„Die aristokratische Welt ist ein Fake!“
Lady Chatterley I. „Kein Spaß für Voyeure!“Der englische Regisseur John Lloyd Davies im Gespräch über „Lady Chatterley“, Missverständnisse um ein „Pornobuch“– und warum er lieber mit der Seilbahn auf Berge fährt.
„Wir zeigen keine nackten Körper, die es in grellem Licht tun.“John Lloyd Davies, Bühnenbildner, Regisseur
Die Liebesszenen werden nicht besonders explizit sein. Es geht um die Welt der Gesellschaft und die Welt der Gefühle, nicht um Spaß für Voyeure“, betont Regisseur John Lloyd Davies, der heuer in Reichenau „Lady Chatterley“von D. H. Lawrence inszenieren wird. Davies ist den Festspielen seit Langem verbunden, vor allem als Beleuchtungskünstler. Über 100 Aufführungen hat er herausgebracht: Er arbeitete etwa an der Royal Opera in Covent Garten, London, in Frankfurt, Rom, im Theater an der Wien oder in der Kammeroper.
„Lady Chatterley“ist als Skandalroman verschrieen, obwohl der Autor bereits in einem Kommentar zur Erstveröffentlichung Mitte der 1930er-Jahre betont hatte, das Buch sei nicht Pornografie, sondern ein Plädoyer für eine bessere Balance zwischen Geist und Kör- per. Worum geht es nun in diesem über 500 Seiten starken Roman? „Er handelt von den Veränderungen in der britischen Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg“, erzählt Davies: „Lady Chatterley heiratet einen Offizier, der im Ersten Weltkrieg schwer verletzt wird und im Rollstuhl sitzt. Er kehrt zurück auf seine Güter in Nottinghamshire, um die er sich kümmern muss.“
Sehnsucht nach Liebe
Den Wandel von einer Agrar- zu einer Industriegesellschaft sieht Autor Lawrence negativ, ist Davies überzeugt: „Der Krüppel Sir Clifford Chatterley ist auch ein Symbol für die Zerstörung der Welt im 20. Jahrhundert. Conny, Lady Chatterley, wird immer frustrierter, sie fühlt sich eingesperrt in ihrem Leben mit dem versehrten Gatten und seinen zynischen Freunden. Das Haus ist wunderschön, aber die Gesellschaft ist öde. Sie braucht einen richtigen Mann, sie findet ihn im Wald, der Wildhüter Mellors bringt ihr die Natur näher, sie hat eine Liebschaft mit ihm und schließlich verlässt sie ihren Mann.“
D. H. Lawrence (1885 bis 1930) war ein äußerst produktiver Autor, weitere bekannte Bücher von ihm sind „Söhne und Liebhaber“oder „Liebende Frauen“. Davies: „Als Sohn eines Bergmannes kannte Lawrence die Welt der Kohleminen. Er hasste die Industrialisierung, aber war auch gegen die Aristokraten. Ihre Welt empfand er als künstlich und als Fake. Seine Frau war eine Deutsche. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er in Mexiko, Italien, Südfrankreich. Er war ein Außenseiter.“
Wie wird Davies das Buch, über das er eine Bühnenfassung geschrieben hat, in den Großen Saal des Reichenauer Theaters bringen? „Die Geschichte hat mehrere Ebenen“, sagt er, „die Liebes- und die Sexgeschichte und die soziale Satire oder Comedy. Wir zeigen diese verschiedenen inneren und äußeren Sphären. Wir möchten die Fantasie des Publikums anregen, die Zuschauer animieren, ihre eigenen Erlebnisse Revue passieren zu lassen. Wir wollen keinen Pornofilm zeigen, die Wirkung der Szenen, in denen es um die Vorstellungskraft des Auditoriums geht, soll mehr so sein wie bei einem Hörspiel. Es werden auch Originalzitate aus dem Text und Musik eingefügt. In der Schilderung, was in Connys Kopf vorgeht, fand Lawrence sehr poetische Worte. Einiges wird sich natürlich noch durch die Proben mit diesen wunderbaren Schauspielern, die wir haben, ergeben. Was wir sicher nicht machen werden, ist. nackte Körper zu zeigen, die es womöglich in grellem Licht tun. Das ist nicht unser Ziel.“
Sanfte Hügel, schroffe Berge Ähnlich: Österreich, England
Noch ein Schlusswort zum Brexit. Gibt es wirklich so große Unterschiede zwischen den Leuten auf dem Kontinent und den Briten – wie sie jetzt teilweise konstruiert werden? Davies: „Ich finde dieses Auseinanderdividieren traurig. Ohne jetzt tiefer in die Debatte um Politik und Wirtschaft einzusteigen: Wenn Europa Probleme hat, sollten die Briten lieber helfen, Lösungen zu finden, statt zu sagen: Ach, wir sind doch hier auf unserer Insel, wir kehren Europa einfach den Rücken. Ich finde, gerade Österreich und England haben Ähnlichkeiten. Man sagte mir, ich werde Schnitzler nicht verstehen. Aber es gibt etwas bei Schnitzler, das sehr englisch ist, über Gefühle wird nicht direkt oder freudvoll gesprochen – und die Wahrheit bleibt oft lange Zeit im Nebel.“
Österreich und England, so Davies weiter, verbinde ferner, dass beide Länder in der Vergangenheit Imperien waren, die zerbrachen: „Nun sind wir von historischer Bausubstanz und großen Traditionen umgeben und etwas verloren. Österreichische Literatur hat viel Subtext und Ironie, nicht nur Schnitzler, auch Thomas Bernhard. Bernhard hasste seine Heimat, aber er hätte nicht so über sie geschrieben, wenn er sie nicht auch geliebt hätte. Das ist sehr englisch. Diese Art von Doppelbödigkeit findet man in Deutschland nicht.“ Wie hält Davies selbst es mit der Natur? „Ich lebe in London und auf dem Land in Northampton. Theater ist gesellig, sozial, aber auch eine künstliche Welt: Du stellst einen Baum aus Pappe hin, und alles ist klar. Wenn ich in Northampton bin, gehe ich natürlich in der echten Natur spazieren. So hohe Berge wie in Reichenau gibt es in England nicht. Ich bin sehr begeistert vom Gebirge. Allerdings marschiere ich eher nicht die hohen Berge hinauf, sondern fahre lieber mit der Seilbahn. Ich finde, man versteht mehr von österreichischen Autoren, wenn man die österreichische Landschaft erkundet hat. Die englische Landschaft ist mehr sanft, und man ist nie ganz weit weg von anderen Menschen. In Österreich, nicht nur in Reichenau, auch in Salzburg oder Bregenz, wo ich gearbeitet habe, ist das nicht der Fall. Es gibt auch eine große Einschichtigkeit und Einsamkeit, die sich durchaus in den Figuren widerspiegelt.“