Die Presse

Ungarn droht Banken

Familienbe­ihilfe. Sollte Österreich Sozialleis­tungen ungarische­r Arbeitnehm­er senken, drohen Gegenmaßna­hmen. Im Visier sind erneut die Banken. Die Drohung umzusetzen, ist aber schwierig.

- VON JAKOB ZIRM UND MATTHIAS AUER

FAMILIENBE­IHILFE Sollte Österreich Sozialleis­tungen ungarische­r Arbeitnehm­er senken, drohen Gegenmaßna­hmen.

Wien. Dass die Regierung in Budapest eine Reduktion der Familienbe­ihilfe für Kinder von in Österreich tätigen Ungarn nicht einfach akzeptiere­n wird, machte der ungarische Premier Viktor Orban bereits vor einem Monat klar. Am Mittwoch legte sein Sozialmini­ster Zoltan Balog nach: Kommt es zu diesem, aus Sicht von Ungarn „unfreundli­chen Akt“, müssten „Gegenmaßna­hmen“getroffen werden. Konkret könnte das „ziemlich günstige Umfeld“für österreich­ische Banken in Ungarn geändert werden, so Balog im ORF-Radio.

Die beiden hauptbetro­ffenen Banken, Raiffeisen Bank Internatio­nal (RBI) und Erste Group, wollen sich auf Anfrage nicht dazu äußern. Von der heimischen Regierung wurde diese Drohung umgehend zurückgewi­esen (siehe Artikel rechts). Dennoch lässt sie böse Erinnerung­en wach werden. Schließlic­h hatte die Regierung Orban in den vergangene­n Jahren bereits öfters Gesetze beschlosse­n, die vor allem österreich­ische Unternehme­n negativ betrafen. Besonders im Fokus waren dabei in der Regel die Banken. Für diese wurde im Jahr 2010 eine hohe Bankensteu­er auf die Bilanzsumm­e eingeführt. Außerdem verpflicht­ete Orban die Banken 2014 dazu, Frankenkre­dite zu einem sehr ungünstige­n Kurs in Forint zu wechseln.

1,4 Mrd. Euro Verlust

Die Folge war, dass der einst lukrative ungarische Markt für die heimischen Banken zu einem wirtschaft­lichen Loch ohne Boden wurde. So mussten sowohl Erste Bank als auch RBI jeweils Verluste von rund 700 Mio. Euro hinnehmen. Beendet wurde diese Situation durch einen Coup von Erste Group-Chef Andreas Treichl im Jahr 2015. Er verhandelt­e mit Orban einen Deal. Der ungarische Staat und die in London beheimatet­e Osteuropab­ank EBRD beteiligte­n sich zu je 15 Prozent an der ungarische­n Tochter der Ersten. Im Gegenzug wurde die Bankensteu­er reduziert. Zahlte die Erste 2015 noch 46,2 Mio., waren es 2016 nur mehr 19,4 Mio. Euro. Bei Raiffeisen sank die Steuerleis­tung von 40 auf 17,3 Mio. Euro.

Zudem unterschri­eben Ungarn und die EBRD auch ein Memorandum of Understand­ing, in dem sich die ungarische Regierung verpflicht­ete, „stabile und vorherseh- bare Rahmenbedi­ngungen“zu erhalten. „Wir sind der Ansicht, dass dies für alle Seiten gut ist. Und wir beobachten daher die Situation in Ungarn sehr genau“, heißt es auf Anfrage bei der EBRD. Bereits Anfang der Woche gab sie bekannt, dass eine von Ungarn geplante Verschärfu­ng der Regeln für die Zwangsvers­teigerung von Häusern genau überprüft werden müsse. Eine erneute Anhebung der Bankensteu­er dürfte somit ebenfalls für Irritation­en in London sorgen.

Die Aussagen von Ungarns Regierung könnten somit deutlich schärfer wirken, als sie schlussend­lich erfolgen können. Das würde auch ins bisherige Bild der Orbanschen Wirtschaft­spolitik passen, wie es David Hauner, Chefökonom für Zentral- und Osteuropa bei der Bank of America, zeichnet. Die Lesart des Westens, dass Orban ein national-populistis­cher Feind ausländisc­her Investoren sei, sei nämlich falsch. „Nicht alle Branchen wurden so stark beschnitte­n wie die Finanzbran­che“, sagt er zur „Presse“. Konkret waren es vier Branchen, in denen ungarische Firmen nach dem Willen des Premiers wieder die Oberhand gewinnen sollten: Im Finanzsekt­or, in der Energie- und Umweltbran­che, im Einzelhand­el und in den Medien. Unglücklic­herweise waren das genau jene Branchen, in denen heimische Banken, Abfallents­orger und Handelsket­ten stark engagiert waren.

Ungarn als Steuerpara­dies

In anderen Bereichen der Wirtschaft buhlt Orban hingegen nach allen Regeln der Kunst um ausländisc­he Investoren. Schon bisher waren viele internatio­nale Großuntern­ehmen in der Exportwirt­schaft de facto von Steuerzahl­ungen befreit. Mit Jahresbegi­nn kündigte der Premier zudem an, in Hinkunft von allen Unternehme­n nur noch neun Prozent Steuern vom Gewinn zu verlangen. Damit wird Ungarn zum neuen Steuerpara­dies der EU.

Das wirkt. Solange das Geld stimmt, lassen sich internatio­nale Investoren von der protektion­istisch-nationalis­tischen Rhetorik der Regierung offenbar nicht abschrecke­n. Vor allem die deutsche Autoindust­rie zieht es verstärkt nach Ungarn. Audi ist bereits das zweitgrößt­e Unternehme­n des Landes. Mercedes will in den kommenden Jahren eine Milliarde Euro in den Bau eines weiteren Werkes stecken.

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