Die Presse

„Theater soll heiße Debatten auslösen!“

Interview. Renate und Peter Loidolt sind sich einig bei „Lady Chatterley“, aber nicht bei den Motiven der Annäherung von Baumeister Solness an Hilde Wangel. Ein Gespräch über Romantik, Verführung, Lachen.

- VON BARBARA PETSCH

Im heurigen Programm scheint sich alles um Leidenscha­ft, Versuchung, Verführung, zart versteckt oder intensiv ausgelebt, zu drehen. Hat D. H. Lawrence, Autor der „Lady Chatterley“, besser Bescheid gewusst über die weibliche Psyche und Sexualität als Schnitzler?

Renate Loidolt: Es geht bei Lawrence gar nicht so sehr um Frauen, sondern um die gesunde, erfüllende geschlecht­liche Beziehung zwischen Mann und Frau. Der direkte Stil von Lawrence schockiert­e. Schnitzler hat im „Reigen“Sexszenen nicht ausformuli­ert, sondern mit drei Punkten geschlosse­n.

Vielleicht hat er sich nicht so gut ausgekannt?

RL: Doch, Schnitzler war ein sehr aktiver Liebhaber, aber sein Stil war anders. Die ausführlic­h beschriebe­nen Liebesszen­en in „Lady Chatterley“haben dem Roman das Vorurteil eingebrach­t, er sei pornografi­sch und unzumutbar; noch 1960 gab es einen Skandal darum.

Im Grunde wirkte diese Aufregung aber ziemlich inszeniert. Penguin wollte den ein Jahr zuvor in Kraft getretenen Obscene Publicatio­ns Act herausford­ern. Der Verlag lieferte einige Exemplare von „Lady Chatterley“an Bahnhofsbu­chhandlung­en aus und erstattete gleichzeit­ig Selbstanze­ige. Das Gerichtsve­rfahren endete mit einem Freispruch. Die Startaufla­ge der „Lady Chatterley“von 200.000 Exemplaren war sofort vergriffen. Was fasziniert­e die Leute derart an diesem Buch?

RL: Revolution­är an dem Roman, der ja sehr viele Aspekte hat, war auf jeden Fall, dass der kränkliche Ehemann seiner Frau vorschlägt, sie solle sich einen Liebhaber nehmen, von diesem ein Kind bekommen, das dann von den Eheleuten aufgezogen wird, damit die Generation­enkette der Chatterley­s nicht abreißt. Die Institutio­n der Ehe sollte über allem Geschlecht­lichen stehen – was aber schließlic­h doch nicht klappt. In „Lady Chatterley“geht es aber auch um die Zerstörung von Natur durch die Industrie, um die Schönheit der Landschaft, die Magie des Waldes . . . Peter Loidolt: Das ist alles nur Kulisse.

Ja? Davon wollte D. H. Lawrence nichts erzählen, meinen Sie?

PL: Er wollte von den gesellscha­ftlichen Unterschie­den erzählen, von jemandem, der ein Gut und Kohlegrube­n besitzt und verpflicht­et ist, einen Erben zu haben. Sir Clifford, der Mann von Lady Chatterley, gehört zu den Oxbridge Boys, die alles ironisiere­n.

Das geht Lady Chatterley alsbald kräftig auf die Nerven.

PL: Lady Chatterley ist eine junge, lebhafte Frau, die durch die Kriegsverl­etzung ihres Mannes, der nicht mit ihr schlafen kann, total ausgehunge­rt ist. Außerdem ist sie einfach neugierig. Lady Chatterley­s Vater weiß besser Bescheid über seine Tochter als ihr Mann, Sir Clifford.

RL: Mich hat die Arbeit an der Spielfassu­ng interessie­rt. Das war ein relativ aufwendige­s Verfahren. John Lloyd Davies, der „Lady Chatterley“inszeniert, hat eine englische Bühnenfass­ung des Romans geschriebe­n. Michael Rössner hat- te den Auftrag, diese genau ins Deutsche zu übersetzen. Es hat sich bald herausgest­ellt, dass die Personen sprachlich deutlicher charakteri­siert werden müssen. Ein Wildhüter spricht anders als ein Adeliger. Ich habe also eine deutsche Spielfassu­ng erstellt, was mir sehr viel Freude bereitete. Ähnlich habe ich das ja auch für die neue Produktion „Amok“von Stefan Zweig gemacht.

PL: Es gab noch andere Hürden. Es existieren ja mehrere Verfilmung­en des Buches von „Lady Chatterley“. Im Film kann man ein Schloss zeigen, einen Wald, ein Kohlebergw­erk. Wie aber macht man das mit dem Bühnenbild?

RL: Und wie bringt man diese großen Liebesszen­en im Theater? Da mussten wir uns schon ganz etwas Neues einfallen lassen. Wir haben uns öfter mit John Lloyd Davies getroffen und alles analysiert, und ich denke, wir haben jetzt einen wirklich guten Weg gefunden.

Geheimnisv­olle Leidenscha­ften bewegen ja auch Baumeister Solness.

RL: Ich glaube nicht, dass das so eine einfache Alter Mann/Junge Frau-Geschichte ist. Solness sieht, dass junge, ambitionie­rte Fachleute nachkommen, die seine Projekte übernehmen wollen. Ibsen hat in diesem Werk sein eigenes Problem mit Knut Hamsun thematisie­rt, der eine neue Dichtergen­eration in Norwegen einläutete. Außerdem hat das Mädchen Hilde Wangel auch etwas Mystisches, Solness fragt sich, ob sie vielleicht ein Troll, eine Sinnestäus­chung in seinem Kopf, ist.

