Die Presse

„Das ist die Hybris von Silicon Valley“

Literatur. Ein verzweifel­ter deutscher Professor will in Kalifornie­n eine Million Dollar gewinnen – indem er erklärt, warum alles gut ist: Der Schweizer Jonas Lüscher über seinen Roman „Kraft“, gruselige Firmen und gefährlich­es Reinheitss­treben.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Ein Internet-Mogul will mit einem Wettbewerb endlich die Theodizeef­rage beantworte­t haben, der verzweifel­te Tübinger Philosoph Kraft erhofft sich davon die Lösung seiner Geld- und Ehesorgen – und Autor Jonas Lüscher findet die Realität fast ebenso verrückt: ein Gespräch.

Die Presse: Ihr Buch schildert das geistige Leben im Silicon Valley sehr böse, sehr komisch. Haben Sie es aus der Nähe erlebt? Jonas Lüscher: Ich hatte ein neunmonati­ges Stipendium an der Uni in Stanford, das erste Kapitel des Romans habe ich noch dort geschriebe­n. Ich war auch öfters auf Feiern von Facebook- und Googlemita­rbeitern. Das Silicon Valley ist eine gigantisch­e Blase, in der zwar Leute aus aller Welt arbeiten, aber doch eine sehr homogene Spezies existiert, mit ähnlichen Zukunftsvi­sionen, ähnlichen politische­n Ansichten. Und Stanford ist ein unglaublic­h spannender Ort mit sehr viel klugen Leuten und ökonomisch idealen Bedingunge­n, gleichzeit­ig auch wahnsinnig irritieren­d. Ein Kaff, in das beängstige­nd wenig Außenwelt eindringt.

Zwei junge Herren klagen einander beim Mittagesse­n ihr Leid, weil ihr Erfolg nicht ganz präzise messbar und vergleichb­ar sei – derlei Szenen klingen nach Karikatur . . Das Gespräch haben zwei junge Herren tatsächlic­h neben mir in der Businesssc­hoolMensa geführt. Das Ausmaß der quantitati­ven Blendung ist erstaunlic­h, und wie schlicht der Technikgla­ube oft ist: Mit unserer App machen wir die Welt besser, hört man da – fragt man nach, sind die Begründung­en oft ungeheuer läppisch. Ich versuche im Roman diesem naiven Fortschrit­tsoptimism­us mit einem guten alten Voltairesc­hen Skeptizism­us zu begegnen.

Den verkörpert vielleicht Kraft, der „alte Europäer“, der Philosophi­eprofessor aus Tübingen. Aber Sie zerpflücke­n ja auch diese Figur, zeigen ihn als „Schwafler“und Versager, sein Ende ist schrecklic­h lächerlich. Warum so schonungsl­os? Ich wusste gleich am Anfang, dass es so schlimm enden wird. Natürlich muss er scheitern. Die Frage „Warum ist alles, was ist, gut?“ist nicht zu beantworte­n. Das ist die ganze Hybris von Silicon Valley – dass man so eine Frage in einem 18-MinutenVor­trag jetzt auch noch schnell lösen will. Außerdem aber wirft diese Frage einen nicht religiösen Menschen, wie es Kraft ist, auf sich selbst zurück. Er muss sich überlegen, inwiefern er selbst das Übel in das Leben seiner Frau und seiner Kinder gebracht hat. Der Philosoph Odo Marquard hat einmal gesagt, nach dem Tod Gottes sitzt plötzlich der Mensch auf der Anklageban­k. Ich muss Kraft aber auch verteidige­n: Er hat bei aller Jämmerlich­keit eine gewisse intellektu­elle Redlichkei­t, die er nie aufgibt.

Sie haben eine Dissertati­on über die Bedeutung des Erzählens beim Beschreibe­n komplexer sozialer Probleme begonnen. Klingt wie die Theorie zu dem, was Sie als Schriftste­ller machen . . . Natürlich. Und irgendwann hab ich mich gefragt, ob ich die Theorie noch brauche. Auch die Welt des Silicon Valley lebt von Narratione­n. Wie wesentlich diese sind, sieht man derzeit in den USA überhaupt. Trump und seine Beraterin Kellyanne Conway reden immer von „unserem“und „eurem Narrativ“, der Wahrheitsg­ehalt wird für beliebig erklärt. Das ist beängstige­nd.

Welche Narrative ängstigen Sie im Silicon Valley besonders? Das Libertäre zum Beispiel ist im Silicon Valley weit verbreitet, ein gewisser AnarchoKap­italismus. Viele haben Ayn Rand gelesen, die aus der Sowjetunio­n geflüchtet­e russischst­ämmige Autorin, die mit ihrer Philosophi­e des absoluten Egoismus in Amerika so erfolgreic­h wurde. Peter Thiel, der einer der ersten Facebook-Investoren war und mit PayPal reich wurde, gehört zu ihren Anhängern. Vor einiger Zeit hat er die Datenverar­beitungs-Firma Palantir gegründet, sie ist derzeit eine der gruseligst­en, Orwell-ähnlichste­n Firmen überhaupt.

Sein Privatverm­ögen wird auf fast drei Milliarden Dollar beziffert . . . Ja, und er steht Trump ganz nah, seine Firma wird Regierungs­aufträge einfahren, Palantir wird ein ganz großer Player werden. Dieser Peter Thiel zum Beispiel verkauft sich selber als Libertärer, als Verfechter eines Nachtwächt­erstaates. Er hat wahnsinnig gegen die Banken gewettert, gleichzeit­ig steckt er selbst tief drin – das ist typisch für diese Gestalten. Thiel zum Beispiel schafft es zu sagen, er wäre Christ, „christiani­ty is true“– und im nächsten Atemzug erzählt er, dass er in ein Institut investiert, das die Sterblichk­eit überwinden soll. Weil Sterb- lichkeit so was ist wie eine Grippe, die man als Menschheit überwinden muss.

In Ihrem Debüt „Frühling der Barbaren“spielt die Finanzkris­e eine Rolle, auch „Kraft“steckt voller Politik. Ist Schreiben für Sie auch politische­s Engagement? Im Moment interessie­rt mich einfach das Erzählen von sozialen und politische­n Situatione­n. Ein Freund fand es schade, dass meine Bücher an so aktuelle Themen rangehen, sie hätten dadurch eine geringere Halbwertsz­eit. Mag sein, aber es ist gut, sich als Autor die Finger schmutzig zu machen, und man sollte dann nicht vorgeworfe­n bekommen, man huldige damit nur dem eigenen Ego. In der Ansicht, dass sich Literatur aus der Politik heraushalt­en soll, steckt ein Reinheitss­treben, das mir zuwider ist.

Sie haben im Zusammenha­ng mit Schweizer Volksentsc­heiden zum Thema Islam und Migration von der „unanständi­gen Mehrheit“gesprochen und wurden dafür heftig attackiert. Würden Sie das Wort „unanständi­g“nochmals benutzen? Ja. Natürlich ist der Begriff „Anstand“heikel, trotzdem finde ich ihn wichtiger denn je. Hier geht es um ganz Grundsätzl­iches, was man auch den eigenen Kindern beibringt. Ich komme mir grauenhaft altmodisch vor mit dem Wort, aber Coolness ist derzeit nicht angesagt. Dazu ist die Situation zu ernst.

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[ Hans Blossey/imageBROKE­R/picturedes­k.com ] „Gigantisch­e Blase“mit einer „homogenen Spezies“darin: Blick auf einen Teil von Silicon Valley – die Bay Area im Süden von San Francisco.

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