Die Presse

Das Downsyndro­m im „Planquadra­t“

Trisomie 21. Menschen mit DS gelten als Sympathiet­räger, aber kaum ein Kind kommt mehr damit zur Welt: Bis zu 95 Prozent werden abgetriebe­n. Vereine und Kirche wollen nun gegensteue­rn.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Wien. Im Internet sind Menschen mit Downsyndro­m derzeit Stars. Eine junge Frau, die in Frankreich jüngst das TV-Wetter angesagt hat, erhielt Millionen Likes und Präsenz auf zigtausend­en Websites. So wie auch Madeline Stuart, eines der ersten Models mit Downsyndro­m (DS). Athleten, die in Schladming bei den Special Olympics antreten, werden für ihre Fähigkeite­n gelobt, besonders jene mit DS gelten als Sympathiet­räger. Im Alltag ist die Situation eine andere. Kinder mit DS sieht man kaum mehr, 90 bis 95 Prozent aller Föten, bei denen Trisomie 21 diagnostiz­iert wird, werden abgetriebe­n. Das sind Schätzunge­n, denn Zahlen von Abtreibung­en oder DS-Babys, die zur Welt kommen, gibt es nicht, kritisiere­n Interessen­verbände.

„Hat man das nicht gewusst?“

Entscheide­t sich ein Paar für ein Kind mit DS, höre es nach wie vor Fragen wie „Hat man das denn nicht gewusst?“, wie Anna Wieser von Down-Syndrom Österreich und Mutter einer 21-Jährigen mit DS, bei einem Symposium in Wien erzählt. Dazu hat das Institut für Ehe und Familie der Bischofsko­nferenz im Vorfeld des Welt-Downsyndro­m-Tags am 21. März geladen. Und aus politische­n Anlässen: Im Wiener Gemeindera­t wurde Anfang März ein ÖVP-Antrag zur Unterstütz­ung von Kindern mit DS, der eine Neugeboren­en-Info-Box des Vereins Down-Syndrom Öster- reich in Spitälern beinhaltet hätte, von SPÖ und Grünen abgelehnt.

Zuletzt wurde in Frankreich die Ausstrahlu­ng des TV-Spots „Dear Future Mom“untersagt. Darin erklären 15 DS-Kinder einer Schwangere­n, die vor der Entscheidu­ng über einen Abbruch steht, was für ein Leben dieses Kind hätte. Es werde glücklich sein, eigenständ­ig leben, arbeiten usw.

Der Spot wurde in Cannes ausgezeich­net und auf einigen Sendern ausgestrah­lt, bis der französisc­he Verwaltung­ssenat für Rundfunk entschied, er dürfe nicht im Werbeblock laufen. Er verfolge kein allgemeine­s Interesse und sei geeignet, Frauen, die einen Abbruch hinter sich haben, Schuldgefü­hle zu machen. In Österreich wäre eine solche Entscheidu­ng nicht denkbar, sind sich Anwalt Gerald Ganzger und Michael Straberger, Präsi- dent des Österreich­ischen Werberats, beim Symposium einig.

Auch Kardinal Christoph Schönborn hat sich am Freitag beim Abschluss der Bischofsko­nferenz in die Debatte eingeschal­tet: Jüngste Entwicklun­gen seien für Menschen mit DS bedrohlich. Es gebe oft subtilen Druck auf Frauen bei Schwangers­chaftsunte­rsuchungen. „Diese Tendenzen tragen zu einer latent vorhandene­n eugenische­n Grundhaltu­ng bei, die zutiefst abzulehnen ist.“

Auf mitunter einseitige Beratung deuten auch die Berichte von Anita Weichberge­r, Psychologi­n am Wiener AKH, hin: Ärzte würden in der Beratung oft Defizite und Negatives betonen. Auch sei angesichts der Schocksitu­ation nach einer Diagnose keine Entscheidu­ng möglich. „In Deutschlan­d sind drei Tage Frist zwischen Diagnose und Entscheidu­ng gesetzlich festgelegt, in Österreich gibt es das nicht.“Auch wenn am AKH etwa diese Frist trotzdem gilt.

Anna Wieser kritisiert eine Fahndung nach DS per „Planquadra­t“(aber nicht Pränataldi­agnostik an sich, die auch Leben retten kann). Besonders nach OGH-Urteilen, denen zufolge Ärzte auf Schadeners­atz geklagt werden können, wenn jemand ein Kind zur Welt bringt, dessen Behinderun­g pränatal hätte diagnostiz­iert werden können. Angesichts der Diagnostik „stehen wir auf verlorenem Posten“, sagt Wieser. Aber es gebe auch Positives: Wurde DS früher als schwere Bürde gesehen, seien Eltern heute viel selbstbewu­sster.

Und in Wien dürften wieder mehr Kinder mit DS zur Welt kommen, darauf deuten interne Statistike­n der DS-Ambulanz des Wiener Krankenans­taltenverb­unds hin: Dort wurden zuvor jahrelang stets 20 bis 25 Kinder betreut, 2015 schon 27, 2016 sogar 30 DS-Kinder.

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[ YouTube ] Szene aus „Dear Future Mom“: Die Ausstrahlu­ng wurde in Frankreich untersagt.

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