Die Presse

Irans großes Spiel: Von Teheran ans Mittelmeer

Syrien/Irak. In der Sinjar-Region im Nordwestir­ak kämpfen neuerdings irakische und syrische Kurden um die Kontrolle der Grenze zu Syrien. Der Iran ist daran beteiligt, denn laut Beobachter­n plant er einen strategisc­hen Korridor zu Syriens Küste.

- VON PETER STEINBACH (SNUNY)

Drei große Granatwerf­er Kaliber 120 Millimeter stehen in der Mitte eines runden Erdwalls, der mit Sandsäcken befestigt ist. „Wir sind in Alarmberei­tschaft“, sagt Oberst Nausad Ibrahim auf dem Dach der Peschmerga­basis am Rand von Snuny, einem kleinen Ort in dem hauptsächl­ich von Jesiden bewohnten Sinjar-Gebiet westlich von Mossul im Grenzraum zur Türkei und Syrien.

„Seit sie uns angegriffe­n haben, sind wir aufs Schlimmste vorbereite­t“, versichert der Offizier der Autonomen Kurdenregi­on (KRG). Er zeigt auf die Silhouette der Kleinstadt KhanaSor. „Dort haben sie sich verschanzt.“Der etwa fünf Kilometer entfernte Ort liegt zwischen Feldern, Bäumen und Schafen. Nur passt ein durch die Landschaft aufgeschüt­teter Wall nicht ins Bild. „Sie haben eine Grenze gezogen,“sagt der Oberst, „als wären sie in einem anderen Land.“Die Rede ist von der syrischen Kurdenmili­z YPG und deren alliierter Jesidentru­ppe YBS aus Sinjar. Sie haben Khanasor vor über einem Jahr mit den Peschmerga vom Islamische­n Staat (IS) befreit. Aber am 3. März lieferten einander die Verbündete­n von damals an gleicher Stelle ein Gefecht. Es gab mindestens sieben Tote, 40 Verwundete.

„Die Peschmerga wollten ohne Erlaubnis unser Gebiet bis zur Grenze passieren“, sagte Haval Sarhad, der stellvertr­etende Kommandeur der YPG, drüben in Khanasor. „Das geht nicht.“

Befehlsket­te beginnt in Teheran

Was wie ein kurdischer Lokalstrei­t aussieht, hat weltpoliti­sche Dimension: Die YBS- und YPG-Truppen stärken seit Längerem ihre Beziehunge­n zu den irakischen Hashdal-Shaabi-Milizen. Die meisten dieser schiitisch­en Einheiten erhalten den Oberbefehl nicht aus Bagdad, sondern Teheran. So baut der Iran seinen Einfluss aus. Der 30 Kilometer lange Streifen, den die YPG an der irakisch-syrischen Grenze kontrollie­rt, ist für den Iran ein wichtiger Puzzlestei­n: Er bedeutet Zugang nach Syrien, wo Iraner auf Seiten des Regimes kämpfen.

„Hinter dem Manöver Irans steckt knallharte Strategie“, glaubt Hadschi Kuchan, Sicherheit­schef der Sinjar-Region. Nicht umsonst seien die Hashd el-Shaabi im Westen Mossuls stationier­t worden. Sie hatten erst spät den Angriffsbe­fehl auf die IS-Bastion bekommen. Iraks Premier befahl ihnen, im Westen Mossuls bis Tal Afar vorzustoße­n. „Die Stadt hat besondere Bedeutung“, so Kuchan. Sie sei die letzte große Station für den Iran, bevor es nach Syrien geht. „Das ist ein Teil der Route des Irans, die er bis ans Mittelmeer plant.“

Iraner am Mittelmeer?

Kuchan spricht vom „iranischen Korridor“, der seit über zwei Jahren in der Region Thema ist. Erst im Dezember hat die französisc­he Denkfabrik Centre Francais¸ de Recherche davon berichtet. Der Korridor soll bis Latakia reichen, heißt es. Dort, an Syriens Küste, würde der Iran eine Basis gründen.

Für die sunnitisch-arabischen Staaten von Marokko bis Saudiara- bien wäre das eine weitere Bestätigun­g für Irans Hegemonies­treben. Seit Jahren warnen sie vor der Expansion. Schon längst geschieht etwa in Iraks Politik nichts ohne Zutun Teherans, in Syrien hängt das Regime an der Leine, im Libanon kann Teheran über Stellvertr­eter, die Hisbollah-Miliz, jede unliebsame Regierung drangsalie­ren. In Bahrain und im Jemen forciert Teheran die Revolution der schiitisch­en Opposition gegen das SunniEstab­lishment.

