Von einem Sabbatical in Liguriens begrenztem Paradies
Papst Nummer drei blieb nicht lange, und Pisas Turm steht immer noch schief. Die Toskana hat glorreichere Gegenden.
Z ur Karwoche passend, erzähle ich diesmal von meinem Sabbatical im Olivenhain. Die Uni Wien gewährte mir nämlich ein bezahltes „Freisemester“. Bitte nun nicht mit Urlaubsneid und -wünschen nerven, denn was sogar manchen Uni-Kollegen nicht klar ist: Die Freistellung erfolgt im Sinne der wissenschaftlichen Produktivität: Manuskripte sollen nur so purzeln, denn ImpactPunkte und eine gute Science-metrics liegen auch im Interesse der Uni. Nachahmungstätern sei geraten, in ihren Dienstverträgen nachzusehen bzw. einfach mit ihrer Uni zu verhandeln. Denn alle paar Jahre mal raus aus dem Trott von Lehre und Verwaltung, aus den Verpflichtungen der Arbeitsgruppen, lüftet das Hirn, bringt die Wissenschaft(-ler) in Schwung und tut der Uni gut. Sabbaticals sind daher im angelsächsischen Uni-Raum schon längst üblich.
Der Konzentration wegen habe ich mich den ganzen April über in einem alten Steinhäuschen mit flottem Internet in einem Olivenhain hoch über Lerici eingemietet. Dort, wo die ligurischen Alpen ins Meer fallen, mit tollem Blick auf die Bucht von La Specia und den südlichen Zipfel von Cinque Terre, als Einsiedler auf Zeit, mit strengem Tagesrhythmus von Arbeit an Manuskripten, unterbrochen von schweißtreibenden, trophisch motivierten Abstiegen ins Dorf auf uralten Stufen, fast zurückerobert durch eine üppige Flora. Jasmin, verwilderte Glycinien und vergessene Zitronenbäume duften, wilder Spargel schmeckt, Wildschweine wühlen, nebenan leben Fuchs und Dachs. In der Zivilisation der Gässchen bieten kleine Greißlereien, Bäckereien, Gemüse-, Fleisch- und Fischläden Lokales, einschließlich kräftiger Landweine – alles „biologisch“neuerdings. Der Einsiedler und sein alter Hund sind dort bereits bekannt. Zwischen „buongiorno“und „salve“funktioniert Wissenschaft optimal mit einem kräftigen Schuss Italianita.´ B erühmt seit Jahrhunderten ist das Olivenöl aus Lerici (extra vergine), vom Erzeuger zu haben zum stolzen Preis von zwölf Euro pro Liter. Auch die anderen lokalen Produkte kosten. Billiger wäre es in den Supermärkten, aber Einheimische und Eingemietete kaufen qualitätsbewusst. Das sieht man der Gegend auch an: Kleinräumig werden nicht bloß von alten Leuten mühsam noch viele Olivenhaine und Gemüsegärten bewirtschaftet, werden Steinhäuser renoviert und an temporäre Einsiedler wie mich vermietet. Die Bergdörfer sind bewohnt, dazwischen Natur.
Der Ballermann lauert 20 Kilometer südlich. Von der Bocca di Magra über 100 Kilometer bis nach Livorno im Süden erstreckt sich eine weite Küstenebene aus Meeressand, darin eingebettet Massa und Pisa. Der Sand begrub die mittelalterlichen Seemachtambitionen der Pisaner, ließ die Genuesen triumphieren. Auch Papst Nummer drei blieb nicht lange, und der Turm steht immer noch schief. Es gibt wahrlich glorreichere Gegenden in der Toskana.
Strandseitig wird die Bundesstraße dicht von Feriensiedlungen und Imbissbuden gesäumt, landseitig von Villen aller Arten, öden Appartmentsiedlungen und Touristenbunkern. Eine rein saisonale Kulturlandschaft. Anfang April nahezu menschenleer, belebt sich die Gegend ein wenig in der Karwoche. Nur Juli/August bekommt man dort weder Quartier, Parkplatz noch Handtuch auf den Boden. Viel verbaute Natur für zwei Monate Highlife. Augen zu und durch. Einen Steinwurf nördlich wartet eine natürlich-menschliche Kulturlandschaft. Und die österlichen Genüsse Liguriens.