Die Presse

Ein Bagatell-Faust in der maroden großen Welt

Opera´ de Paris. Luca Francescon­i hat es mit „Trompe-la-mort“gewagt, Balzacs vielbändig­e „menschlich­e Komödie“auf zwei Opernstund­en zu reduzieren und schuf eine durchaus spannende, bunte Szenenfolg­e um einen neuen Mephisto.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Aus Wiener Perspektiv­e betrachtet, hatte diese Premiere etwas von einem Versuch, Heimito von Doderers „Strudlhofs­tiege“musiktheat­ralisch auf zwei Stunden Spielzeit zu kondensier­en. Aber, genau genommen war ja schon Honore´ de Balzacs Projekt einer auf mehr als zehn Dutzend Bände angelegten „Menschlich­en Komödie“der Inbegriff künstleris­cher Hybris. Also darf vielleicht auch ein Komponist versuchen, einige wenige Figuren aus Balzacs mehr als tausendköp­figem Personenve­rzeichnis auf die Opernbühne zu holen und jeweils auf ihre Essenz zu reduzieren.

„Trompe-la-mort“, jüngst im Palais Garnier uraufgefüh­rt, stellt also eine Art musikalisc­h verbrämte Momentaufn­ahme dar. Zum Brennpunkt des spontanen Blicks auf Balzacs literarisc­hen Kosmos hat Librettist und Komponist Luca Francescon­i seinen Titelhelde­n gemacht, der auch in Balzacs Romanen wechselnde Gestalt annimmt, Trompela-mort alias Vautrin alias Jacques Collin alias Carlos Herrera.

Mephisto wird Polizeiche­f

Als Priester Herrera rettet er den lebensmüde­n Lucien du Rubempre´ vor dem Selbstmord, nur um ihn danach durch einen veritablen Teufelspak­t an sich zu binden. Lucien wird Herreras willfährig­e Marionette und erobert als charmanter Dandy die Herzen allerhöchs­ter Damen. Herrera sammelt inzwischen kompromitt­ierende Details über das Leben der Pariser Hautevolee.

Nach sozialer Blitzkarri­ere und jähem Fall endet der Bagatell-Faust dann doch im Suizid. Sein mephistoph­elischer Animator jedoch avanciert dank des belastende­n Materials über Börsenspek­ulanten, Gräfinnen und Herzogin zum Polizeiche­f . . .

Fiktion und Wirklichke­it fließen in der neuen Oper wie in Balzacs Sittenbild­ern ineinander. Die Szenen, zusammenge­halten durch Rückblende­n auf das erste Zusammentr­effen der beiden Männer, werfen Schlaglich­ter auf Affären der großen Pariser Gesellscha­ft – sexuelle wie finanziell­e Abhängigke­it, kristallis­iert in Miniatur-Nummern, die sich musikalisc­h jeweils vor einheitlic­hen Klangkulis­sen abwickeln.

Deren vom Pariser Orchester unter Susanna Mälkki klangschön zelebriert­e geschmäckl­erische Subtilität spiegelt sich in den Bühnenbild­ern, Kulissenfr­agmenten mit Projektion­en großmannss­üchtiger Haußmann-Architektu­r.

Man hört gleich zu Beginn die für die Postmodern­e notorische­n gleitenden, aus Glissandi und zischelnde­n Chorstimme­n gebildeten Klangfelde­r, in die sich Dreiklangs­trukturen oder prägnant instrument­ierte Haltetöne einbetten. Daran wiederum können sich die Sänger orientiere­n, wenn sie in meist simplen Tonreihen den Text deklamiere­n. Hie und da ein paar Sätze in Extremlage­n – und einmal, für Esther, die Hauptperso­n von Balzacs „Glanz und Elend der Kurtisanen“, eine wirklich ariose Pas- sage: Mit ihr darf sich Julie Fuchs vokal von allen Kollegen abheben.

Im Übrigen ist weniger stimmliche denn darsteller­ische Charakteri­sierungsku­nst gefordert. Das bringt, geführt von Guy Cassier, die gesamte Premierenb­esetzung reichlich mit. Von den oft tänzerisch rhythmisie­rten, kabarettis­tischen Auftritten eines clownesken Spionage-Terzetts und Marc Labonnette­s als Baron de Nucingen bis zu Eifersucht­sattitüden der geschäftig-intrigante­n Asie von Ildiko´ Komlosi´ oder der liebeskran­ken Comtesse de Serizy´ (Beatrice´ Uria-Monzon).

Dandy versinkt im Gesellscha­ftsspiel

Der schöne lyrische Tenor von Cyrille Dubois – wiewohl als Lucien die zentrale Figur, um die sich im Marionette­ntheater von „Trompe-la-mort“alles dreht – droht zwischen solch einprägsam­en Episoden beinah zerrieben zu werden; zu wenige prägnante Passagen gönnt ihm der Komponist.

Hingegen hat Laurent Naouri in der Titelparti­e epochale Auftritte, vor allem zuletzt, wenn er nach ungeniert offenherzi­ger Darstellun­g seiner Rolle als Anwalt des Bösen durch unverfrore­ne Erpressung sich selbst zum obersten Ordnungshü­ter macht.

Luca Francescon­is Partitur zum selbstgedi­chteten Balzac-Digest taugt mehrheitli­ch zumindest als – vom Publikum offenbar als harmlos empfundene, zum Teil mit witzigen Stilzitate­n unterspick­te – Hintergrun­dberieselu­ng für das durchaus kurzweilig­e Spektakel. In zwei pausenlose­n Stunden können literarisc­h Interessie­rte trotz, oder vielleicht sogar wegen der äußersten Verknappun­g der Dramaturgi­e vielleicht durchaus auch das Charakterb­ild des Dichters Honore´ de Balzacs wiedererke­nnen, wie sein Lucien ein ewiger Parvenü, aber gleichzeit­ig einer der tiefsinnig­sten Analytiker seiner – und wohl nicht nur seiner – Zeit.

 ?? [ Opera´ de Paris] ?? Vor einer geschmäckl­erischen Bildkuliss­e: Francescon­is Kabarett-Terzett der Spione.
[ Opera´ de Paris] Vor einer geschmäckl­erischen Bildkuliss­e: Francescon­is Kabarett-Terzett der Spione.

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