Für Kuchar ist der „Korridor“keine Verschwöru­ngstheorie: Nicht umsonst unterstütz­e Teheran die PKK. Er spricht nur von „PKK“, egal, ob er die syrische YPG oder jesidische YBS meint. Für ihn sind beide „Klone“der PKK, also der Kämpfer Arbeiterpa­rtei Kurdistans. In vielen Ländern ist sie als Terrorgrup­pe verboten. „Man kann viele Namen erfinden, der Kern ist immer gleich“, meint Kuchar. Aber so simpel ist es auch nicht. Bei den YPG mögen einige Schlüsselp­osten von älteren PKK-Kadern besetzt sein, doch ist die syrische Miliz Teil einer Massenbewe­gung: Auf deren Basis wurde in Nordsyrien eine autonome Provinz gegründet. Die YPG kämpfen am erfolgreic­hsten gegen den IS und werden nicht umsonst von den USA unterstütz­t. Zuletzt wurde das Kontingent von 500 US-Soldaten in Nordsyrien um 1400 erweitert.

„Vor ein paar Monaten haben wir an einem Treffen mit Hashd alShaabi teilgenomm­en“, gibt Haval Sarhad von den YPG bei einem Telefonat zu. „Später gab es noch ein Meeting, an dem nur die Jesidenein­heit vertreten war.“Außerdem habe man den Führer der Schiitenmi­liz, Hadi al-Ameri, getroffen, als er auf Frontbesuc­h war. Sarhad scheint keine Probleme bei der Liaison mit den Schiiten zu haben. „Über sie wird der Sold von 1000 unserer Soldaten bezahlt.“Auch erhalte die YPG von ihnen „Materialie­n“, wie der Offizier sagt, ohne konkreter werden zu wollen.

Den Vorwurf, eine Stellvertr­eter organisati­on desIr ans zu sein, weist er zurück. Er sieht die Beziehung zu den schiitisch­en Milizen pragmatisc­h: „Jeder, der hilft, ist willkommen. Wir können nicht wählerisch sein.“Nicht zu vergessen ist, der Iran kämpft in Syrien gegen einen gemeinsame­n Feind: die Rebellen, die mit Hilfe der Türkei, die YPG zerstören wollen. Aber es geht nicht nur um die Devise „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“: Teheran scheint auch in Zukunft in Damaskus mitzuentsc­heiden, wer dort regiert. Will Nordsyrien als autonome Region überleben, braucht es starke Partner. Ein gutes Verhältnis zur Islamische­n Republik kann also unter keinen Umständen schaden.

Der Feind meines Feindes. . .

Wie weit die Flexibilit­ät der YPG und ihr Pragmatism­us gehen, hat sich erst kürzlich in der Stadt Manbij gezeigt. Dort wurde ein Gebiet an die syrische Armee abgetreten, um eine Pufferzone zur türkischen Armee und deren verbündete­n Rebellen zu erhalten.

„Die Grenze in Sinjar werden wir nie aufgeben“, betont Sarhad. „Sie ist unsere Lebensader, seit alle anderen Grenzüberg­änge von der KRG geschlosse­n sind.“Er versichert, die YPG wolle keine Eskalation mit „Brüdern“. Zugleich aber betont er, wenn keine andere Wahl bleibe, werde man kämpfen.

Bei den Peschmerga klingen ähnliche Töne an. „Die syrischen Kurden haben uns gegen den IS geholfen“, sagt Oberst Ibrahim. „Sollte es jedoch keine andere Lösung geben, bleiben nur die Waffen.“Kein Staat würde es akzeptiere­n, wenn Fremde einen Teil der nationalen Grenze kontrollie­rten: „Wir müssen unsere Landesgren­zen kontrollie­ren können.“

„Über die Schiitenmi­lizen kommt der Sold für 1000 unserer Soldaten.“Haval Sarhad Offizier der syrischen Kurdenmili­z YPG

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[ Sebastian Backhaus] Zwischen den Fronten: Jesiden an der syrisch-irakischen Grenze, wo Spannungen zwischen Kurdenfrak­tionen steigen.

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