das stimmt. Aber an der Schauspielschule habe ich die Antigone aus der gleichnamigen Tragödie des Sophokles gespielt. Und in relativ jungen Jahren habe ich in Berlin die Medea gespielt, allerdings jene von Heiner Müller, „Landschaft mit Argonauten. Medeamaterial“. Ich habe dazu als Sekundärliteratur natürlich auch die „Medea“des Euripides gelesen. Dessen Stücke hätten mich wahnsinnig gereizt. Ich war da 22 Jahre alt. Im Nachhinein würde ich, obwohl es irgendwie funktioniert hat, sagen: Man braucht für diese antiken Stücke wahrscheinlich doch einen Rucksack an Erfahrung.