„Dann muss Bayern aus Deutschland austreten“
Interview. CSU-Finanzminister Markus Söder fordert mehr Emotion und eine konservative Positionierung von Kanzlerin Merkel im Wahlkampf. Er warnt vor einer rot-rot-grünen „Raubzugkoalition“und einer EU-Schuldenunion unter Schulz.
Die Presse: Offenbar macht sich in Deutschland eine Wechselstimmung breit. SPD-Chef Martin Schulz liegt in Umfragen fast gleichauf mit der Kanzlerin. Gibt es eine Merkel-Müdigkeit? Markus Söder: Ich glaube nicht. Es ist aber entscheidend, dass die Union jetzt anfängt zu kämpfen. Die Herausforderung ist deutlich größer als in vorigen Wahlkämpfen. Martin Schulz will, anders als Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, gewinnen. Die Strategie der asymmetrischen Mobilisierung – des Einschläferns des Gegners oder der Übernahme der Themen – wird nicht funktionieren. Es wird nicht reichen, die SPD links zu überholen. Unser Motto kann nur lauten: Attacke!
Hat sich die Union selbst eingeschläfert? Die Union muss mehr Emotionen und Siegeswillen zeigen. Den Wahlkampf kann man nicht wie eine Bilanzpressekonferenz führen.
Sie haben ja nicht sonderlich euphorisch auf Merkels Kandidatur reagiert. Ich fand, ich war fast euphorischer als die Kanzlerin selbst.
Wo gewinnt oder verliert die Union die Bundestagswahl? Die Union muss sich auf ihre Stärken besinnen, auf Sicherheitsthemen. Dort hat Rot-Rot-Grün Schwachstellen: innere Sicherheit, Sicherheit der kulturellen Identität, Sicherheit des Geldes. Wir müssen an der Begrenzung der Zuwanderung arbeiten und endlich auch abschieben. Wir haben in Deutschland 500.000 abgelehnte Asylwerber, Sammelabschiebungen finden jedoch nur mit 18 Leuten statt.
Was verstehen Sie unter Sicherheit des Geldes? Die SPD möchte die Agenda 2010 zurück, das Erfolgsmodell für Deutschland. Schulz will eine Schuldenunion in Europa etablieren, setzt sich für Eurobonds und staatliche Alimentierung ein. Dagegen muss die Union auf die Stabilität des Geldes und Steuersenkungen setzen. Angesichts von Niedrigzinsen, Inflation, Rekordüberschüssen und hohen Ausgaben für Flüchtlinge ist es ein hoch wichtiges Signal, dass der Staat jenen etwas zurückgibt, die es verdient haben. Rot-Rot-Grün hingegen ist eine Raubzugkoalition, die mit Steuererhöhungen Geld umverteilen will.
Welche Rolle spielt die Flüchtlingsfrage im Wahlkampf? Die Öffnung der Grenzen und die unkontrollierte Zuwanderung haben in Deutschland viel verändert. Im Sommer 2015 wären wir bei einer Bundestagswahl an die absolute Mehrheit herangekommen.
Merkel entschied, die Grenzen zu öffnen. Da wird es schwer, für Zuwanderungsbegrenzung zu werben. Diese Kompetenz schreibt man nicht Merkel zu. Aber der CSU. Die Bundesregierung hat in den vergangenen eineinhalb Jahren viel verändert. Doch es bleibt noch viel zu tun: Abschiebungen, Kampf gegen Kinderehen sowie Abschiebehaft und Ausweisungen von Gefährdern. In all diesen Punkten bremst die SPD.
Glauben Sie, dass Deutschlands kulturelle Identität in Gefahr ist? Wir spüren, dass die Zuwanderung in vielen deutschen Städten dazu geführt hat, dass sich junge Frauen abends weniger auf die Straße trauen. Es beginnt eine kulturelle Veränderung. Im Umfeld von Flüchtlingsheimen steigt die Kriminalität.
Wer ist dafür politisch verantwortlich? Wohl die Regierung. Allein das Thema Türkei hat die deutsche Bevölkerung in den vergangenen Wochen sehr bewegt. Zum einen das absurde Verhalten des türkischen Präsidenten Erdogan.˘ Zum anderen das Konzept der doppelten Staatsbürgerschaft – es hat leider nicht zu mehr Loyalität zu unserem Land geführt.
