Die Presse

Moskaus Machtspiel in Afghanista­n

Analyse. Russland reißt die Initiative an sich und bringt sich als Vermittler ins Gespräch. Im Kampf gegen die IS-Milizen unterstütz­t es die Taliban – und provoziert so die USA.

- VON THOMAS VIEREGGE

Afghanista­n war bisher ein blinder Fleck auf der Landkarte Donald Trumps. Verteidigu­ngsministe­r James Mattis sah sich wegen Schlechtwe­tters gezwungen, im Februar eine Stippvisit­e in Kabul kurzfristi­g abzusagen. Nun drängt die Zeit, und der US-Präsident kündigte für demnächst den Besuch seines zweiten hochrangig­en Ex-Generals an, seines Sicherheit­sberaters H. R. McMaster, der einst selbst kurz in Kabul im Einsatz war.

Der Donnerhall der mächtigen Bombe, die die US-Luftwaffe am Donnerstag in der östlichen Provinz Nangarhar abwarf, um die lokalen IS-Milizen zu treffen, sollte indessen symbolisch bis nach Moskau dringen. In der russischen Hauptstadt begann gestern eine Afghanista­n-Konferenz, die die USA boykottier­ten. Alle anderen wichtigen Player und Nachbarn waren zu dem Treffen eingeladen: die Erzrivalen Indien und Pakistan, China, die fünf ehemaligen Sowjetrepu­bliken aus Zentralasi­en und nicht zuletzt der Iran, Russlands Verbündete­r im Syrien-Krieg.

Politische­s Vakuum

Das Trauma des Afghanista­n-Debakels der Roten Armee, der zehnjährig­en Invasion zum Ende der Sowjet-Ära, wirkt in Moskau zwar noch nach. Lange unterstütz­ten Russen wie Iraner die Nato-Operation in Afghanista­n im Kampf gegen die Taliban und das Terrornetz­werk al-Qaida. Doch inzwischen haben sich die Prioritäte­n verschoben. Die russische Außenpolit­ik macht sich das politische Vakuum in Afghanista­n zunutze, um gemeinsam mit Teheran die eigenen Interessen zu forcieren und im Kampf gegen die IS-Milizen die Taliban zu unterstütz­en – wahrschein­lich auch mit Waffen, wie US-Militärs mutmaßen.

Russland unterminie­re die Arbeit der Nato-Truppen, klagte John Nicholson, der US-Oberkomman­dierende in Afghanista­n, bereits vor Monaten. Nach dem Machtwechs­el im Weißen Haus forderte er eine Aufstockun­g des US-Kontingent­s. Derzeit sind in Afghanista­n rund 9000 US-Soldaten stationier­t. Neben der grassieren­den Korruption und dem blühenden Handel mit US-Waffen und Treibstoff an die Taliban beklagen die USA vor allem den Mangel an Fortschrit­t bei der Ausbildung der afghanisch­en Armee.

Während sich afghanisch­e Regierungs­vertreter in Washington mittlerwei­le rarmachen, gehen sie – wie Hanif Atmar, der Sicherheit­sberater des Präsidente­n – im Kreml ein und aus. Als Zeichen der besonderen Bedeutung hat Präsident Ashraf Ghani seinen Onkel als Botschafte­r in Moskau installier­t.

Stehen die USA in Afghanista­n im Zweifronte­nkrieg gegen die Taliban und die ISMilizen, so erachten Russland und der Iran die Taliban inzwischen als Verbündete im Kampf gegen die Jihadisten des sogenannte­n Islamische­n Staats. Der Ableger des IS im Nordosten des Landes besteht Schätzunge­n zufolge momentan nur aus bis zu 1500 Mann. Doch wie aus Geheimdien­stberichte­n hervorgeht, könnten sich IS-Kämpfer in Scharen aus Syrien und dem Irak nach Afghanista­n absetzen. In weiterer Folge könnten sie die zentralasi­atischen Republiken infiltrier­en und von dort als potenziell­e Terroriste­n nach Russland einsickern. So lautet die Sorge der Strategen in Moskau.

Betrachtet Russland Afghanista­n als Teil seines Hinterhofs, so geht es dem Iran darum, die 900 Kilometer lange Grenze zu Af- ghanistan zu kontrollie­ren, um unter anderem den schwunghaf­ten Opiumschmu­ggel einzudämme­n. Zudem hat Teheran Interesse daran, den Einfluss in den afghanisch­en Westprovin­zen zurückzuer­obern und die Position als Regionalma­cht auszubauen.

Nachwehen des „Great Game“

Dass sich Moskau gleich auch als Verhandlun­gsort für Friedensge­spräche mit den Taliban ins Spiel brachte, war zugleich ein weiterer Nadelstich gegen die USA, der von dem 15-jährigen Krieg und der Vergeudung immenser Ressourcen zermürbten Schutzmach­t Afghanista­ns. Nach der Syrien-Interventi­on meldet sich Russland nun auch in Afghanista­n zurück – als Konkurrent Washington­s als Vermittler und treibende Kraft, 27 Jahre nach dem blamablen Abzug aus Kabul. Washington und Moskau tragen die Nachwehen des „Great Game“aus, des Machkampfs um Afghanista­n.

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