Die Presse

Die Wächter erbeben wieder in der Osternacht

Hochdramat­isch berichtet der Evangelist Matthäus vom leeren Grab Jesu – eine Szene voll Furcht und Freude.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

„ . . . denn es war sie Zittern und Entsetzen angekommen, und sagten niemand nichts, denn sie fürchteten sich.“

Am Karsamstag dürfen wir Arbeiter im Bergwerk des „Gegengifts“selbst im profanen Erdberg zugeben: Bei uns gibt es eine ausgeprägt­e Schwäche für Bibelübers­etzungen. Auch noch so kleine Veränderun­gen schärfen das Sprachbewu­sstsein. Eben haben die evangelisc­hen Kirchen und auch die katholisch­e nach gut einer Generation wieder zeitgemäße Fassungen publiziert. Wann, wenn nicht in der Osternacht und ihrer zentralen Symbolik, kann man sie bei Lichte prüfen?

Als Evangelium wird in den Stunden vor Ostersonnt­ag Matthäus 28, 1–10 gelesen, eine hochdramat­ische Stelle. Maria aus Magdala und die andere Maria kommen ans Grab Jesu. Es ist leer. Das wird den Frauen so vermittelt: Die Erde bebt, ein Engel des Herrn schwebt vom Himmel herab, tritt an das Grab, wälzt den Stein weg und setzt sich darauf. Er sieht aus wie ein Blitz, sein Gewand ist weiß wie Schnee. Im nächsten Satz gibt es in den neuen Übersetzun­gen eine wunderbare Nuance. Bisher haben die Wächter am Grab „vor Angst zu zittern“begonnen. Nun aber „erbeben“sie aus Furcht vor dem strahlende­n jungen Mann. Das erfasst die Situation in all ihrer mächtigen Bedeutung.

Das Beben kommt in der Bibel an besonders wichtigen Stellen vor. Wenn Jesus in Jerusalem einzieht, bebt die Stadt, wenn er am Kreuze seinen Geist aushaucht, bebt die Erde, und die Felsen spalten sich. In solchen Momenten schlottern die betroffene­n Menschen am ganzen Körper, es beben ihre Herzen. Bereits im Alten Testament bedeutet derart gewal- tige Bewegung Gottesnähe: Der Berg Sinai war vollkommen in Rauch gehüllt, er bebte, nachdem Moses von dort zum Volk herunterge­stiegen war.

Auch die Frauen, denen der Jüngling im weißen Gewand von der Auferstehu­ng berichtet, sind emotional tief berührt: „Sogleich verließen sie das Grab voll Furcht und großer Freude, und sie eilten zu seinen Jüngern, um ihnen die Botschaft zu verkünden.“Beim nüchternen Evangelist­en Markus (16, 1–8) hingegen ist am Grab noch keine Rede von Frohbotsch­aft. Die Frauen – hier neben zwei Marien noch eine Salome – gehen schnell weg von dort. In alten Luther-Bibeln wird ihre Reaktion so ausgedrück­t: Sie flohen, „denn es war sie Zittern und Entsetzen angekommen, und sagten niemand nichts, denn sie fürchteten sich“.

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