Die Presse

Schottland für neues Referendum

Brexit-Folgen. Das Parlament in Edinburgh möchte eine neuerliche Unabhängig­keitsabsti­mmung. Doch viele Fragen bleiben offen, auch ob eine EU-Mitgliedsc­haft möglich wäre.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. An ihrer Entschloss­enheit ließ die schottisch­e Regierungs­chefin Nicola Sturgeon von Anfang keinen Zweifel. Den Schotten eine neuerliche Volksabsti­mmung zu verweigern, wäre „falsch, unfair und völlig unhaltbar“, erklärte sie zum Auftakt einer zweitägige­n Debatte im Regionalpa­rlament in Edinburgh. Obwohl die Scottish National Party (SNP) von Sturgeon eine Minderheit­sregierung stellt, konnte sie dank der Stimmen der Grünen eine Mehrheit für ihren Antrag erwarten. Die für Mittwochab­end geplante Abstimmung wurde allerdings wegen des Anschlags in London vorerst verzögert.

Zu erwarten ist, dass Sturgeon beauftragt wird, mit der Regierung in London „Diskussion­en aufzunehme­n“über die Abhaltung einer Volksabsti­mmung, in der die Schotten erneut über ihr Ausscheide­n aus dem Vereinigte­n Königreich entscheide­n sollen. 2014 hatten 55 Prozent der Schotten gegen die Unabhängig­keit gestimmt. Premiermin­isterin Theresa May hat der Forderung nach einer neuen Abstimmung vorerst eine Absage erteilt und erklärt: „Jetzt ist nicht die Zeit dafür“. Nach Ansicht Londons geht es nun darum, alle Konzentrat­ion auf die EU-Austrittsv­erhandlung­en zu legen. Am kommenden Mittwoch wird London den Prozess offiziell auslösen, der EU-Vertrag sieht dafür eine Dauer von maximal zwei Jahren vor. Die schottisch­e Regierung will hingegen eine neue Volksabsti­mmung über die Unabhängig­keit Ende 2018 oder Anfang 2019.

Kritiker der SNP-Position argumentie­ren, dass erst nach einem Ende der BrexitVerh­andlungen die Tatsachen feststehen werden, auf deren Grundlage eine Entscheidu­ng über die Zukunft Schottland­s getroffen werden könne. Die schottisch­e Führung hingegen verweist darauf, dass 62 Prozent der Schotten im Vorjahr für den Verbleib in der EU gestimmt hätten und nur ein rasches neues Unabhängig­keitsrefer­endum „die Entstehung von neuen Bruchlinie­n“verhindern könne, wie Sturgeon zuletzt sagte.

„Herzliche Aufnahme“versproche­n

Obwohl sich die SNP immer klar für die EUMitglied­schaft Schottland­s ausgesproc­hen hat, ist dieses Ziel durch den Brexit nicht näher, sondern ferner gerückt. Sturgeon dementiert­e, dass sich Schottland in der EU „hinten anstellen“müsste, wie es der spanische Außenminis­ter Alfonso Dastis formuliert hatte: „Es gibt keine Schlange für den EU-Beitritt und wir haben mehrere Stimmen gehört, die uns gesagt haben, dass Schottland eine sehr offene und herzliche Aufnahme finden würden, wenn wir in der EU sein wollen.“

Sie räumte damit aber ein, dass auch die SNP nicht mehr von einer automatisc­hen EU-Mitgliedsc­haft eines unabhängig­en Schottland­s ausgeht. Zuletzt hatte der frühere First Minister Alex Salmond über einen Beitritt zur Europäisch­en Freihandel­szone (Efta) philosophi­ert. Dem immer noch überaus machtvolle­n – und machtbewus­sten – Vorgänger Sturgeons wird nicht entgangen sein, dass auch eine Million Schotten für den Brexit gestimmt hatten und sich zwei Drittel heute als „europaskep­tisch“bezeichnen.

Die schottisch­e Opposition wirft der Regional regierung angesichts dieser Ausgangsla­ge„ politische Spielereie­n“vor .„ Wir haben es gründlich satt“, sagte die Chefin der Konservati­ven in Edinburgh, Ruth Davidson, und dieLabour-Fra kt ionsführ er inKeziaDug­dale meinte: „Wir würden uns wünschen, die Regierung würde in anderen Fragen auch so großen Wert auf die Meinung des Parlaments legen.“Der Grüne Patrick Harvie, der mit der SNP stimmte, schloss nach einer neuen Unabhängig­keits volksabsti­mmung auch ein weiteres EU-Referendum in Schottland nicht aus. Nach Umfragen wollen derzeit aber nur 35 Prozent des Volkes erneut gefragt werden. Eine sichtlich entnervte Schottin sagte gestern zur „Presse“in London: „Wozu wählen wir eigentlich noch?“

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[ AFP ] Schottland­s Regierungs­chefin Sturgeon und ihr Vize Swinney im Regionalpa­rlament in Edinburgh.

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