Irans großes Spiel: Von Teheran ans Mittelmeer
Syrien/Irak. In der Sinjar-Region im Nordwestirak kämpfen neuerdings irakische und syrische Kurden um die Kontrolle der Grenze zu Syrien. Der Iran ist daran beteiligt, denn laut Beobachtern plant er einen strategischen Korridor zu Syriens Küste.
Drei große Granatwerfer Kaliber 120 Millimeter stehen in der Mitte eines runden Erdwalls, der mit Sandsäcken befestigt ist. „Wir sind in Alarmbereitschaft“, sagt Oberst Nausad Ibrahim auf dem Dach der Peschmergabasis am Rand von Snuny, einem kleinen Ort in dem hauptsächlich von Jesiden bewohnten Sinjar-Gebiet westlich von Mossul im Grenzraum zur Türkei und Syrien.
„Seit sie uns angegriffen haben, sind wir aufs Schlimmste vorbereitet“, versichert der Offizier der Autonomen Kurdenregion (KRG). Er zeigt auf die Silhouette der Kleinstadt KhanaSor. „Dort haben sie sich verschanzt.“Der etwa fünf Kilometer entfernte Ort liegt zwischen Feldern, Bäumen und Schafen. Nur passt ein durch die Landschaft aufgeschütteter Wall nicht ins Bild. „Sie haben eine Grenze gezogen,“sagt der Oberst, „als wären sie in einem anderen Land.“Die Rede ist von der syrischen Kurdenmiliz YPG und deren alliierter Jesidentruppe YBS aus Sinjar. Sie haben Khanasor vor über einem Jahr mit den Peschmerga vom Islamischen Staat (IS) befreit. Aber am 3. März lieferten einander die Verbündeten von damals an gleicher Stelle ein Gefecht. Es gab mindestens sieben Tote, 40 Verwundete.
„Die Peschmerga wollten ohne Erlaubnis unser Gebiet bis zur Grenze passieren“, sagte Haval Sarhad, der stellvertretende Kommandeur der YPG, drüben in Khanasor. „Das geht nicht.“
Befehlskette beginnt in Teheran
Was wie ein kurdischer Lokalstreit aussieht, hat weltpolitische Dimension: Die YBS- und YPG-Truppen stärken seit Längerem ihre Beziehungen zu den irakischen Hashdal-Shaabi-Milizen. Die meisten dieser schiitischen Einheiten erhalten den Oberbefehl nicht aus Bagdad, sondern Teheran. So baut der Iran seinen Einfluss aus. Der 30 Kilometer lange Streifen, den die YPG an der irakisch-syrischen Grenze kontrolliert, ist für den Iran ein wichtiger Puzzlestein: Er bedeutet Zugang nach Syrien, wo Iraner auf Seiten des Regimes kämpfen.
„Hinter dem Manöver Irans steckt knallharte Strategie“, glaubt Hadschi Kuchan, Sicherheitschef der Sinjar-Region. Nicht umsonst seien die Hashd el-Shaabi im Westen Mossuls stationiert worden. Sie hatten erst spät den Angriffsbefehl auf die IS-Bastion bekommen. Iraks Premier befahl ihnen, im Westen Mossuls bis Tal Afar vorzustoßen. „Die Stadt hat besondere Bedeutung“, so Kuchan. Sie sei die letzte große Station für den Iran, bevor es nach Syrien geht. „Das ist ein Teil der Route des Irans, die er bis ans Mittelmeer plant.“
Iraner am Mittelmeer?
Kuchan spricht vom „iranischen Korridor“, der seit über zwei Jahren in der Region Thema ist. Erst im Dezember hat die französische Denkfabrik Centre Francais¸ de Recherche davon berichtet. Der Korridor soll bis Latakia reichen, heißt es. Dort, an Syriens Küste, würde der Iran eine Basis gründen.
