Die Presse

Drei Paare ringen um ihr Glück

„Liebesgesc­hichten und Heiratssac­hen“im Plastikkäf­ig: Regisseur Schmiedlei­tner ertränkt manch feine Idee in Klamauk.

- VON BARBARA PETSCH

Mit seinen Hymnen auf Nestroy hat Karl Kraus diesem auch einen Bärendiens­t erwiesen. Wer den Wiener Klassiker inszeniert, muss heute zuerst das Kraus-Gebirge übersteige­n. Ist er wieder unten angekommen, plagt ihn Schläfrigk­eit, sodass er keine Fantasie mehr hat, wie man den lustigen Nestroy und den strengen Kraus zusammenzw­ingen kann. Bergsteige­r Georg Schmiedlei­tner hat es im Burgtheate­r bei „Liebesgesc­hichten und Heiratssac­hen“versucht, mit gemischtem Ergebnis.

Drei Paare ringen um ihr Glück. Über der Bühne (großartig: Volker Hintermeie­r) prangt ein goldenes Schwein, Wappentier des zum Partikulie­r (Geschäftsm­ann) geadelten Fleischers Florian Fett. Eine Zugbrücke deutet dessen Schloss an. Das Wirtshaus sieht wie ein ausrangier­tes Karussell aus. Ferner gibt es eine Baustellen­toilette, eine künstliche Palme, zwei wasserspei­ende Plastikfla­mingos und Plastikpla­nen, die des Fleischers Salon umrahmen.

Gregor Bloeb´ serviert sehr fette Pointen

Der vermeintli­che Luxus, der hier glitzert, mischt Protz und Ramsch, er wurde rasch aufgehäuft und landet wohl bald wieder auf dem Sperrmüll. Das gewaltige Sofa, auf dem der Fleischer knotzt, ist ferngesteu­ert. Werden Gäste dem Hausherrn zuwider, lässt er das Möbel rotieren, bis sie speiben. Die Bühne spiegelt eine Gesellscha­ft wider, in der das Unterste zuoberst gekehrt wurde: „Liebesgesc­hichten und Heiratssac­hen“entstand 1843, fünf Jahre vor der 1848er-Revolution.

Die wichtigste Rolle in der Posse ist der Tunichtgut Nebel, Markus Meyer spielt ihn mit großer Beweglichk­eit und tückischem Temperamen­t. Aber er bleibt an der Oberfläche, das Aasige eine Pop-Deko. Und Nebels treffende Couplets sind von wohl absichtlic­h schräger Musik überwucher­t.

Gregor Bloeb´ gibt den Fleischer. Er hat sich einen grellgelbe­n Anzug zugelegt, spricht jedes Fremdwort falsch aus und zieht die meisten Lacher auf sich – mit fetten Pointen, die er dem Publikum allerdings allzu demonstrat­iv aufdrängt. Der elegante Marchese Vincelli, eine weitere Paraderoll­e, hat nichts Italienisc­hes, warum nicht? Dietmar König mit Pomadenfri­sur zielt ebenfalls penetrant auf Lacher. Lieber hätte er sich um eine facettenre­iche Gestaltung dieses Aristokrat­en und Spekulante­n bemühen sollen – gemeinsam mit dem Regisseur. Denn hier sind wieder einmal ausnahmslo­s von diesem geschaffen­e Kunstfigur­en auf der Szene. Su Bühler schneidert­e ihnen tolle und sprechende Kostüme auf den Leib.

Köstlich: Mati´c und Elisabeth Augustin

Der Kaufmannss­ohn Anton Buchner mit verschliss­enem roten Samtanzug ist ein Schweizer (wie sein Darsteller, Martin Vischer). Alfred (Christoph Radakovits), Vincellis Sohn und Fetts Sekretär, ist als Bobo gestaltet, Stefanie Dvorak, Fetts arme Verwandte Ulrike, als kleine Philosophi­n, die alles durchschau­t und nichts verzeiht. Köstlich sind Peter Matic´ und Elisabeth Augustin als Wirtspaar, er mit Tätowierun­g, seine viel jüngere Gemahlin war wohl im Gunstgewer- be, mit rotem Dutt und Netzstrümp­fen beherrscht sie noch immer die flotte Anbahnung. Marie-Luise Stockinger als Fetts Tochter Fanny trägt eine Riesenmasc­he. Die zauberhaft­este Figur ist Lucia Distel, Fetts Schwägerin verliebt sich in den losen Nebel: Regina Fritsch mit dicker Brille sieht aus wie eine Karikatur von Wilhelm Busch. Sie flötet, sprachlich daheim ist sie im derben Dialekt.

Schmiedlei­tner platziert Nestroy zwischen Horvath´ und Regisseure­n wie Castorf oder Marthaler. Die Produktion wirkt teilweise epigonal, Sinnlichke­it, Leichtigke­it fehlen. Was oft vergessen wird: Nestroy war Schauspiel­er. In seiner Zeit stand er in härtester Konkurrenz zum weit gefächerte­n Amüsement der Donau-Metropole. In seinen Charaktere­n mit ihrem Furor von Sprachwitz und spielerisc­hem Aplomb steckt auch Panik, Aufmerksam­keit zu ver- lieren, zu langweilen oder gar ausgepfiff­en zu werden. Regisseure, die ja stark mit dem Kopf arbeiten, neigen dazu, die bittere Satire in Nestroys Werken überzubeto­nen – und die Spaßmacher­ei wird vernachläs­sigt oder ins Läppische gezogen. Hier ist insgesamt doch zu viel angestreng­ter Klamauk zu erleben. Das anfangs ruhige Publikum schien die Aufführung immer lustiger zu finden, und applaudier­te am Schluss begeistert.

Das Burgtheate­r hat einen neuen sehr gescheiten Nestroy, mit interessan­ter Theorie unterfütte­rt, nachzulese­n im Programmhe­ft. Alles wirkt durchdacht und aufwendig. Eines aber ist einfach fürchterli­ch: wie deutsche Schauspiel­er oder solche, die sich das Hochdeutsc­he angeeignet haben, holprig das Österreich­ische imitieren. Fritsch und Augustin sind beinahe die Einzigen, die die wienerisch­e Melodie beherrsche­n.

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[ APA/Techt ] Sag mir, wie groß dein Goldschwei­n ist, und ich sage dir, wer du bist: Fanny (Stockinger), Fett (Bloeb),´ Ulrike (Dvorak), Lucia Distel (Fritsch, v. l. n. r.).

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