Drei Paare ringen um ihr Glück
„Liebesgeschichten und Heiratssachen“im Plastikkäfig: Regisseur Schmiedleitner ertränkt manch feine Idee in Klamauk.
Mit seinen Hymnen auf Nestroy hat Karl Kraus diesem auch einen Bärendienst erwiesen. Wer den Wiener Klassiker inszeniert, muss heute zuerst das Kraus-Gebirge übersteigen. Ist er wieder unten angekommen, plagt ihn Schläfrigkeit, sodass er keine Fantasie mehr hat, wie man den lustigen Nestroy und den strengen Kraus zusammenzwingen kann. Bergsteiger Georg Schmiedleitner hat es im Burgtheater bei „Liebesgeschichten und Heiratssachen“versucht, mit gemischtem Ergebnis.
Drei Paare ringen um ihr Glück. Über der Bühne (großartig: Volker Hintermeier) prangt ein goldenes Schwein, Wappentier des zum Partikulier (Geschäftsmann) geadelten Fleischers Florian Fett. Eine Zugbrücke deutet dessen Schloss an. Das Wirtshaus sieht wie ein ausrangiertes Karussell aus. Ferner gibt es eine Baustellentoilette, eine künstliche Palme, zwei wasserspeiende Plastikflamingos und Plastikplanen, die des Fleischers Salon umrahmen.
Gregor Bloeb´ serviert sehr fette Pointen
Der vermeintliche Luxus, der hier glitzert, mischt Protz und Ramsch, er wurde rasch aufgehäuft und landet wohl bald wieder auf dem Sperrmüll. Das gewaltige Sofa, auf dem der Fleischer knotzt, ist ferngesteuert. Werden Gäste dem Hausherrn zuwider, lässt er das Möbel rotieren, bis sie speiben. Die Bühne spiegelt eine Gesellschaft wider, in der das Unterste zuoberst gekehrt wurde: „Liebesgeschichten und Heiratssachen“entstand 1843, fünf Jahre vor der 1848er-Revolution.
Die wichtigste Rolle in der Posse ist der Tunichtgut Nebel, Markus Meyer spielt ihn mit großer Beweglichkeit und tückischem Temperament. Aber er bleibt an der Oberfläche, das Aasige eine Pop-Deko. Und Nebels treffende Couplets sind von wohl absichtlich schräger Musik überwuchert.
Gregor Bloeb´ gibt den Fleischer. Er hat sich einen grellgelben Anzug zugelegt, spricht jedes Fremdwort falsch aus und zieht die meisten Lacher auf sich – mit fetten Pointen, die er dem Publikum allerdings allzu demonstrativ aufdrängt. Der elegante Marchese Vincelli, eine weitere Paraderolle, hat nichts Italienisches, warum nicht? Dietmar König mit Pomadenfrisur zielt ebenfalls penetrant auf Lacher. Lieber hätte er sich um eine facettenreiche Gestaltung dieses Aristokraten und Spekulanten bemühen sollen – gemeinsam mit dem Regisseur. Denn hier sind wieder einmal ausnahmslos von diesem geschaffene Kunstfiguren auf der Szene. Su Bühler schneiderte ihnen tolle und sprechende Kostüme auf den Leib.
Köstlich: Mati´c und Elisabeth Augustin
Der Kaufmannssohn Anton Buchner mit verschlissenem roten Samtanzug ist ein Schweizer (wie sein Darsteller, Martin Vischer). Alfred (Christoph Radakovits), Vincellis Sohn und Fetts Sekretär, ist als Bobo gestaltet, Stefanie Dvorak, Fetts arme Verwandte Ulrike, als kleine Philosophin, die alles durchschaut und nichts verzeiht. Köstlich sind Peter Matic´ und Elisabeth Augustin als Wirtspaar, er mit Tätowierung, seine viel jüngere Gemahlin war wohl im Gunstgewer- be, mit rotem Dutt und Netzstrümpfen beherrscht sie noch immer die flotte Anbahnung. Marie-Luise Stockinger als Fetts Tochter Fanny trägt eine Riesenmasche. Die zauberhafteste Figur ist Lucia Distel, Fetts Schwägerin verliebt sich in den losen Nebel: Regina Fritsch mit dicker Brille sieht aus wie eine Karikatur von Wilhelm Busch. Sie flötet, sprachlich daheim ist sie im derben Dialekt.
Schmiedleitner platziert Nestroy zwischen Horvath´ und Regisseuren wie Castorf oder Marthaler. Die Produktion wirkt teilweise epigonal, Sinnlichkeit, Leichtigkeit fehlen. Was oft vergessen wird: Nestroy war Schauspieler. In seiner Zeit stand er in härtester Konkurrenz zum weit gefächerten Amüsement der Donau-Metropole. In seinen Charakteren mit ihrem Furor von Sprachwitz und spielerischem Aplomb steckt auch Panik, Aufmerksamkeit zu ver- lieren, zu langweilen oder gar ausgepfiffen zu werden. Regisseure, die ja stark mit dem Kopf arbeiten, neigen dazu, die bittere Satire in Nestroys Werken überzubetonen – und die Spaßmacherei wird vernachlässigt oder ins Läppische gezogen. Hier ist insgesamt doch zu viel angestrengter Klamauk zu erleben. Das anfangs ruhige Publikum schien die Aufführung immer lustiger zu finden, und applaudierte am Schluss begeistert.
Das Burgtheater hat einen neuen sehr gescheiten Nestroy, mit interessanter Theorie unterfüttert, nachzulesen im Programmheft. Alles wirkt durchdacht und aufwendig. Eines aber ist einfach fürchterlich: wie deutsche Schauspieler oder solche, die sich das Hochdeutsche angeeignet haben, holprig das Österreichische imitieren. Fritsch und Augustin sind beinahe die Einzigen, die die wienerische Melodie beherrschen.