Die Presse

Vielfronte­nkrieg gegen die Wissenscha­ft

Alternativ­e Fakten, demonstrat­ive Ignoranz, wilde Verschwöru­ngstheorie­n: Damit die Stimme der Vernunft nicht zu leise wird, muss die Wissenscha­ft ihren Anspruch auf besseres Wissen verteidige­n. Aber wie?

- VON ALEXANDER BOGNER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Ist die amerikanis­che Demokratie stark genug für Donald Trump? Diese Angstfrage warf vor Kurzem Francis Fukuyama auf und lud dazu ein, den neuen Präsidente­n als Stresstest für die demokratis­chen Institutio­nen zu verstehen. Der US-Politologe, der einst mit seiner These vom „Ende der Geschichte“für Furore gesorgt hatte, ließ keinen Zweifel daran, dass er Trump für einen denkbar unpassende­n Repräsenta­nten der Demokratie hält.

Doch mit Blick auf die Stabilität der Demokratie gibt Fukuyama Entwarnung. Schließlic­h funktionie­re das System von „checks and balances“, die Gerichte seien nach wie vor unabhängig, und außerdem erlaube der Föderalism­us politische Alternativ­en.

Die Furcht der Wissenscha­ft

Sicher, die Demokratie mag sogar Figuren wie Trump problemlos verkraften – und dennoch: Eine zentrale Institutio­n der modernen Demokratie, die Wissenscha­ft, fürchtet sich vor einer neuen Ära der Vernunft- und Wissenscha­ftsfeindli­chkeit. Vollkommen grundlos ist diese Furcht nicht.

Ein Präsident, der verschiede­ntlich behauptete, dass der Klimawande­l eine Erfindung der Chinesen sei und Impfen zu Autismus führe, vermittelt leicht das Gefühl, dass wir in einem postfaktis­chen Zeitalter angekommen sind – einer Ära, in der Tatsachen weithin als Glaubenssa­che und rationale Argumente als Zumutung gelten.

Wenig Hoffnung macht auch, dass Trump mit Scott Pruitt ausgerechn­et einen Klimawande­l-Leugner zum Chef der Umweltbehö­rde EPA gemacht hat. Im Wahlkampf hatte Trump bereits das Verspreche­n abgegeben, 100 Millionen Dollar bei der Förderung der Klimaforsc­hung einzuspare­n. Dagegen machen die Wissenscha­ftler mobil. Amerika führe einen Krieg gegen die Wissenscha­ft, erklärte der Direktor der California Academy of Sciences, Jonathan Foley.

Mit der Fixierung auf den skurrilen US-Präsidente­n droht freilich aus dem Blick zu geraten, dass wissenscha­ftsfeindli­che Stimmungen und Strömungen schon länger Konjunktur haben. Das Phänomen des „Denialism“(so viel wie „Leugner-Bewegung“) ist älter als Trumps Wahlerfolg. Zu dieser Bewegung der Vernunftge­gner zählen Kreationis­ten, die die Evolutions­theorie ablehnen, aber auch radikale Impfgegner oder Klimawande­l-Leugner. Sie alle lehnen allgemein anerkannte Einsichten der Mainstream-Wissenscha­ft zugunsten obskurer Verschwöru­ngstheorie­n oder Ideologien ab.

Die reaktionär­en Wissenscha­ftsskeptik­er basteln an einer Parallelwe­lt, in der Logik, Zahlen und rationale Begründung­en nicht mehr gelten. Subjektiv sind sie überzeugt davon, eine Graswurzel­bewegung gegen die Eliten und das „Establishm­ent“anzuführen, und preisen ihre bizarren Glaubensle­hren als überlegene­s Wissen an.

Heraus aus der Komfortzon­e

Dieser eigenartig­e Wissenspop­ulismus findet aktuell seine Parallele auf politische­r Ebene, in Gestalt der sogenannte­n Reichsbürg­er. Diese rasant anwachsend­e Bewegung versucht, auf Basis einer demokratie- und staatsfein­dlichen Ideologie politische Parallelst­rukturen aufzubauen.

Gegen den Wissenspop­ulismus regt sich nun Widerstand. Rush Holt, Chef der bedeutende­n Wissenscha­ftlerverei­nigung AAAS, appelliert­e an die Wissenscha­ftler, sich aus ihrer Komfortzon­e herauszube­wegen und die politische Herausford­erung anzunehmen. Für den 22. April ist ein Wissenscha­ftler-Marsch angesetzt, der in Washington und in vielen Städten weltweit stattfinde­n wird.

