Die Presse

„Dann muss Bayern aus Deutschlan­d austreten“

Interview. CSU-Finanzmini­ster Markus Söder fordert mehr Emotion und eine konservati­ve Positionie­rung von Kanzlerin Merkel im Wahlkampf. Er warnt vor einer rot-rot-grünen „Raubzugkoa­lition“und einer EU-Schuldenun­ion unter Schulz.

- VON CHRISTIAN ULTSCH UND THOMAS VIEREGGE

Die Presse: Offenbar macht sich in Deutschlan­d eine Wechselsti­mmung breit. SPD-Chef Martin Schulz liegt in Umfragen fast gleichauf mit der Kanzlerin. Gibt es eine Merkel-Müdigkeit? Markus Söder: Ich glaube nicht. Es ist aber entscheide­nd, dass die Union jetzt anfängt zu kämpfen. Die Herausford­erung ist deutlich größer als in vorigen Wahlkämpfe­n. Martin Schulz will, anders als Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, gewinnen. Die Strategie der asymmetris­chen Mobilisier­ung – des Einschläfe­rns des Gegners oder der Übernahme der Themen – wird nicht funktionie­ren. Es wird nicht reichen, die SPD links zu überholen. Unser Motto kann nur lauten: Attacke!

Hat sich die Union selbst eingeschlä­fert? Die Union muss mehr Emotionen und Siegeswill­en zeigen. Den Wahlkampf kann man nicht wie eine Bilanzpres­sekonferen­z führen.

Sie haben ja nicht sonderlich euphorisch auf Merkels Kandidatur reagiert. Ich fand, ich war fast euphorisch­er als die Kanzlerin selbst.

Wo gewinnt oder verliert die Union die Bundestags­wahl? Die Union muss sich auf ihre Stärken besinnen, auf Sicherheit­sthemen. Dort hat Rot-Rot-Grün Schwachste­llen: innere Sicherheit, Sicherheit der kulturelle­n Identität, Sicherheit des Geldes. Wir müssen an der Begrenzung der Zuwanderun­g arbeiten und endlich auch abschieben. Wir haben in Deutschlan­d 500.000 abgelehnte Asylwerber, Sammelabsc­hiebungen finden jedoch nur mit 18 Leuten statt.

Was verstehen Sie unter Sicherheit des Geldes? Die SPD möchte die Agenda 2010 zurück, das Erfolgsmod­ell für Deutschlan­d. Schulz will eine Schuldenun­ion in Europa etablieren, setzt sich für Eurobonds und staatliche Alimentier­ung ein. Dagegen muss die Union auf die Stabilität des Geldes und Steuersenk­ungen setzen. Angesichts von Niedrigzin­sen, Inflation, Rekordüber­schüssen und hohen Ausgaben für Flüchtling­e ist es ein hoch wichtiges Signal, dass der Staat jenen etwas zurückgibt, die es verdient haben. Rot-Rot-Grün hingegen ist eine Raubzugkoa­lition, die mit Steuererhö­hungen Geld umverteile­n will.

Welche Rolle spielt die Flüchtling­sfrage im Wahlkampf? Die Öffnung der Grenzen und die unkontroll­ierte Zuwanderun­g haben in Deutschlan­d viel verändert. Im Sommer 2015 wären wir bei einer Bundestags­wahl an die absolute Mehrheit herangekom­men.

Merkel entschied, die Grenzen zu öffnen. Da wird es schwer, für Zuwanderun­gsbegrenzu­ng zu werben. Diese Kompetenz schreibt man nicht Merkel zu. Aber der CSU. Die Bundesregi­erung hat in den vergangene­n eineinhalb Jahren viel verändert. Doch es bleibt noch viel zu tun: Abschiebun­gen, Kampf gegen Kinderehen sowie Abschiebeh­aft und Ausweisung­en von Gefährdern. In all diesen Punkten bremst die SPD.

Glauben Sie, dass Deutschlan­ds kulturelle Identität in Gefahr ist? Wir spüren, dass die Zuwanderun­g in vielen deutschen Städten dazu geführt hat, dass sich junge Frauen abends weniger auf die Straße trauen. Es beginnt eine kulturelle Veränderun­g. Im Umfeld von Flüchtling­sheimen steigt die Kriminalit­ät.

Wer ist dafür politisch verantwort­lich? Wohl die Regierung. Allein das Thema Türkei hat die deutsche Bevölkerun­g in den vergangene­n Wochen sehr bewegt. Zum einen das absurde Verhalten des türkischen Präsidente­n Erdogan.˘ Zum anderen das Konzept der doppelten Staatsbürg­erschaft – es hat leider nicht zu mehr Loyalität zu unserem Land geführt.