PL: Ich sehe das ganz anders. Solness braucht sich vor seinen Nachfolger­n nicht zu fürchten, die kann er wegschiebe­n, und die Vermutung, dass Hilde Wangel ein Troll ist, ist eine Ausrede. Er fühlt sich einfach noch einmal so jung wie der 61-jährige Ibsen, als er die 18-jährige Emilie Bardach in Tirol kennenlern­te. Solness glaubt, er ist ein toller Hecht, Hilde Wangel treibt ihn vor sich her, er lässt sich von ihr derart gängeln, dass man sich fragt, wann fängt bei dem Herren jetzt einmal wieder das rationale Denken an?

Der alte Mann mit der jungen Frau, das kommt doch jeden Tag vor. Im Theaterpub­likum wird vielleicht mancher überlegen, hoffentlic­h passiert mir das nicht.

PL: Das wäre gut, dann hätten wir unser Ziel erreicht. Wenn das Publikum aus der Aufführung hinausgeht und heiß darüber diskutiert, dann bin ich glücklich. Genau das soll Theater ja bewirken.

In Schnitzler­s „Im Spiel der Sommerlüft­e“gibt es ja auch einen, allerdings wesentlich zarteren Annäherung­sversuch zwischen dem Ka- plan, Ferdinand Holl, und der Professore­ngattin Josefa.

PL: „Im Spiel der Sommerlüft­e“ist ein sehr romantisch­es Stück, finde ich. Jeder glaubt, hier ist eine Zukunft, jeder spielt Möglichkei­ten durch, was wäre, wenn . . .? Aber die Konvention­en der Zeit sind strikt, und die Grenzen eng gezogen.

Sie haben heuer keine Nestroy-Posse, dafür eine sehr gallige Komödie von Horvath,´ es ist das erste Mal, dass Sie ihn in Reichenau spielen. Man fragt sich, wie real sind die Figuren in „Zur schönen Aussicht“?

RL: Ich fand die erste Szenenbesc­hreibung interessan­t, die passt zu unserer Gegend. Horvath´ spricht von einem Fremdenver­kehrsort in Mitteleuro­pa, wo manchmal viele Gäste kommen, oft aber auch gar keine. Das Hotel ist total verfallen, solche Häuser gibt es bei uns auch.

Die Figuren in diesem Stück sind vom Ersten Weltkrieg beschädigt.

RL: Ja, sie haben alle ihre Karrieren, die sie einmal begonnen haben, nicht fortsetzen können und sind auf die schiefe Bahn geraten, einige leben am Existenzmi­nimum – und ihre Gemeinheit lassen sie an dem armen Mädchen aus, bei dem sich aber am Ende herausstel­lt, dass es ein Atout im Ärmel hat. „Zur schönen Aussicht“ist eines der ersten Horvath-´Stücke. Man ahnt schon, welche bösartigen Ideen ihm noch kommen werden, wenn man „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“kennt. Aber man kann sich noch amüsieren, auch wenn einem das Lachen manchmal im Hals stecken bleibt.

PL: Alle Horvath-´Stücke haben etwas Hinterhält­iges oder Tristes. Aber „Zur schönen Aussicht“ist vor allem skurril. Es spricht die Schadenfre­ude an. Mir ist wichtig, dass man bei Horvath-´Stücken bei der Inszenieru­ng vorsichtig vorgeht. Momentan gibt es so einen Trend, dass man sie möglichst grauslich macht, die Figuren auf dem Boden herumkugel­n, herumhauen, spucken. Das ist nicht richtig. Es muss so sein, dass man nach jedem Satz ein bisschen verwirrt ist und zu lachen anfängt.

Waren Sie sich einig, sich an Horvath´ zu wagen?

RL: Ja, aber ich dachte, es ist ein Risiko, Neuland. Jetzt stellt sich heraus, „Zur schönen Aussicht“ist heuer der absolute Renner.

Also Horvaths´ Humor ist irgendwie zeitgemäße­r als der von Nestroy.

RL: Kann sein. Unser Publikum sieht es anscheinen­d so.

Noch ein paar Worte zur StefanZwei­g-Novelle „Amok“. Ein Leipziger Arzt, in Indonesien stationier­t, verliebt sich bis zum Wahnsinn.

RL: Ja. In der Wildnis trifft er eine weiße Frau und setzt seine Existenz aufs Spiel . . . Ich hatte schon mehrmals große Erfolge mit diesen Literaturp­rogrammen, Kafka, „Alma“mit Senta Berger usw. Stefan Zweig, der ja selbst sehr viel gereist ist, schildert grandios so nervöse Charaktere wie diesen Arzt, der da seine verkommene Existenz in einer fremden Welt aufblätter­t. Für Joseph Lorenz ist das eine ideale Rolle. Ich gestalte diese Matinee sehr dialogisch, Peter Matic´ spielt den Erzähler und noch andere Rollen. Das wird eine spannende Aufführung für neunzig Minuten.

„,Im Spiel der Sommerlüft­e‘ ist ein sehr romantisch­es Stück, finde ich.“Peter Loidolt über das Schnitzler-Drama. „Da mussten wir uns schon etwas ganz Neues einfallen lassen.“Renate Loidolt über „Lady Chatterley“, szenisch.

 ?? [ Dimov ] ?? „Man muss sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen!“ReichenauC­hefs Peter und Renate Loidolt bei der Lektüre in ihrem Haus.
[ Dimov ] „Man muss sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen!“ReichenauC­hefs Peter und Renate Loidolt bei der Lektüre in ihrem Haus.

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