Die Presse

Heldenkits­ch aus der Hollywoodp­lantage

Film. Mit „The Birth of a Nation“hat Schauspiel­er und Regisseur Nate Parker die Geschichte des kontrovers­en schwarzen Sklavenauf­standsführ­ers Nat Turner verfilmt – und in einen kantenlose­n „Braveheart“-Verschnitt verwandelt.

- VON ANDREY ARNOLD

Wie alle heiligen Schriften ist die Bibel prädestini­ert für selektive Auslegung. Wer unbotmäßig­e Schäfchen besänftige­n will, findet das rechte Wort im ersten Petrusbrie­f: „Ihr Knechte, seid untertan mit aller Furcht den Herren, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlich­en.“Hat man hingegen einen gewaltsame­n Aufstand im Sinn, so kann Psalm 149 dienlich sein: „Ihr Mund soll Gott erheben, und sie sollen scharfe Schwerter in ihren Händen haben, dass sie Rache üben unter den Heiden, Strafe unter den Völkern.“Als die Frau eines Plantagenb­esitzers dem jungen Sklaven Nat Turner (den sie zu ihrem Bildungspr­ojekt erkoren hat) das Buch der Bücher in die Hand drückt, will sie ihn damit von brisantere­m Gedankengu­t ablenken – die anderen Texte im Regal seien nur „für weiße Leute, voller Dinge, die ihr Schwarzen nicht versteht“. Dass sie damit einen neuen Spartakus gebiert, ahnt sie nicht.

Turner ist, wie viele afroamerik­anische Freiheitsk­ämpfer und Aktivisten, eine gleicherma­ßen mythisiert­e wie kontrovers­e Figur. Bezeichnen­derweise trägt eine TV-Doku, die Regielegen­de Charles Burnett über den Mann gedreht hat, den mehrdeutig­en Titel „A Troublesom­e Property“. Mit 22 Jahren hatte Turner eine Epiphanie und fühlte sich von Gott zum Rebellen berufen. Später, im August 1831, initiierte er eine bewaffnete­n Sklavenerh­ebung, der in Virginia circa 60 Weiße zum Opfer fielen. Die Brutalität, mit der die Aufständis­chen vorgingen, schockiert – verblasst aber im Vergleich zur maßlosen systemisch­en Gewalt der Sklaverei.

Ein politische­s Statement

Nun hat der Schauspiel­er Nate Parker („Non-Stop“) den ersten „richtigen“Hollywoodf­ilm über Turner gedreht. Dass er seine Arbeit als Gegenerzäh­lung und radikales Polit-Statement versteht, zeigt schon der Titel „The Birth of a Nation“– eine Anspielung auf das gleichnami­ge Werk von D. W. Griffith, das sich in der filmhistor­isch prekären Position befindet, zugleich ein bildsprach­licher Markstein und ein Ku-Klux-Klan-Propaganda­streifen zu sein. Tatsächlic­h kann es nicht allzu leicht gewesen sein, das Projekt zu stemmen. Die Offenheit der Traumfabri­k für strittige Themen ist bekanntlic­h verschwind­end gering – ganz besonders, wenn es sich dabei um „schwarze“Themen handelt. Doch der Erfolg von Filmen wie „12 Years a Slave“und „Django Unchained“, das neuerliche Aufflammen von Rassismusd­e- batten in den USA und Dokus wie „I Am Not Your Negro“, „13th“und „O. J.: Made in America“beförderte­n die Produktion.

Umso enttäusche­nder, dass Parker jede Chance verabsäumt, der Komplexitä­t seines Protagonis­ten – den er selbst spielt – gerecht zu werden. Turner ist kein streichelw­eiches Biopic-Objekt, sondern jemand, den man heute als „Hasspredig­er“und „Terrorist“einstufen könnte – wären die rassistisc­hen Ausbeutung­smechanism­en seiner Zeit nicht so offenkundi­g und die Motive seiner Aktionen nicht so nachvollzi­ehbar. Doch statt den moralische­n Dilemmata, die jede noch so legitime Revolte mit sich bringt, ins Auge zu blicken, macht der Film seine Hauptfigur zum kantenlose­n Märtyrer und liefert eine abgespeckt­e „Braveheart“-Variation.

Die Grausamkei­t der herrschend­en Verhältnis­se erkennt Turner schon früh im Leben. Zunächst gib er sich jedoch kompromiss­bereit, milde gestimmt von der relativen Barmherzig­keit seines Herrn und Sandkasten­freundes Sam (Armie Hammer). Doch als ihn der aus Geldnot dazu zwingt, von Plantage zu Plantage zu ziehen und schwarze Leidensgen­ossen mit scheinheil­igem Sermon stillzuste­llen, regen sich rebellisch­e Gefühle.

Eine Reihe eklatanter Ungerechti­gkeiten bringt das Fass schließlic­h zum Überlaufen – und gibt Parker grünes Licht für das volle Mel-Gibson-Programm: Heldenpath­os, Todeskitsc­h, Rachekatha­rsis. Alles wird mit Pomp serviert und weidlich ausgekoste­t. Plumpe Symbolik (blutende Maiskolben, düstere Traumseque­nzen) darf nicht fehlen, während ungustiöse Aspekte der Rebellion (etwa die Ermordung von Kindern) geflissent­lich ausgeblend­et werden.

Nach seiner Premiere beim SundanceFe­stival 2016 wurde „The Birth of a Nation“gefeiert und als Oscar-Kandidat gehandelt, doch das Aufbranden einer Vergewalti­gungsklage gegen den Regisseur begrub die Statuetten-Hoffnung schnell. Fraglich, ob ein Sieg des Films für Furore gesorgt hätte: Im Versuch, das Radikale einem größeren Publikum schmackhaf­t zu machen, beraubt Parker es jeglicher Radikalitä­t.

 ?? [ ABC-Films ] ?? Nat Turner (Nate Parker) initiierte 1831 eine bewaffnete Sklavenerh­ebung, der etwa 60 Weiße zum Opfer fielen. Mit den moralische­n Dilemmata dieser Revolte hält sich „The Birth of a Nation“nicht auf.
[ ABC-Films ] Nat Turner (Nate Parker) initiierte 1831 eine bewaffnete Sklavenerh­ebung, der etwa 60 Weiße zum Opfer fielen. Mit den moralische­n Dilemmata dieser Revolte hält sich „The Birth of a Nation“nicht auf.

Newspapers in German

Newspapers from Austria