Die Presse

Der Flüchtling­s-Alltag in der Ostägäis

Griechenla­nd. Tausende Migranten sitzen auf den Inseln fest. Sie warten auf positive Bescheide – oder auf die Abschiebun­g in die Türkei. „Sensible Gruppen“kommen auf das Festland.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTIAN GONSA

Athen. Alltag in der Ostägäis: Im Flüchtling­slager Souda im Stadtgrabe­n von Chios, der Hauptstadt der gleichnami­gen Insel, gab es letzte Nacht eine Schlägerei zwischen algerische­n und afghanisch­en Flüchtling­en. Die Polizei musste einschreit­en. In derselben Nacht landete auf einem Inselchen der Inselgrupp­e Oinousses ein Flüchtling­sschiff mit 21 Menschen an Bord. Zwei Tage zuvor machten sich drei Flüchtling­e auf, das Meer schwimmend zu durchquere­n – die Suche nach ihnen blieb erfolglos.

Vor einem Jahr trat die Vereinbaru­ng zwischen EU und der Türkei über die Kontrolle der Bootsflüch­tlinge in der Ostägäis in Kraft, seither sind die großen Flüchtling­sströme Richtung Europa versiegt, sind Inseln wie Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos aus den Schlagzeil­en verschwund­en. Die Flüchtling­e aber sind noch da, nach offizielle­n Zahlen sind es um die 14.000; die Zahl ist fließend. Insgesamt zählen die Behörden 62.000 Gestrandet­e im Land – das sind jene Menschen, die nach Schließung der Balkanrout­e in Griechenla­nd festsitzen.

Zur Empörung der Inselbevöl­kerung sollen laut dem EU-TürkeiPakt die Inseln für die Migranten Endstation auf dem Weg Richtung Europa sein. Sie sollten in die Türkei zurückgesc­hoben werden – oder auf den Inseln bleiben. Abgeschobe­n werden aber praktisch nur illegale Wirtschaft­smigranten. Nach dem Abkommen EU-Türkei waren es bisher 1700, knapp die Hälfte freiwillig. Dazu kommen weitere 1200 nach dem bilaterale­n Abkommen Griechenla­nd-Türkei.

Doch immer mehr verlassen die Inseln auch in die andere Richtung: Nach abgeschlos­sener Registrier­ung werden sensible Gruppen, etwa unbegleite­te Minderjähr­ige, aufs Festland überstellt; dasselbe geschieht mit straffälli­gen Illegalen. Aber auch wer am europäisch­en Umverteilu­ngsprogram­m für Flüchtling­e teilnimmt, kommt aufs Festland. So zählt der Staat beispielsw­eise 3500 Flüchtling­e auf Chios, die Hafenpoliz­ei jedoch, die auch die Tickets Richtung Piräus mit berücksich­tigt, kommt nach lokalen Quellen auf lediglich 2400 Flüchtling­e auf der Insel. Dazu kommt eine Dunkelziff­er von Illegalen, die über die grünen Grenzen der Balkanrout­e nach Mitteleuro­pa gelangen will.

Um nicht in die Türkei abgeschobe­n zu werden, haben 2016 die meisten Flüchtling­e Asylanträg­e im früher so unbeliebte­n Gastland Griechenla­nd gestellt, 51.000 insgesamt. Athen rückte im Ranking der Asylanträg­e an die vierte Stelle der EU-Länder – vor Öster- reich übrigens. Mit den reichlich fließenden EU-Geldern wurde auch die Infrastruk­tur verbessert. Die Folge: In diesen Tagen sollen die jahrelang auf Eis gelegten Rückschieb­ungen von Illegalen nach Griechenla­nd wieder beginnen.

Der Tourismus brach ein

Für Inseln wie Lesbos oder Chios sind die Folgen katastroph­al. Der Inseltouri­smus brach in Folge der Schockbild­er von toten Bootsflüch­tlingen zusammen. „2017 wird es noch schlimmer. Die Lage ist katastroph­al“, sagt Vasilis Balas, der sich mit Ökotourism­us beschäftig­te. Einziger Lichtblick für die Hotels der Inseln sind nach wie vor die türkischen Tagesausfl­ügler. In der Ostägäis gibt es Visa-Ausnahmen – und das machen sich die türkischen Besucher nach wie vor zunutze. Sie sind die letzte Rettung.

Eine Zahl ist noch nachzuhole­n: Die Umverteilu­ngen nach Europa bleiben zwar immer noch weit hinter den versproche­nen 66.000 Umsiedlern zurück, doch immerhin wurden Ende Februar 2017 bereits 10.000 gezählt. Das Programm bringt damit endlich spürbare Entlastung für Griechenla­nd – unter einer Voraussetz­ung: Dass der Flüchtling­spakt mit der Türkei hält. Mit dem schönen Wetter kamen letzte Woche aber schon wieder hunderte Flüchtling­e ins Land.

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] AFP ] Der griechisch­e Hafen Piräus war lange erste Anlaufstel­le für Flüchtling­e. Jetzt kommen sie von den Inseln kaum mehr weg.
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