Für die sunnitisch-arabischen Staaten von Marokko bis Saudiara- bien wäre das eine weitere Bestätigung für Irans Hegemoniestreben. Seit Jahren warnen sie vor der Expansion. Schon längst geschieht etwa in Iraks Politik nichts ohne Zutun Teherans, in Syrien hängt das Regime an der Leine, im Libanon kann Teheran über Stellvertreter, die Hisbollah-Miliz, jede unliebsame Regierung drangsalieren. In Bahrain und im Jemen forciert Teheran die Revolution der schiitischen Opposition gegen das SunniEstablishment.
Für Kuchar ist der „Korridor“keine Verschwörungstheorie: Nicht umsonst unterstütze Teheran die PKK. Er spricht nur von „PKK“, egal, ob er die syrische YPG oder jesidische YBS meint. Für ihn sind beide „Klone“der PKK, also der Kämpfer Arbeiterpartei Kurdistans. In vielen Ländern ist sie als Terrorgruppe verboten. „Man kann viele Namen erfinden, der Kern ist immer gleich“, meint Kuchar. Aber so simpel ist es auch nicht. Bei den YPG mögen einige Schlüsselposten von älteren PKK-Kadern besetzt sein, doch ist die syrische Miliz Teil einer Massenbewegung: Auf deren Basis wurde in Nordsyrien eine autonome Provinz gegründet. Die YPG kämpfen am erfolgreichsten gegen den IS und werden nicht umsonst von den USA unterstützt. Zuletzt wurde das Kontingent von 500 US-Soldaten in Nordsyrien um 1400 erweitert.
„Vor ein paar Monaten haben wir an einem Treffen mit Hashd alShaabi teilgenommen“, gibt Haval Sarhad von den YPG bei einem Telefonat zu. „Später gab es noch ein Meeting, an dem nur die Jesideneinheit vertreten war.“Außerdem habe man den Führer der Schiitenmiliz, Hadi al-Ameri, getroffen, als er auf Frontbesuch war. Sarhad scheint keine Probleme bei der Liaison mit den Schiiten zu haben. „Über sie wird der Sold von 1000 unserer Soldaten bezahlt.“Auch erhalte die YPG von ihnen „Materialien“, wie der Offizier sagt, ohne konkreter werden zu wollen.
Den Vorwurf, eine Stellvertreter organisation desIr ans zu sein, weist er zurück. Er sieht die Beziehung zu den schiitischen Milizen pragmatisch: „Jeder, der hilft, ist willkommen. Wir können nicht wählerisch sein.“Nicht zu vergessen ist, der Iran kämpft in Syrien gegen einen gemeinsamen Feind: die Rebellen, die mit Hilfe der Türkei, die YPG zerstören wollen. Aber es geht nicht nur um die Devise „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“: Teheran scheint auch in Zukunft in Damaskus mitzuentscheiden, wer dort regiert. Will Nordsyrien als autonome Region überleben, braucht es starke Partner. Ein gutes Verhältnis zur Islamischen Republik kann also unter keinen Umständen schaden.
Der Feind meines Feindes. . .
Wie weit die Flexibilität der YPG und ihr Pragmatismus gehen, hat sich erst kürzlich in der Stadt Manbij gezeigt. Dort wurde ein Gebiet an die syrische Armee abgetreten, um eine Pufferzone zur türkischen Armee und deren verbündeten Rebellen zu erhalten.
„Die Grenze in Sinjar werden wir nie aufgeben“, betont Sarhad. „Sie ist unsere Lebensader, seit alle anderen Grenzübergänge von der KRG geschlossen sind.“Er versichert, die YPG wolle keine Eskalation mit „Brüdern“. Zugleich aber betont er, wenn keine andere Wahl bleibe, werde man kämpfen.
Bei den Peschmerga klingen ähnliche Töne an. „Die syrischen Kurden haben uns gegen den IS geholfen“, sagt Oberst Ibrahim. „Sollte es jedoch keine andere Lösung geben, bleiben nur die Waffen.“Kein Staat würde es akzeptieren, wenn Fremde einen Teil der nationalen Grenze kontrollierten: „Wir müssen unsere Landesgrenzen kontrollieren können.“
„Über die Schiitenmilizen kommt der Sold für 1000 unserer Soldaten.“Haval Sarhad Offizier der syrischen Kurdenmiliz YPG