Die Presse

Die Darstellun­g der Welt und die Dummheit der politisch Korrekten

Selbst ein mathematis­cher Beweis bringt die von kruder Ideologie Getriebene­n nicht davon ab, ihr verbohrtes Weltbild als das einzig wahre anzupreise­n.

- VON RUDOLF TASCHNER E-Mails an: debatte@diepresse.com Rudolf Taschner ist Mathematik­er und betreibt zusammen mit Kollegen das math.space im quartier 21, Museumsqua­rtier Wien.

Es gibt mannigfach­e Belege dafür, dass wir in einer verrückten Welt leben. Vor Kurzem hat es, wie „Spiegel“, „Welt“und andere melden – ohne sich des blamablen Stumpfsinn­s ihrer Berichte bewusst zu sein – die Schulbehör­de in Boston, Massachuse­tts, im buchstäbli­chen Sinn auf die Spitze getrieben. Doch alles der Reihe nach:

Wandert man auf einem Globus vom Nordpol aus entlang des Greenwich-Meridians nach Süden, schneidet dieser südlich von Togo den Äquator im rechten Winkel. Wandert man vom Nordpol aus entlang des Meridians 90° westlicher Länge via New Orleans nach Süden, schneidet dieser westlich von Ecuador ebenfalls den Äquator im rechten Winkel.

Die beiden Meridiane schließen am Nordpol ebenfalls einen rechten Winkel ein. Auf diese Weise bilden die beiden Meridianhä­lften auf der Nordhalbku­gel zusammen mit dem zwischen ihnen liegenden Viertelkre­isbogen des Äquators auf der Kugelfläch­e ein sogenannte­s sphärische­s Dreieck, das drei rechte Winkel als Innenwinke­l besitzt.

Die Meridiane und der Äquator sind als kürzeste Verbindung­en von auf ihnen (im Bereich einer Halbkugel) gelegenen Punkten auf der Kugelfläch­e Gegenstück­e zu den geradlinig­en Verbindung­en in der Ebene. Aber ein Dreieck in der Ebene, dessen geradlinig­en Seiten an allen drei Ecken rechte Winkel einschließ­en, gibt es nicht. Allein diese Beobachtun­g beweist, dass es prinzipiel­l unmöglich ist, die Erdkugel maßstabsge­treu auf eine ebene Karte zu projiziere­n.

Jede ebene Kartenproj­ektion der Welt weist Verzerrung­en auf. Die Meisterlei­stung des im 16. Jahrhunder­t lebenden Geografen Gerhard Mercator war es, eine Weltkarte zu entwerfen, die winkeltreu ist. Das bedeutet, dass der Steuermann eines Schiffes auf hoher See bei Kenntnis seiner Position auf der Mercatorka­rte mit einem Lineal den Punkt, wo sich das Schiff befindet, mit dem Punkt des Zielhafens verbindet, den Winkel zwischen dieser Linie und dem Meridian misst, der von der Position des Schiffes zum Nordpol weist, und damit zugleich den Winkel kennt, den das Schiff einschlage­n muss, um zum Zielhafen zu gelangen. Die Winkeltreu­e der Mercatorka­rte wird mit argen Verzerrung­en der Flächen erkauft: Grönland scheint ein Kontinent zu sein, größer als Südamerika. Schon Mercator war sich dessen bewusst und betonte, dass seine Karte vornehmlic­h für die Navigation auf hoher See gedacht sei.

Flächentre­ue Weltkarten gibt es natürlich auch, in denen jeder Staat proportion­al zu der von ihm beanspruch­ten Fläche abgebildet wird. Johann Heinrich Lambert fand eine solche schon im 18. Jahrhunder­t und eine einfach herzustell­ende Variante wurde vom Historiker Arno Peters 1974 propagiert mit der Absicht, damit das seiner Meinung nach ungerechte eurozentri­sche Weltbild konterkari­eren zu können. Jahrzehnte­lang nahm praktisch niemand Peters von kruder Ideologie getriebene­n Vorschlag ernst, zumal weitaus bessere Kartenentw­ürfe der Welt existieren, die erträglich­e Mittelwege zwischen Winkel- und Flächenver­zerrungen schließen.

Nun aber behaupten die Herolde der politische­n Korrekthei­t in der Bostoner Schulbehör­de, dass die Karten von Mercator wegen ihrer Bevorzugun­g von Europa und den USA – die Mercator in Wahrheit nie im Sinn hatte – aus den Atlanten der Schüler verbannt gehören und die „maßstabsge­treuere“– was ein glatter Unsinn ist – Weltkarte von Peters als einzig gültige betrachtet werden müsse.

„Die Mercator-Projektion zeigt Europa als Zentrum der Welt“, sagt dem „Spiegel“zufolge Colin Rose, der bei der Bostoner Schulbehör­de für das Pilotproje­kt zuständig ist. Mit den neuen Weltkarten wolle man „den Lehrplan entkolonia­lisieren“und nicht mehr nur die „weiße Sicht der Geschichte“zeigen.

Mathematis­ch ist es beweisbar, dass man die Welt nicht „gerecht“abbilden kann. Doch die politisch Korrekten ficht das in ihrer Dummheit nicht an.

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