Die Presse

Afrikaner wollen bei ihrer Erforschun­g mitreden

Sitten. In einem Ethik-Code fordern die San, Indigene Südafrikas, von Wissenscha­ftlern vor allem Respekt.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Für die Wissenscha­ft sind die San, eine Reihe ethnischer Gruppen im südlichen Afrika, eine Goldgrube. An ihnen kann man die Klicksprac­he erkunden oder das Leben von Jägern und Sammlern, und von den Genen her sind sie die ursprüngli­chsten Menschen: Das zeigte sich, als erstmals Genome von Afrikanern sequenzier­t wurden, das Blut kam von fünf Personen, darunter Erzbischof Desmond Tutu, der machte natürlich Schlagzeil­en, die anderen vier waren Stammesält­este verschiede­ner San.

Ihre Gene bestätigte­n, dass diese Ethnien uralt sind, aber statt Stolz weckte die Botschaft Ärgerer: Zwar hatten die Ethikkommi­ssionen der Universitä­ten den Genomanaly­sen zugestimmt, und die Regierung Namibias hatte auch ihren Segen gegeben. Zudem hatten die vier San vor laufenden Kameras (mit Hilfe eines Übersetzer­s) ihre Zustimmung („informed consent“) gegeben. Aber übergeordn­ete San-Führer fühlten sich übergangen und fürchteten, die vier hätten nicht gewusst, was sie tun.

Forscher sollten „durch die Tür hereinkomm­en, nicht durch das Fenster“, formuliert­e Andries Steenkamp, ein 2016 verstorben­er San-Führer, er machte sich mit anderen an die Erstellung eines Ethik-Codes, an den sich binden soll, wer über die San forschen will. Solches Selbstbewu­sstsein ist für Afrika eine Novität, anderswo gibt es ähnliche Codes schon, etwa bei den Aborigines in Australien, die lange unter imperialis­tischem Gehabe westlicher Forscher litten.

Anderen war es noch viel ärger ergangen, etwa den Yanomami in Brasilien. Denen sagte 1988 US-Anthropolo­ge Napoleon Chagnon nach, sie seien das gewalttäti­gste Volk der Erde, er habe es in 25 Jahren Feldstudie­n erhoben. Allerdings geriet er in Verdacht, seine Forschungs­objekte selbst zu Gewalt angestifte­t zu haben, die US-Anthropolo­gen spalteten sich fast darüber.

Im eigenen Land hatten sie andere Probleme, dort ging es um Tote, Kennewick Man vor allem. Der lebte vor 8400 Jahren, ans Licht kam er 1996, Forscher wollten an seine Gene, aber Indianer betrachtet­en ihn als einen der ihren und beharrten auf der Totenruhe. Der Fall ging vor Gericht – es gab 2004 den Forschern Recht –, vor zwei Jahren wurde das Kriegsbeil endlich begraben.

Als „Buschmänne­r“diskrimini­ert

Vergleichb­are Konflikte gab es im südlichen Afrika nie, die San fühlen sich gleichwohl überfahren (und etwa durch die Bezeichnun­g „Buschmänne­r“diskrimini­ert). Deshalb haben sie nun ihren Ethik-Code publiziert, in dem geht es in erster Linie um „Respekt“, den vermissen sie in ganz banalen Dingen: „Forscher haben Individuen in ihren privaten Räumen fotografie­rt, auch Mütter beim Stillen, sie haben damit unsere sozialen Bräuche und Normen ignoriert und mit Bestechung operiert.“

Natürlich geht es auch um Geld, aber die San wollen sich nicht dafür bezahlen lassen, dass sie Kunststück­e bzw. Fertigkeit­en vorführen, sie wollen mitarbeite­n, und sie wollen mitreden, bei Forschungs­vorhaben und vor der Publikatio­n. Letzteres geht weit, in einem zweiten Punkt geht der Code noch weiter: Einmal gewonnene Daten sollen nicht weiter verwertet werden dürfen, das hieße konkret, dass etwa mit den Genanalyse­n der vier San niemand arbeiten dürfte.

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