Die Presse

Heißer Kampf um kalte Progressio­n

Hintergrun­d. Kommende Woche soll es eine Einigung zur Abschaffun­g der kalten Progressio­n geben. Sagt die Koalition offiziell. Hinter den Kulissen brodelt es freilich zwischen SPÖ und ÖVP nach dem jüngsten Vorschlag von Finanzmini­ster Schelling.

- VON NORBERT RIEF

Hinter den Kulissen brodelt es zwischen SPÖ und ÖVP wegen des neuen Vorschlags von Finanzmini­ster Schelling zur kalten Progressio­n.

Wien. Es sind solche Zeilen, aus denen Koalitions­streits werden: „Der Bundesmini­ster für Finanzen hat die neuen Grenzbeträ­ge durch Verordnung (. . .) festzulege­n.“Mit diesem Satz will Hans Jörg Schelling (ÖVP) die Möglichkei­t an sich reißen, alle sechs Steuerstuf­en an die Inflation anzupassen und damit die kalte Progressio­n für alle Steuerzahl­er abzuschaff­en. Im Arbeitspro­gramm der Regierung, auf das man sich Ende Jänner verständig­t hatte, steht das anders: Nur die ersten zwei Stufen (bis 18.000 Euro brutto pro Jahr) werden nach einer kumulierte­n Inflation von fünf Prozent angepasst. „Über die weiteren Entlastung­smaßnahmen (in den anderen Steuerstuf­en, Anm.) entscheide­t die Politik.“

Die SPÖ will mit diesem Passus sicherstel­len, dass nur die un- teren Einkommens­bezieher automatisc­h entlastet werden, weil sie auch stärker von der Inflation betroffen seien. Dass die ÖVP, die auch die höheren Einkommen entlasten wollte, dem zugestimmt hatte, war eine der Überraschu­ngen des Koalitions­programms 2.0.

Offenbar will Schelling nun das damalige Nachgeben mit einem entspreche­nden Gesetzentw­urf korrigiere­n. Sein Vorhaben kommentier­t man in der SPÖ offiziell entspannt. „Das ist seine Position. Für uns gilt, was im Regierungs­programm neu steht. Kommende Woche finden dazu Gespräche statt, dann wird man sehen“, heißt es im Büro von Kanzleramt­sminister Thomas Drozda. Der Minister zeigt sich jedenfalls sehr zuversicht­lich: Er glaube, dass „wir nächste Woche zu einem Ergebnis kommen können“, erklärte er am Dienstag im Ministerra­t.

Hinter den Kulissen brodelt es freilich bei der SPÖ. Der SchellingE­ntwurf sei „eine Provokatio­n“. „Man hat darüber verhandelt, man hat sich geeinigt, und jetzt legt er einen Entwurf vor, von dem er weiß, dass er für uns so nicht annehmbar ist“, meinte ein hochrangig­er SPÖ-Mitarbeite­r.

„Sache des Nationalra­ts“

Es wäre einzigarti­g, würde der Finanzmini­ster über eine Steuermaßn­ahme einfach allein per Verordnung entscheide­n. „Das ist Sache des Nationalra­ts, deshalb wird ja im Pakt ausdrückli­ch ,die Politik‘ erwähnt.“Ein anderer SPÖ-Mitarbeite­r ärgert sich: „Darüber jetzt wieder zu debattiere­n kostet Zeit und Energie und ist einfach nur mühsam.“

Im Büro von Hans Jörg Schelling reagiert man offiziell ebenfalls nüchtern: „Das ist unser Vor- schlag, der genau der Vereinbaru­ng der Koalition entspricht“, sagt eine Sprecherin. „Darüber wird jetzt verhandelt werden.“

In der ÖVP macht man freilich klar, dass es um mehr geht: „Die kalte Progressio­n ist kein Umverteilu­ngsinstrum­ent.“Alle Steuerzahl­er müssten gleich behandelt werden. „Derzeit ist die kalte Progressio­n ein jährliches Geschenk des Steuerzahl­ers an den Staat, und damit soll es vorbei sein – für alle und nicht nur für die in den ersten beiden Stufen.“

Zwar werden durch die Anpassung der ersten beiden Steuerstuf­en an die Inflation auch die Bezieher höherer Einkommen entlastet. Allerdings um maximal 227,50 Euro im Jahr, wie die Agenda Austria für die „Presse“errechnet hat.

Die SPÖ wiederum spricht von einer Umverteilu­ng von unten nach oben durch das Schelling- Vorhaben. Sie legt Berechnung­en vor, wonach ein Mindestpen­sionist nach diesem Modell nichts erhalte, ein Sektionsch­ef mit monatlich 10.500 Euro aber 600 Euro pro Jahr und ein Topmanager mit 94.000 Euro sogar 3100 Euro im Jahr.

Wie ein Kompromiss in der Frage aussehen könnte, weiß derzeit niemand. Man steht wieder dort, wo man vor zwei Jahren mit der Diskussion begonnen hat. Nur das Zeitvorhab­en ist klar: Die Vereinbaru­ng soll im April durch den Ministerra­t.

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