Der Flüchtlings-Alltag in der Ostägäis
Griechenland. Tausende Migranten sitzen auf den Inseln fest. Sie warten auf positive Bescheide – oder auf die Abschiebung in die Türkei. „Sensible Gruppen“kommen auf das Festland.
Athen. Alltag in der Ostägäis: Im Flüchtlingslager Souda im Stadtgraben von Chios, der Hauptstadt der gleichnamigen Insel, gab es letzte Nacht eine Schlägerei zwischen algerischen und afghanischen Flüchtlingen. Die Polizei musste einschreiten. In derselben Nacht landete auf einem Inselchen der Inselgruppe Oinousses ein Flüchtlingsschiff mit 21 Menschen an Bord. Zwei Tage zuvor machten sich drei Flüchtlinge auf, das Meer schwimmend zu durchqueren – die Suche nach ihnen blieb erfolglos.
Vor einem Jahr trat die Vereinbarung zwischen EU und der Türkei über die Kontrolle der Bootsflüchtlinge in der Ostägäis in Kraft, seither sind die großen Flüchtlingsströme Richtung Europa versiegt, sind Inseln wie Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos aus den Schlagzeilen verschwunden. Die Flüchtlinge aber sind noch da, nach offiziellen Zahlen sind es um die 14.000; die Zahl ist fließend. Insgesamt zählen die Behörden 62.000 Gestrandete im Land – das sind jene Menschen, die nach Schließung der Balkanroute in Griechenland festsitzen.
Zur Empörung der Inselbevölkerung sollen laut dem EU-TürkeiPakt die Inseln für die Migranten Endstation auf dem Weg Richtung Europa sein. Sie sollten in die Türkei zurückgeschoben werden – oder auf den Inseln bleiben. Abgeschoben werden aber praktisch nur illegale Wirtschaftsmigranten. Nach dem Abkommen EU-Türkei waren es bisher 1700, knapp die Hälfte freiwillig. Dazu kommen weitere 1200 nach dem bilateralen Abkommen Griechenland-Türkei.
Doch immer mehr verlassen die Inseln auch in die andere Richtung: Nach abgeschlossener Registrierung werden sensible Gruppen, etwa unbegleitete Minderjährige, aufs Festland überstellt; dasselbe geschieht mit straffälligen Illegalen. Aber auch wer am europäischen Umverteilungsprogramm für Flüchtlinge teilnimmt, kommt aufs Festland. So zählt der Staat beispielsweise 3500 Flüchtlinge auf Chios, die Hafenpolizei jedoch, die auch die Tickets Richtung Piräus mit berücksichtigt, kommt nach lokalen Quellen auf lediglich 2400 Flüchtlinge auf der Insel. Dazu kommt eine Dunkelziffer von Illegalen, die über die grünen Grenzen der Balkanroute nach Mitteleuropa gelangen will.
Um nicht in die Türkei abgeschoben zu werden, haben 2016 die meisten Flüchtlinge Asylanträge im früher so unbeliebten Gastland Griechenland gestellt, 51.000 insgesamt. Athen rückte im Ranking der Asylanträge an die vierte Stelle der EU-Länder – vor Öster- reich übrigens. Mit den reichlich fließenden EU-Geldern wurde auch die Infrastruktur verbessert. Die Folge: In diesen Tagen sollen die jahrelang auf Eis gelegten Rückschiebungen von Illegalen nach Griechenland wieder beginnen.
Der Tourismus brach ein
Für Inseln wie Lesbos oder Chios sind die Folgen katastrophal. Der Inseltourismus brach in Folge der Schockbilder von toten Bootsflüchtlingen zusammen. „2017 wird es noch schlimmer. Die Lage ist katastrophal“, sagt Vasilis Balas, der sich mit Ökotourismus beschäftigte. Einziger Lichtblick für die Hotels der Inseln sind nach wie vor die türkischen Tagesausflügler. In der Ostägäis gibt es Visa-Ausnahmen – und das machen sich die türkischen Besucher nach wie vor zunutze. Sie sind die letzte Rettung.
Eine Zahl ist noch nachzuholen: Die Umverteilungen nach Europa bleiben zwar immer noch weit hinter den versprochenen 66.000 Umsiedlern zurück, doch immerhin wurden Ende Februar 2017 bereits 10.000 gezählt. Das Programm bringt damit endlich spürbare Entlastung für Griechenland – unter einer Voraussetzung: Dass der Flüchtlingspakt mit der Türkei hält. Mit dem schönen Wetter kamen letzte Woche aber schon wieder hunderte Flüchtlinge ins Land.