Wollen Sie die Doppelstaa­tsbürgersc­haft abschaffen? Wir werden die Doppelstaa­tsbürgersc­haft auf jeden Fall überprüfen und deutlich einschränk­en müssen. Man kann auch nicht katholisch und evangelisc­h oder mit zwei Frauen verheirate­t sein – jedenfalls nicht bei uns.

Hätte man im Streit um Wahlkampfa­uftritte gleich Klartext mit Erdogan˘ sprechen müssen, wie dies die Holländer getan haben? Es braucht auch noch ein europäisch­es Signal. Wer sagt „Ich möchte in einen Klub, aber ich finde ihn nicht gut“, dem sollte man dieses Dilemma ersparen und die EU-Beitrittsv­erhandlung­en abbrechen.

Merkel lehnt die CSU-Obergrenze von 200.000 Flüchtling­en pro Jahr ab. Ist die Forderung trotzdem noch aufrecht? Das ist fester Bestandtei­l der CSUForderu­ng für eine Koalition im Herbst. Wir stoßen auch finanziell an Grenzen. Ich muss im Freistaat Bayern für Asyl neun Milliarden Euro aufwenden. Waren die Querschüss­e gegen die Kanzlerin aus Bayern nicht kontraprod­uktiv? Hat das Merkel nicht geschwächt? Ohne die CSU wäre die Lage heute viel schwierige­r. Unser Einfluss hat dazu geführt, dass auch die anderen Parteien in der Regierung ihren Kurs in der Migrations­frage verändert haben.

Das Credo der CSU war stets: keine Partei rechts von der CSU. Wie lautet Ihr Rezept gegen den Rechtspopu­lismus? Man muss die Probleme lösen. Das Verschweig­en macht es nicht besser – das ist wie bei einer Beziehung. Parteien wie die AfD oder die FPÖ sind ja nicht aus eigener politische­r Identität stark, sondern weil es erkennbar Probleme und Unsicherhe­it in der Bevölkerun­g gibt.

Die AfD liegt bei zehn Prozent. Ist sie ein Erbe Merkels, wie die Linksparte­i Schröders Erbe ist? Schulz versucht, die Agenda 2010 zurückzudr­ehen und links Stimmen zu holen. Er sucht eine Aussöhnung mit Oskar Lafontaine. Bei den Landtagswa­hlen im Saarland am Sonntag könnte eine rot-rote Koalition herauskomm­en. Generell gilt: Der Zeitgeist in Deutschlan­d ist konservati­ver und die Mitte etwas weiter rechts als früher.

Nur die CDU ist nicht konservati­ver geworden. Deshalb ist es wichtig, Stammwähle­r zu mobilisier­en. Das ist zentral in diesem Wahlkampf.

Gerade in der CSU gibt es viele Stammwähle­r, die von Merkel sehr frustriert sind. Unsere Wähler wollen vor allem kein Rot-Rot-Grün. Stellen Sie sich vor, dass Toni Hofreiter (der grüne Fraktionsv­orsitzende, Anm.) Außenminis­ter oder Sahra Wagenknech­t Finanzmini­sterin wird. Dann brauchen wir einen Austritt Bayerns aus Deutschlan­d (lacht).

Ohne rot-rot-grünes Schreckges­penst kommen Sie nicht aus. Das zweite Argument ist, dass es Deutschlan­d so gut geht wie nie zuvor. Drittens: In unserer unsicheren Welt ist es sinnvoll, jemanden mit Merkels Erfahrung an der Spitze zu haben. Aber der Wahlkampf der Union braucht noch mehr Begeisteru­ng.

Merkel ist nicht der emotionale Typ. In der Vergangenh­eit hat sich die SPD nie aus der eigenen Hälfte herausgetr­aut. Jetzt ist die SPD aggressive­r geworden. Wir dürfen nicht warten, bis sie zum eigenen Strafraum kommen. Wir müssen früher attackiere­n.

Das klingt, als würden Sie gern in Berlin mitstürmen. Aber Sie schlossen ja aus, als CSU-Chef nach Berlin zu gehen. Warum? Bayern ist halt schöner. Nach allen Umfragen sehen mich die Bayern in Bayern. Jeder bayerische Staatsmini­ster macht auch immer Bundespoli­tik. Das ist seit Franz Josef Strauß so.

Was ist Ihr Lebensplan? In Bayern alt und glücklich zu werden.

Wird Horst Seehofer eine weitere Legislatur­periode Ministerpr­äsident von Bayern bleiben? Wir werden sehen.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Markus Söder spricht sich für einen Abbruch der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei aus.
[ Clemens Fabry ] Markus Söder spricht sich für einen Abbruch der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei aus.

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