Auf der Luftschlossbaustelle
Ibsen. Joseph Lorenz und Alma Hasun über Trolle, Prinzessinnen, innere und äußere Dramen. „Hilde Wangel ist ein Alter Ego von Baumeister Solness“, sagt Lorenz.
Haben Frauen Angst vor Männern und Männer Angst vor Frauen?
Alma Hasun: Männer und Frauen können einander nie ganz durchschauen, aber dafür das Wort Angst zu gebrauchen, wäre zu viel.
Joseph Lorenz: Ich weiß nicht, ob Männer Angst vor Frauen haben. Ich kann nur für mich sprechen. Ich habe, wenn, Angst vor Menschen. Frauen finde ich eher beflügelnd.
Baumeister Solness wachsen leider keine Flügel. Um Hilde Wangel zu imponieren, steigt er, trotz Höhenangst, auf einen Turm und stürzt ab. Warum gehen die zwei nicht einfach miteinander ins Bett?
JL: Baumeister Solness hat Sehnsucht nach der Jugend und Angst vor ihr. Er erlebt ein inneres Drama. Dieses inkarniert Ibsen in der Figur der Hilde Wangel, die ein Alter Ego von Solness ist. Hilde Wangel kommt zum Ehepaar Solness ins Haus, das ist die eine Geschichte, die andere ist die Konfrontation von Solness mit sich selbst.
Wer ist diese Hilde Wangel für Sie, Frau Hasun? Ein Troll?
AH: Solness spricht von den Teufeln und Trollen in sich selbst. Hilde Wangel ist wie ein Troll, der alles durcheinanderbringt, doch sie hält auch dem Mann einen Spiegel vor. Sie kommt an, der Tag bricht an, lebensfroh und strahlend, so wird ihr Auftreten beschrieben, aber sie ist auch eine ganz abgründige und gefährliche Figur.
Möchte Hilde Wangel Solness erobern oder zerstören?
JL: Vielleicht liegt die Eroberung in diesem Fall in der Zerstörung.
Das klingt schlimm. Jedenfalls ist Solness tot. Ein rabiates Ende.
JL: Dies ist ein rabiates Drama. Nachdem Solness vom Turm gestürzt ist, sagt Hilde Wangel: „Mein Baumeister!“Es ist das letzte Wort im Stück. Zehn Jahre zuvor war sie zwölf. Was damals genau passiert ist, weiß man nicht.
Könnte es sein, dass Solness das Kind nicht nur geküsst hat? Vielleicht wollte Ibsen andeuten, dass er sie missbraucht hat?
JL: Es bleibt im Dunkeln. Solness hat Hilde damals ein Königreich versprochen – und als er den Kranz auf den Turm hängte, sagte er zu Gott: „Lass mich in Frieden, ich baue keine Kirchen mehr.“Gott schickte ihm als Rache den Girl-Mephisto: Prinzessin Hilde.
AH: Diese Figuren haben alle ihre Geheimnisse, auch Solness’ Frau. Darum sind sie so spannend.
Frau Solness müsste ahnen, dass Hilde ihren Mann verführen will.
JL: Die beiden Damen haben einander in der Anstalt kennengelernt; und dort hat Frau Solness, die ihre Kinder verloren hat, zu Hilde gesagt: „Kommen Sie mich doch einmal besuchen.“Von den Vorgängen zwischen Hilde und ihrem Mann wusste Frau Solness nichts.
Was macht Hilde nach dem Tod von Solness? Heiratet sie einen andern?
AH: Wahrscheinlich nicht. Sie ist total fixiert auf diesen Mann, in welcher Form auch immer. Ob sie stark bleibt oder nach seinem Tod selbst zugrunde geht, das ist eine interessante Frage. Sie befindet sich ja in einer Art Wahnzustand.
JL: Es gibt da auch so ein reziprokes Angstverhalten. Man macht, wovor man sich am meisten fürchtet. Solness weiß, er ist nicht schwindelfrei und steigt trotzdem auf das Gerüst. Hilde weiß, der Baumeister hat ihr Übles angetan. Dennoch fühlt sie sich zu ihm hingezogen.
AH: Das Stockholmsyndrom.
Warum wählte Ibsen ausgerechnet einen Baumeister?
JL: Darauf gibt es viele Antworten. Theater, Aufführungen, Rollen werden gebaut. Ich zum Beispiel betätige mich vielleicht auch deshalb in meinem alten Winzerhaus im Weinviertel am Wochenende gern handwerklich. Theater hat viel mit Handwerk zu tun. Ein Aspekt für Ibsen war sicher, dass er nach Jahren im Ausland in seine Heimatstadt, Christiania (heute Oslo), zurückkehrte und sie nicht wiedererkannte. Die industrielle Revolution hatte die Stadt völlig verändert, an jeder Ecke wurde wie verrückt gebaut. Da sind viele neue Existenzen gegründet worden, Leute sind unglaublich reich geworden – und die Baumeister waren alle keine Architekten.
Frau Hasun, was ist Ihr Verhältnis zu Prinzessinnen?
AH: Mir gefällt, dass Hilde auch ein Troll ist. Trollige, eigensinnige Prinzessinnen mag ich. Mit Prinzessinnen, die in rosa Schlössern wohnen, kann ich nichts anfangen. Vielleicht liegt es daran, wie ich aufgewachsen bin. Ich habe drei Brüder und eine Schwester. Mein Vater ist Arzt, meine Mutter Malerin. Wenn ich eine Prinzessin war, dann eine, die auf Bäume gekraxelt ist, ich habe Fußball, Hockey gespielt – aber auch mit Puppen.
Wie sind Sie im Theater gelandet?
AH: Ich wollte immer viel Aufmerksamkeit und musste beschäftigt werden. Ich habe mit Tanz begonnen. Für das Musical „Mozart!“im Theater an der Wien wurden kleine Kinder gesucht. Regisseur Harry Kupfer hat mich ausgewählt. Seit meinem zehnten Lebensjahr spiele ich. Nach der Matura bin ich aufs Konservatorium gegangen.
Und wo stehen Ihre Luftschlösser?
AH: Ich weiß es noch nicht, ich habe in den vergangenen Jahren so viel gespielt, ich bin noch nicht viel in der Welt herumgekommen. Ich glaube, es gibt mehrere Luftschlösser an verschiedenen Orten.
JL: Mein Luftschloss ist noch in Bau.
„Ich habe Fußball, Hockey, aber auch mit Puppen gespielt.“Alma Hasun erinnert sich.