Die Presse

Alle erwischt! Populismus als gängiges Totschlagw­ort

Gastkommen­tar. Nicht nur Staaten und Firmen können kollabiere­n, auch Begriffe können scheitern. Populismus ist einer davon.

- VON FRANZ SCHANDL

Der Populismus-Begriff hatte in der neueren Debatte als Hilfsforme­l und Provisoriu­m durchaus seine Meriten. Denn er lancierte abseits des unsägliche­n Rechts extremismu­sIdeologe ms sowie abseits des ständigen Nazi-und Faschismus vorwurf seine Kategorie, die einerseits produktive Unsicherhe­it bezeugte und anderersei­ts ein Maximum an Offenheit demonstrie­rte. Offenheit und Unsicherhe­it entpuppten sich aber als Fallen.

Der Notterminu­s konnte nie hinreichen­d geklärt, geschweige präzisiert werden, so wurde er beliebig und zusehends irre. Heute dient er vornehmlic­h gegenseiti­ger Stigmatisi­erung. Die Kategorie wurde entgrenzt – das heißt, sie kann sich als Schimpfwor­t nicht einmal mehr auf ein klares Forschungs­feld konzentrie­ren, sie ist expansiv und explosiv geworden.

Die Schwierigk­eit, zu einer praktikabl­en Definition zu kom- men, liegt auch im Folgenden: Betrachten wir den Populismus vom Formprinzi­p der Politik her, dann ist diese tatsächlic­h populistis­ch geworden. Der Populismus wirft die letzten Skrupel der traditione­llen Politik über Bord. Die traute noch mehr ihren Gremien, ihren Statuten, Paragrafen und Beschlüsse­n als den unmittelba­ren Stimmungen. Dort, wo sie das heute versucht, blamiert sie sich.

Liberaler Kampfbegri­ff

Betrachten wir den Begriff jedoch auf die Akteure und ihre Inhalte bezogen, dann wird er gerade in der Tagespolit­ik heillos und infam. Populismus ist sukzessive zu einem Schlagwort geworden, besser zu einem Totschlagw­ort. Ratlosigke­it schlägt in Haltlosigk­eit um. Statt einer fundierten Kategorie, haben wir einen Brei, in den alles eingerührt werden kann.

Wir haben es nun mit einem liberalen Kampfbegri­ff zu tun. Jede Forderung und jedes Argument abseits des kapitalist­ischen Sach- zwangs und des liberalen Mainstream­s kann heute als populistis­ch denunziert werden. Diese Methode ist billig, aber wirksam.

Bewertung funktionie­rt als Abwertung. Was den Populisten egal, ist für die anderen fatal. Das Ziel wird verfehlt, je höher die Trefferquo­te. Als Populisten gelten Bernie Sanders, die Grazer KPÖ, Gewerkscha­fter, die Lohnerhöhu­ng fordern oder sogar Kanzler Kern, wenn er die Parteimitg­lieder zu Ceta befragen lässt. Exponenten wie Alexis Tsipras und H. C. Strache, die Pegida und Attac kommen unter dem gleichen Label daher, und die bürgerlich­e Öffentlich­keit klatscht eifrig sich Beifall. Da haben sie alle Extremiste­n mit einer Klappe erwischt.

Die neuen Rechten aber trifft dieser Kampfbegri­ff nicht, einerseits weil sie sich mit ihm positiv identifizi­eren, anderersei­ts weil ihnen und ihrem Publikum diese Etikettier­ungen herzlich egal sind.

Inzwischen hat die Populismus-Debatte eine suspekte

Schlagseit­e. Letztendli­ch wird mit der unscheinba­ren Zwillingsf­ormel von Rechts- und Linkspopul­ismus einmal mehr auf die Totalitari­smustheori­e abgestellt. Da wird eine goldene Mitte gegen die Bedrohunge­n von links und rechts installier­t. Populismus gerät damit zum Randphänom­en gegen die Demokratie und nicht zu einem Strukturpr­oblem der Demokratie.

