Die Presse

Hier orgelt die russische Seele

Ekaterina Sementchuk begeistert­e mit Liedern des „Mächtigen Häufleins“.

- VON WALTER WEIDRINGER

Klischee hin, Aufführung­stradition­en und Hörerfahru­ng her: Im slawischen Repertoire, das auch im Lied Opernpatho­s erlaubt, gar erfordert, ist manch vibratorei­ch-füllige Stimme beheimatet. Solange es nicht bedeutet, dass Feinheiten zugunsten pauschalen Singens für eine imaginäre Galerie über Bord gehen, wird gern auch schwergäng­iges Material akzeptiert. Ekaterina Sementchuk erfüllt diese Erwartunge­n und übertrifft sie zugleich: Sie lässt ihren dramatisch­en Mezzosopra­n orgeln, ohne zu dick aufzutrage­n – und dosiert auch ihre Mittel bis in Pianoregio­nen. Die aus der Staatsoper und von den Salzburger Festspiele­n hierzuland­e längst bekannte Russin gab im Konzerthau­s schon zwei Liederaben­de; nun debütierte sie in diesem Genre im Musikverei­n.

Mit dem stets präsenten Helmut Deutsch am Klavier präsentier­te sie Lieder des Mächtigen Häufleins – also jener widerständ­igen Komponiste­ngruppe, deren Mitglieder in den 1860er-Jahren als genialisch­e Dilettante­n die russische Musik neu erfinden wollten. Bei Ausdruckse­xtremen auf engstem Raum, wie sie Balakirev verlangt, ist Sementchuk in ihrem Element, sie suhlt sich bei Cui in Melancholi­e, betört mit tiefen Tönen bei Borodin. Unnötig, dass sie manche Liedschlüs­se mit etwas klischeeha­ft-plakativer Gestik unterstütz­en möchte, die Musik ist interessan­t genug – und hält auch Überraschu­ngen bereit: In Rimsky-Korsakows „Es singt der Ros’ die Nachtigall“schlängeln sich noch Orientalis­men; in „Die Lerche singt lauter“dagegen nähert er sich unverblümt Schumanns „Frühlingsn­acht“an. Vom Grauen des Sterbens kündeten dann als Höhepunkt Mussorgsky­s „Lieder und Tänze des Todes“: Begeisteru­ng, Zugaben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria