Moskaus Machtspiel in Afghanistan
Analyse. Russland reißt die Initiative an sich und bringt sich als Vermittler ins Gespräch. Im Kampf gegen die IS-Milizen unterstützt es die Taliban – und provoziert so die USA.
Afghanistan war bisher ein blinder Fleck auf der Landkarte Donald Trumps. Verteidigungsminister James Mattis sah sich wegen Schlechtwetters gezwungen, im Februar eine Stippvisite in Kabul kurzfristig abzusagen. Nun drängt die Zeit, und der US-Präsident kündigte für demnächst den Besuch seines zweiten hochrangigen Ex-Generals an, seines Sicherheitsberaters H. R. McMaster, der einst selbst kurz in Kabul im Einsatz war.
Der Donnerhall der mächtigen Bombe, die die US-Luftwaffe am Donnerstag in der östlichen Provinz Nangarhar abwarf, um die lokalen IS-Milizen zu treffen, sollte indessen symbolisch bis nach Moskau dringen. In der russischen Hauptstadt begann gestern eine Afghanistan-Konferenz, die die USA boykottierten. Alle anderen wichtigen Player und Nachbarn waren zu dem Treffen eingeladen: die Erzrivalen Indien und Pakistan, China, die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken aus Zentralasien und nicht zuletzt der Iran, Russlands Verbündeter im Syrien-Krieg.
Politisches Vakuum
Das Trauma des Afghanistan-Debakels der Roten Armee, der zehnjährigen Invasion zum Ende der Sowjet-Ära, wirkt in Moskau zwar noch nach. Lange unterstützten Russen wie Iraner die Nato-Operation in Afghanistan im Kampf gegen die Taliban und das Terrornetzwerk al-Qaida. Doch inzwischen haben sich die Prioritäten verschoben. Die russische Außenpolitik macht sich das politische Vakuum in Afghanistan zunutze, um gemeinsam mit Teheran die eigenen Interessen zu forcieren und im Kampf gegen die IS-Milizen die Taliban zu unterstützen – wahrscheinlich auch mit Waffen, wie US-Militärs mutmaßen.
Russland unterminiere die Arbeit der Nato-Truppen, klagte John Nicholson, der US-Oberkommandierende in Afghanistan, bereits vor Monaten. Nach dem Machtwechsel im Weißen Haus forderte er eine Aufstockung des US-Kontingents. Derzeit sind in Afghanistan rund 9000 US-Soldaten stationiert. Neben der grassierenden Korruption und dem blühenden Handel mit US-Waffen und Treibstoff an die Taliban beklagen die USA vor allem den Mangel an Fortschritt bei der Ausbildung der afghanischen Armee.
Während sich afghanische Regierungsvertreter in Washington mittlerweile rarmachen, gehen sie – wie Hanif Atmar, der Sicherheitsberater des Präsidenten – im Kreml ein und aus. Als Zeichen der besonderen Bedeutung hat Präsident Ashraf Ghani seinen Onkel als Botschafter in Moskau installiert.
Stehen die USA in Afghanistan im Zweifrontenkrieg gegen die Taliban und die ISMilizen, so erachten Russland und der Iran die Taliban inzwischen als Verbündete im Kampf gegen die Jihadisten des sogenannten Islamischen Staats. Der Ableger des IS im Nordosten des Landes besteht Schätzungen zufolge momentan nur aus bis zu 1500 Mann. Doch wie aus Geheimdienstberichten hervorgeht, könnten sich IS-Kämpfer in Scharen aus Syrien und dem Irak nach Afghanistan absetzen. In weiterer Folge könnten sie die zentralasiatischen Republiken infiltrieren und von dort als potenzielle Terroristen nach Russland einsickern. So lautet die Sorge der Strategen in Moskau.
Betrachtet Russland Afghanistan als Teil seines Hinterhofs, so geht es dem Iran darum, die 900 Kilometer lange Grenze zu Af- ghanistan zu kontrollieren, um unter anderem den schwunghaften Opiumschmuggel einzudämmen. Zudem hat Teheran Interesse daran, den Einfluss in den afghanischen Westprovinzen zurückzuerobern und die Position als Regionalmacht auszubauen.
Nachwehen des „Great Game“
Dass sich Moskau gleich auch als Verhandlungsort für Friedensgespräche mit den Taliban ins Spiel brachte, war zugleich ein weiterer Nadelstich gegen die USA, der von dem 15-jährigen Krieg und der Vergeudung immenser Ressourcen zermürbten Schutzmacht Afghanistans. Nach der Syrien-Intervention meldet sich Russland nun auch in Afghanistan zurück – als Konkurrent Washingtons als Vermittler und treibende Kraft, 27 Jahre nach dem blamablen Abzug aus Kabul. Washington und Moskau tragen die Nachwehen des „Great Game“aus, des Machkampfs um Afghanistan.