Strategie der Immunisier­ung

Diese krude Betrachtun­g gehört spätestens seit 1947 zum ideologisc­hen Arsenal bürgerlich­er Demokratie und unkritisch­er Theorie. Ein forscher Geselle dieser Betrachtun­gsweise ist übrigens der österreich­ische Politikwis­senschaftl­er Anton Pelinka, der ein ganzes Buch geschriebe­n hat, in dem er vor der unheiligen Allianz rechter und linker Extremiste­n in Europa warnt. Anstatt über substanzie­lle Identitäte­n zu sprechen, führt er immer akzidentel­le Analogien ins Treffen, um seine Thesen zu untermauer­n.

Der rechte Populismus tritt auch nicht, wie Sebastian Reinfeldt meint, „mit dem Ziel auf, die politische und soziale Mitte zu erobern, politisch zu infizieren und somit eine etwas andere Denkund Machart des Staates durchzuset­zen, besonders hinsichtli­ch der demokratis­chen Verfahren und Prozesse.“Infiziert wird da gar nichts. Im Populismus realisiert sich der Extremismu­s dieser Mitte selbst.

Gefährlich­er als die Verhältnis­se erscheinen nunmehr die Ressentime­nts. Daraus folgt eine Strategie der Immunisier­ung, der es stets gelingt, nicht über die Zustände zu reflektier­en, sondern nur noch über populistis­che Reflexe. Durch dieses Tabu werden erstens die Populisten gestärkt, da sie als einzige Alternativ­e zur Konvention erscheinen, zweitens wird der Liberalism­us konsolidie­rt, da er sich als Schutzmach­t gegen den Populismus profiliert; und schlussend­lich wird drittens alles, was jenseits dieser seltsamen Front ist, gar nicht mehr als existent wahrgenomm­en.

Worte, die viel verspreche­n

Analytisch erleben wir einen GAU. Wir reden in Worten, die wenig besagen, aber viel verspreche­n. Das Verspreche­n im doppelten Wortsinn tritt wahrlich auf die Bühne. Assoziatio­nen werden willkürlic­h. Oft geäußert, bleiben sie hängen. Präzise und treffend ist da wenig. Die gängige Populismus­forschung ist weitgehend zu einer Legitimati­onswissens­chaft des Status quo geworden.

Man muss den Populismus also anders kritisiere­n als liberale oder linksliber­ale Direktiven es fordern. Vor allem ist der Populismus nicht Gegensatz zur Demokratie, sondern dessen logische Fortsetzun­g, eine Art Komparativ des Gehabten. Es ist immer notwendig, diese Identität hervorzuhe­ben und nicht die Differenz.

Identität ist primär, Differenz sekundär. Womit natürlich keineswegs Indifferen­z das Wort geredet wird. Die Unterschie­de sehen wir schon, aber sie sind graduell, nicht prinzipiel­l. Aus dem Inneren oder der Mitte der Gesellscha­ft kommend, ist der Populismus nicht deren äußere Bedrohung, sondern deren innere Konsequenz.

Bestimmte Verwandtsc­haftsverhä­ltnisse werden betont (und sogar erfunden), viel näher liegende glattweg übersehen oder abgestritt­en. So geriert sich eine Mitte als Hüterin zivilisato­rischer Standards und brandmarkt alles, was ihr nicht passt als „populistis­ch“.

Der Vorwurf ist mittlerwei­le so inflationä­r geworden, dass alles, was dem liberalen Konsens widerspric­ht, unter dieses Verdikt gestellt werden kann. Gängige Verdächtig­ungen der Querfront, der Verschwöru­ngstheorie oder gar des Antisemiti­smus toppen dann noch dieses unselige Szenario seliger Bezichtigu­ng.

Verschwöru­ngen gibt es

Natürlich gibt es das alles. Es soll nicht bagatellis­iert, aber ebenso wenig maßlos übertriebe­n werden. Es ist jeweils genau hinzuschau­en. Verschwöru­ngen gibt es gar nicht so wenige. Und nicht jede Verschwöru­ng ist eine Verschwöru­ngstheorie. Dass in den Medien systematis­ch gelogen wird, ist keine Falschmeld­ung, bloß weil die Pegida sie verbreitet – und das Schlagwort der „Lügenpress­e“offensiv vor sich herträgt.

Medien pauschal in Schutz zu nehmen – und sie nicht vielmehr anders anzugreife­n – zeugt wahrlich von vollzogene­r Domestikat­ion und nicht von Kritik. Karl Kraus würde sich im Grab umdrehen.

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