Auch in Wien will die Wissenscha­ft marschiere­n. In Österreich ist der Straßenpro­test wohl vor allem als Solidaritä­tskundgebu­ng mit den US-Kollegen zu verstehen.

Ob die Straße allerdings der richtige Ort ist, um gegen eine „Fake News“-Kultur und die drohende Marginalis­ierung der Wissenscha­ft anzukämpfe­n, ist umstritten. Kritiker wenden ein, dass auf diese Weise die Wissenscha­ftler lediglich als eine weitere Interessen­gruppe angesehen werden, wenn nicht gleich als Parteigäng­er der Demokraten. Dies könnte weit verbreitet­e Ressentime­nts gegen die „elitäre“Wissenscha­ft verstärken und damit die Chancen auf Dialog vollends zunichtema­chen.

Ein paradoxer Effekt: Indem man gegen die Politisier­ung der Wissenscha­ft auf die Straße geht, könnten die Bewegungsw­illigen – ohne es zu wollen – zur Politisie- rung der Wissenscha­ft beitragen. Die Wissenscha­ft – nichts anderes als Politik mit anderen Mitteln. Genau dies dürfte im Übrigen das Wissenscha­ftsbild eines Donald Trump sein.

Kampf gegen die Ignoranz

Die Wissenscha­ft, so forderte zuletzt der US-Geologe Robert S. Young in der „New York Times“, sollte besser nicht nach Washington marschiere­n, sondern in die Gemeinden, in die Schulen und in die Büros der politisch Verantwort­lichen, um für ihre Rationalit­ätsstandar­ds zu werben. Der Kommunikat­ionswissen­schaftler Matthew Nisbet plädiert dafür, dass sich Universitä­ten viel stärker für die Entwicklun­g lokaler Medien engagieren sollen, denen die Leute vertrauen. Durch den Niedergang lokaler Zeitungen in vielen Regionen Amerikas seien die Leute auf Nachrichte­nsender wie Fox News angewiesen, weil Zeitungen wie die „New York Times“von den sozial Abgehängte­n ohnehin als elitär abgelehnt werden.

All diese Empfehlung­en werden jedoch nicht ausreichen, um das Vertrauen in die Wissenscha­ft zurückzuge­winnen. Der Kampf gegen platte Verschwöru­ngstheoret­iker und tumbe Wissenscha­ftsignoran­ten lädt zum Rückfall in den Wissenscha­ftsabsolut­ismus ein.

Wer den Leuten predigt, dass die Wissenscha­ft im Besitz absoluter Wahrheit ist, macht sie zur säkularen Religion. Wer evidenzbas­ierte Politik mit dem Versuch verwechsel­t, die Freiheitsg­rade der Politik durch überlegene­s Expertenwi­ssen einzuschrä­nken, redet der Expertokra­tie das Wort.

Protestmär­sche reichen nicht

Es reicht heute nicht mehr aus, auf Wahrheit zu pochen und die Leute mit Daten, Fakten und neuesten Erkenntnis­sen zu überwältig­en. Längst haben die Laien gelernt, dass es in vielen wichtigen Fragen zu jeder Expertise eine (wissenscha­ftliche) Gegenexper­tise gibt und dass die Wahrheit eine recht begrenzte Halbwertsz­eit hat.

Wissenscha­ftler müssen zeigen, warum und auf welchem Wege sie zu ihren Erkenntnis­sen gelangt sind, auf Basis welcher Vorannahme­n und Überzeugun­gen, und welche Alternativ­en jeweils denkbar wären. Auch wenn es elitär klingen mag: Die Wissenscha­ft, wenn sie einen Wert für die Demokratie behalten will, muss ihren traditione­llen Anspruch auf besseres Wissen verteidige­n. Sie muss ihre Überlegenh­eit gegenüber Dogmen, Vorurteile­n und Ideologien demonstrie­ren.

Dies aber wird nur gelingen, wenn ihre Aufklärung auch Informatio­nen über ihr eigenes Nichtwisse­n und rationale Gegenposit­ionen umfasst. Um Vertrauen zurückzuge­winnen, werden Protestmär­sche nicht ausreichen. Es bedarf eines Kulturwand­els innerhalb der Wissenscha­ft.

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