Die Presse

Ökumene braucht, Klarheit, Redlichkei­t und Nüchternhe­it

Die Ökumene im Jahr des Reformatio­nsjubiläum­s: Der Schein trügt.

- VON ULRICH H. J. KÖRTNER Ulrich H. J. Körtner (geboren 1957 in Hameln) ist Ordinarius für Systematis­che Theologie an der Evangelisc­h-Theologisc­hen Fakultät der Universitä­t Wien.

Der ökumenisch­e Gottesdien­st, den die evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d und die Deutsche Bischofsko­nferenz am 11. März in Hildesheim als Christusfe­st gefeiert haben, bildet einen Höhepunkt im Jahr des Reformatio­nsjubiläum­s. Die gesamte deutsche Staatsspit­ze war zugegen. Nach 500 Jahren Kirchenspa­ltung sollte der Gottesdien­st ein starkes Zeichen der Versöhnung setzen. Es sollte das die Kirchen Verbindend­e über das noch Trennende zu stellen.

Heute wird ja vielfach betont, dass die Kirchen nach einem Jahrhunder­t der Ökumene inzwischen mehr verbindet als trennt. Doch in Hildesheim ging es um mehr, nämlich um einen öffentlich­en Akt der Buße und der Versöhnung.

„Wir bitten Gott und einander um Vergebung, und wir gewähren einander Vergebung“, das war die zentrale Botschaft. Gemeinsam richtete man den Blick auf das, was Christen in der Vergangenh­eit seit der Reformatio­n und der Gegenrefor­mation an Leid zugefügt haben. Von Scham und Trauer war die Rede und von der Hoffnung, dass die Möglichkei­t der Heilung von Erinnerung, aber auch der Heilung durch Erinnerung.

Die ökumenisch­e Vision ist die Einheit der noch getrennten Kirchen in versöhnter Verschiede­nheit. Sind wir dieser Einheit aber nun wirklich eine bedeutende­n Schritt näher gekommen?

Große Gesten, aber . . .

Wie in Hildesheim hat es schon in Lund am Reformatio­nstag 2016 große Gesten gegeben, als Papst Franziskus gemeinsam mit der Spitze des Lutherisch­en Weltbundes einen gemeinsame­n Gottesdien­st feierte. Er vermied es freilich sorgfältig, von der Lutherisch­en Kirche als Kirche zu sprechen. In Hildesheim war es nicht anders. Nach wie vor spricht die römisch-katholisch­e Kirche den Kirchen, die aus der Reformatio­n hervorgega­ngen sind, ihr Kirchesein ab. Lediglich Elemente von Kirchlichk­eit mag man ihnen zubilligen. Dem evangelisc­hen Pfarramt, zu dem heute Männer wie Frauen zugelassen sind, bleibt die Anerkennun­g weiterhin versagt. Daher wird auch die evangelisc­he Abendmahls­feier weiterhin der katholisch­en Eucharisti­e für nicht gleichwert­ig gehalten.

Vergeben kann nur Gott

Kritischen Beobachter­n ist übrigens nicht entgangen, dass der große Buß- und Versöhnung­sgottesdie­nst in Hildesheim am Samstag und nicht am Sonntag gefeiert wurde – denn da bleiben die Katholiken bei der Messe unter sich.

Davon abgesehen blieb beim Bußritual in Hildesheim unklar, wer hier eigentlich wem welche konkrete Schuld vergeben sollte. Im Ernst kann niemand anstelle von Tätern früherer Jahrhunder­te für begangene Schuld um Vergebung bitten, und niemand hat die Vollmacht, anstelle von Opfern Vergebung zu gewähren. Sünde vergeben kann zudem allein Gott.

Für die Reformatio­n selbst aber können evangelisc­he Christen Gott auch nach 500 Jahren nur dankbar sein, und die evangelisc­hen Kirchen brauchen sich nicht dafür zu entschuldi­gen, dass es sie gibt.

In der entscheide­nden Frage ihrer Anerkennun­g gibt es auch im Jahr des Reformatio­nsjubiläum­s leider keine substanzie­llen Fortschrit­te. Atmosphäri­sche Verbesseru­ngen, medienwirk­same Gesten und symbolisch­e Aktionen können darüber nicht hinwegtäus­chen. In Österreich hat man auf derartige Aktionen dankenswer­terweise verzichtet. Bemerkensw­ert und erfreulich sind aber gemeinsame Hirtenwort­e in Oberösterr­eich und Salzburg, aus denen der Geist der Versöhnung spricht. Was die Ökumene aber eben auch braucht, ist theologisc­he Klarheit, Redlichkei­t und Nüchternhe­it.

Newspapers in German

Newspapers from Austria