Die Presse

Ein Roman wie ein Songbook

Roman-Revue. Attwenger-Texter und -Sänger Markus Binder hat einen Roman geschriebe­n. Ein rasanter Reiseberic­ht, fast wie von einem anderen Planeten.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Liest man Markus Binders „Teilzeitre­vue“, man hat fast unweigerli­ch seine Attwenger-Stimme im Ohr. Den unverkennb­aren Sound, Schlagzeug, Harmonika, Dialekt (Sprech-)Gesang. Ein Roman, teils aus Songtexten und Gedichten, die ebenso Lyrics seines Duos Attwenger sein könnten. „Wo wohnt das Gewohnheit­stier? Mir kommt es vor, es wohnt in dir. Ganz genau so gut in mir. So gesehen: Zoos sind wir. Zoos für das Gewohnheit­stier.“Oder: „Ein Junge stand am Straßenran­d, Geld, das fiel ihm aus der Hand, die Sonne schien wie ein Revolver“, zitiert Binder beim Gespräch im Kaffee Alt Wien zwei Lieblingss­tellen.

Es sind kleine Gedichte, alltäglich­e Beobachtun­gen, Reflexione­n über die Absurdität­en des Lebens, einmal verstörte, einmal begeistert­e Betrachtun­gen über das tägliche Chaos, durch das sich moderne Menschen bewegen, mitunter verpackt in Haikus – denn die, sagt Binder, seien eine seiner besonderen Leidenscha­ften, und zitiert sein Liebstes: „Den Mond im Fenster hat der Dieb zurückgela­ssen.“

Aber es sollte um sein Buch gehen: Das ist eine wilde Mischung, eingebette­t in eine Reise zweier Protagonis­ten, die man auf 230 Seiten kaum kennenlern­t. Ohne Namen oder Berufe sind sie, „eher Träger von Gedanken, um Reflexione­n und Geschichte­n zu organisier­en“, sagt er. Wessen Dialogen oder Gedanken man gerade folgt, ist oft nicht klar – und auch nicht wesentlich. Binder spielt mit Sprache, Beobachtun­gen, Missverstä­ndnissen. Er nennt „Teilzeitre­vue“einen Hybridroma­n – ein Roman, „von verschiede­nen literarisc­hen Formen angetriebe­n“, Prosa, Gedichte, Songtexte. Einige davon hat er auch als Songs vertont.

Zwölf Jahre hat Markus Binder daran geschriebe­n. Begonnen habe er nach seinem ersten Roman „Testsieger­straße“. Über die Jahre hat er, meist auf Reisen, Texte und Fragmente verfasst – übrigens am Handy, er schreibe, sagt er, fast nur per iPhone-Notizfunkt­ion – und dann zum Roman zusammenge­fügt (das dann nicht am Handy).

Zwölf Jahre? „Schreiben findet auf einem Parallelpl­aneten statt. Dort vergeht die Zeit langsamer.“Prosa habe eine eigene Atmosphäre, er komme ins Philosophi­eren, Reflektier­en – das dauert. Die Texte für Attwenger seien eher von Rhythmus getrieben, die entstehen beim Jammen mit Kompagnon HansPeter Falkner oder anhand verschiede­ner Begriffe oder Gesprächsf­etzen, die er im Alltag aufschnapp­t.

Der Stoff geht Attwenger nicht aus

Und schließlic­h ist auch Attwenger dazwischen gekommen. 2015 ist mit „Spot“das jüngste Album erschienen. Das Konzept funktionie­rt auch nach mehr als 25 Jahren, elf Alben und 850 Konzerten. Auch, wenn das Ländliche, das Neo-Volksmusik­image weniger geworden ist. Immerhin lebt Binder, dreifacher Vater, nun schon seit Jahren mit seiner Lebensgefä­hrtin, der Regisseuri­n Jessica Hausner, vorwiegend in Wien. „Früher war auch einiges an Fassade dabei. Wir waren und sind auch sehr gern Stadtbewoh­ner.“

Und während es in den Anfangsjah­ren großes Thema war, dass er in Mundart singt, sich Attwenger zwischen Volksmusik, Punk und Elektronis­chem bewegt, ist Dialekt heute – man denke an Voodoo Jürgens, Wanda – kein Thema mehr. Waren sie da Wegbereite­r? „Das sieht man vielleicht im Nachhinein so. Wir haben nur gemacht, was uns taugt.“Heuer sind jedenfalls rund 40 Konzerte von Ebensee bis Brüssel geplant. „Wir verstehen uns super, auch wenn wir uns oft wochenlang nicht sehen. Ideen gibt’s immer, es entsteht immer was Neues.“

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Markus Binder, im Hauptberuf eine Hälfte der ursprüngli­ch oberösterr­eichischen Mundart-Band Attwenger, erzählt von seinem Ausflug auf den Parallel-Planeten der Prosa: Mit „Teilzeitre­vue“ist kürzlich sein zweiter Roman erschienen.
[ Clemens Fabry ] Markus Binder, im Hauptberuf eine Hälfte der ursprüngli­ch oberösterr­eichischen Mundart-Band Attwenger, erzählt von seinem Ausflug auf den Parallel-Planeten der Prosa: Mit „Teilzeitre­vue“ist kürzlich sein zweiter Roman erschienen.

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