Wollen Sie die Doppelstaatsbürgerschaft abschaffen? Wir werden die Doppelstaatsbürgerschaft auf jeden Fall überprüfen und deutlich einschränken müssen. Man kann auch nicht katholisch und evangelisch oder mit zwei Frauen verheiratet sein – jedenfalls nicht bei uns.
Hätte man im Streit um Wahlkampfauftritte gleich Klartext mit Erdogan˘ sprechen müssen, wie dies die Holländer getan haben? Es braucht auch noch ein europäisches Signal. Wer sagt „Ich möchte in einen Klub, aber ich finde ihn nicht gut“, dem sollte man dieses Dilemma ersparen und die EU-Beitrittsverhandlungen abbrechen.
Merkel lehnt die CSU-Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr ab. Ist die Forderung trotzdem noch aufrecht? Das ist fester Bestandteil der CSUForderung für eine Koalition im Herbst. Wir stoßen auch finanziell an Grenzen. Ich muss im Freistaat Bayern für Asyl neun Milliarden Euro aufwenden. Waren die Querschüsse gegen die Kanzlerin aus Bayern nicht kontraproduktiv? Hat das Merkel nicht geschwächt? Ohne die CSU wäre die Lage heute viel schwieriger. Unser Einfluss hat dazu geführt, dass auch die anderen Parteien in der Regierung ihren Kurs in der Migrationsfrage verändert haben.
Das Credo der CSU war stets: keine Partei rechts von der CSU. Wie lautet Ihr Rezept gegen den Rechtspopulismus? Man muss die Probleme lösen. Das Verschweigen macht es nicht besser – das ist wie bei einer Beziehung. Parteien wie die AfD oder die FPÖ sind ja nicht aus eigener politischer Identität stark, sondern weil es erkennbar Probleme und Unsicherheit in der Bevölkerung gibt.
Die AfD liegt bei zehn Prozent. Ist sie ein Erbe Merkels, wie die Linkspartei Schröders Erbe ist? Schulz versucht, die Agenda 2010 zurückzudrehen und links Stimmen zu holen. Er sucht eine Aussöhnung mit Oskar Lafontaine. Bei den Landtagswahlen im Saarland am Sonntag könnte eine rot-rote Koalition herauskommen. Generell gilt: Der Zeitgeist in Deutschland ist konservativer und die Mitte etwas weiter rechts als früher.
Nur die CDU ist nicht konservativer geworden. Deshalb ist es wichtig, Stammwähler zu mobilisieren. Das ist zentral in diesem Wahlkampf.
Gerade in der CSU gibt es viele Stammwähler, die von Merkel sehr frustriert sind. Unsere Wähler wollen vor allem kein Rot-Rot-Grün. Stellen Sie sich vor, dass Toni Hofreiter (der grüne Fraktionsvorsitzende, Anm.) Außenminister oder Sahra Wagenknecht Finanzministerin wird. Dann brauchen wir einen Austritt Bayerns aus Deutschland (lacht).
Ohne rot-rot-grünes Schreckgespenst kommen Sie nicht aus. Das zweite Argument ist, dass es Deutschland so gut geht wie nie zuvor. Drittens: In unserer unsicheren Welt ist es sinnvoll, jemanden mit Merkels Erfahrung an der Spitze zu haben. Aber der Wahlkampf der Union braucht noch mehr Begeisterung.
Merkel ist nicht der emotionale Typ. In der Vergangenheit hat sich die SPD nie aus der eigenen Hälfte herausgetraut. Jetzt ist die SPD aggressiver geworden. Wir dürfen nicht warten, bis sie zum eigenen Strafraum kommen. Wir müssen früher attackieren.
Das klingt, als würden Sie gern in Berlin mitstürmen. Aber Sie schlossen ja aus, als CSU-Chef nach Berlin zu gehen. Warum? Bayern ist halt schöner. Nach allen Umfragen sehen mich die Bayern in Bayern. Jeder bayerische Staatsminister macht auch immer Bundespolitik. Das ist seit Franz Josef Strauß so.
Was ist Ihr Lebensplan? In Bayern alt und glücklich zu werden.
Wird Horst Seehofer eine weitere Legislaturperiode Ministerpräsident von Bayern bleiben? Wir werden sehen.