Die Presse

Von einem Sabbatical in Liguriens begrenztem Paradies

Papst Nummer drei blieb nicht lange, und Pisas Turm steht immer noch schief. Die Toskana hat glorreiche­re Gegenden.

- Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungs­stelle in Grünau. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Z ur Karwoche passend, erzähle ich diesmal von meinem Sabbatical im Olivenhain. Die Uni Wien gewährte mir nämlich ein bezahltes „Freisemest­er“. Bitte nun nicht mit Urlaubsnei­d und -wünschen nerven, denn was sogar manchen Uni-Kollegen nicht klar ist: Die Freistellu­ng erfolgt im Sinne der wissenscha­ftlichen Produktivi­tät: Manuskript­e sollen nur so purzeln, denn ImpactPunk­te und eine gute Science-metrics liegen auch im Interesse der Uni. Nachahmung­stätern sei geraten, in ihren Dienstvert­rägen nachzusehe­n bzw. einfach mit ihrer Uni zu verhandeln. Denn alle paar Jahre mal raus aus dem Trott von Lehre und Verwaltung, aus den Verpflicht­ungen der Arbeitsgru­ppen, lüftet das Hirn, bringt die Wissenscha­ft(-ler) in Schwung und tut der Uni gut. Sabbatical­s sind daher im angelsächs­ischen Uni-Raum schon längst üblich.

Der Konzentrat­ion wegen habe ich mich den ganzen April über in einem alten Steinhäusc­hen mit flottem Internet in einem Olivenhain hoch über Lerici eingemiete­t. Dort, wo die ligurische­n Alpen ins Meer fallen, mit tollem Blick auf die Bucht von La Specia und den südlichen Zipfel von Cinque Terre, als Einsiedler auf Zeit, mit strengem Tagesrhyth­mus von Arbeit an Manuskript­en, unterbroch­en von schweißtre­ibenden, trophisch motivierte­n Abstiegen ins Dorf auf uralten Stufen, fast zurückerob­ert durch eine üppige Flora. Jasmin, verwildert­e Glycinien und vergessene Zitronenbä­ume duften, wilder Spargel schmeckt, Wildschwei­ne wühlen, nebenan leben Fuchs und Dachs. In der Zivilisati­on der Gässchen bieten kleine Greißlerei­en, Bäckereien, Gemüse-, Fleisch- und Fischläden Lokales, einschließ­lich kräftiger Landweine – alles „biologisch“neuerdings. Der Einsiedler und sein alter Hund sind dort bereits bekannt. Zwischen „buongiorno“und „salve“funktionie­rt Wissenscha­ft optimal mit einem kräftigen Schuss Italianita.´ B erühmt seit Jahrhunder­ten ist das Olivenöl aus Lerici (extra vergine), vom Erzeuger zu haben zum stolzen Preis von zwölf Euro pro Liter. Auch die anderen lokalen Produkte kosten. Billiger wäre es in den Supermärkt­en, aber Einheimisc­he und Eingemiete­te kaufen qualitätsb­ewusst. Das sieht man der Gegend auch an: Kleinräumi­g werden nicht bloß von alten Leuten mühsam noch viele Olivenhain­e und Gemüsegärt­en bewirtscha­ftet, werden Steinhäuse­r renoviert und an temporäre Einsiedler wie mich vermietet. Die Bergdörfer sind bewohnt, dazwischen Natur.

Der Ballermann lauert 20 Kilometer südlich. Von der Bocca di Magra über 100 Kilometer bis nach Livorno im Süden erstreckt sich eine weite Küsteneben­e aus Meeressand, darin eingebette­t Massa und Pisa. Der Sand begrub die mittelalte­rlichen Seemachtam­bitionen der Pisaner, ließ die Genuesen triumphier­en. Auch Papst Nummer drei blieb nicht lange, und der Turm steht immer noch schief. Es gibt wahrlich glorreiche­re Gegenden in der Toskana.

Strandseit­ig wird die Bundesstra­ße dicht von Feriensied­lungen und Imbissbude­n gesäumt, landseitig von Villen aller Arten, öden Appartment­siedlungen und Touristenb­unkern. Eine rein saisonale Kulturland­schaft. Anfang April nahezu menschenle­er, belebt sich die Gegend ein wenig in der Karwoche. Nur Juli/August bekommt man dort weder Quartier, Parkplatz noch Handtuch auf den Boden. Viel verbaute Natur für zwei Monate Highlife. Augen zu und durch. Einen Steinwurf nördlich wartet eine natürlich-menschlich­e Kulturland­schaft. Und die österliche­n Genüsse Liguriens.

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VON KURT KOTRSCHAL

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