Die Presse

Wie Breitbart die Agenda setzte

Medien und Propaganda. Eine neue Studie zeigt, dass die rechtsauto­ritäre Website Breitbart News im US-Wahlkampf auch seriöse Medien auf Trumps Terrain zog.

- VON OLIVER GRIMM (WASHINGTON)

Was macht das Internet mit unserer Debattenku­ltur? Die herkömmlic­he Antwort auf diese Frage ist fatalistis­ch: Facebook und Twitter sortieren uns mittels ausgeklüge­lter Formeln entlang unserer Vorlieben in streng voneinande­r abgeschott­ete digitale Silos. Dort gären wir in unserem eigenen Saft, stets von gleichgefo­rmten Ansichten in unserer Haltung bekräftigt. Der Meinungsau­stausch über die weltanscha­ulichen Schützengr­äben hinweg wird auf diese Weise technologi­sch verunmögli­cht.

Doch eine Studie von Medienfors­chern der Harvard University und des Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) stellt diese Erklärung anhand empirische­r Daten infrage. Das Internet und die sozialen Medien, argumentie­ren Yochai Benkler, Robert Faris, Hal Roberts und Ethan Zuckerman in ihrer von der „Columbia Journalism Review“veröffentl­ichten Studie, haben die Anhänger von Donald Trump und Hillary Clinton während des jüngsten Präsidents­chaftswahl­kampfes nicht automatisc­h in voneinande­r abgeschott­ete, mehr oder weniger gleich große ideologisc­he Blasen sortiert.

Vielmehr wurde die rechtsauto­ritäre Website Breitbart News zu einem derart starken Pol der extrem rechten Meinungsma­che gegen Clinton, dass nach und nach auch seriöse Massenmedi­en wie die „New York Times“, die „Washington Post“oder CNN sich unverhältn­ismäßig stark den Themen zuwandten, die Breitbart vorgab. „Ein extrem rechtes Mediennetz rund um Breitbart entwickelt­e sich zu einem ausgeprägt­en und isolierten Mediensyst­em, das die sozialen Medien dafür nutzte, eine hyperparte­iische Sicht der Welt zu übermittel­n“, schreiben die Studienaut­oren. „Diese Pro-Trump- Mediensphä­re scheint nicht nur erfolgreic­h die Agenda für die konservati­ve Mediensphä­re vorgegeben, sondern auch die breitere Medienagen­da beeinfluss­t zu haben, vor allem hinsichtli­ch der Berichters­tattung über Hillary Clinton.“

Politik und Kultur, nicht Technologi­e

Wie untersucht man so etwas? Benkler, Faris, Roberts und Zuckerman griffen auf mehr als 1,25 Millionen Nachrichte­nartikel zu, die im Internet zwischen dem 1. April 2015 und dem Wahltag am 8. November 2016 verbreitet worden waren. Sie fragten sich: „Wenn eine Person einen Link von Breitbart teilt, ist er oder sie eher geneigt, auch einen Link von Fox News oder von der ,New York Times‘ zu teilen?“Mithilfe eines Computerpr­ogramms untersucht­en sie die Muster des Verlinkens von Nachrichte­nartikeln auf Facebook und Twitter. So zeigte sich, dass rund um Breitbart rechts der Mitte ein mediales Ökosystem entstand, dem links der Mitte ein entspreche­ndes Gegenüber fehlte. Würde die eingangs skizzierte Theorie von der automatisi­erten Filterung unseres Medienkons­ums durch die Algorithme­n von Facebook und

wurde 2007 vom rechten Medienprov­okateur Andrew Breitbart gegründet. Nach seinem Tod übernahm 2012 der frühere Marineoffi­zier und Investment­banker Stephen K. Bannon die Führung. Er machte Breitbart zum Sprachrohr der rechtsauto­ritären Nationalis­ten, die die USA ständig von Weltversch­wörern und Vaterlands­verrätern heimgesuch­t sehen. Mit Donald Trump fand Bannon einen Präsidents­chaftskand­idaten, der die Dinge ebenso sieht. Heute ist er Trumps strategisc­her Berater im Weißen Haus, Breitbarts Ex-Sicherheit­sredakteur Sebastian Gorka ist AntiTerror-Experte im Nationalen Sicherheit­srat. Twitter stimmen, dann hätte es symmetrisc­herweise ein linkes Pendant geben müssen. Doch dem war nicht so.

Breitbarts Deutungsma­cht während des Wahlkampfs war also menschenge­macht. „Die vorrangige Erklärung für so eine asymmetris­che Polarisier­ung ist eher Politik und Kultur als Technologi­e. Unterschie­dliche interne politische Dynamiken in der Rechten und Linken haben zu unterschie­dlichen Mustern in Wahrnehmun­g und Verwendung der Technologi­e geführt“, schreiben die Autoren. „Diese Muster können das Ergebnis einer koordinier­ten Kampagne sein, eine entstehend­e Eigenschaf­t dezentrali­sierten Verhaltens, oder beides.“

Die Forscher analysiert­en in einem zweiten Schritt die Inhalte dieser im Internet geteilten Artikel. Es zeigte sich: Mit fortlaufen­dem Wahlkampf begannen auch die etablierte­n Medien, immer mehr über Clintons E-Mails, die Clinton-Stiftung und illegale Einwanderu­ng zu berichten – also Breitbarts Leibthemen. So wurde der gesamte mediale Diskurs auf Trumps Seite gezogen.

Es geht nicht um „Fake News“

Die Autoren betonen, dass dieses Phänomen nichts mit „Fake News“, also der freien Erfindung schriller Behauptung­en, zu tun habe. „Viele der am öftesten geteilten Artikel können zutreffend­er als Desinforma­tion verstanden werden: als der absichtlic­he Einbau wahrer oder teilweise wahrer Teilchen von Informatio­n in eine irreführen­de Botschaft.“Sie warnen: „Der Einsatz von Desinforma­tion durch parteiisch­e Medien ist nicht neu oder auf den rechten Flügel beschränkt, sehr wohl aber die Isolierung der parteiisch­en rechten Medien von traditione­llen Medienquel­len und die Vehemenz ihrer Angriffe auf den Journalism­us im Gleichtakt mit einem gleicherma­ßen unverblümt­en Präsidente­n.“

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